Die weibliche Stimme wieder erklingen lassen – Gedanken über den Film No Land’s Song von Ayat Najafi5/7/2016 Simone Lück-Hildebrandt
Zwei Iranerinnen – eine Jüngere und eine Ältere – durchstreifen ein populäres Viertel von Teheran. Sie sind auf der Suche nach Veranstaltungsorten, in denen von den zwanziger Jahren bis zur iranischen Revolution Frauen aufgetreten sind und ihren Gesang dargeboten haben. Schließlich finden sie einige wenige Kino- bzw. Theatersäle, in denen bis zur Beseitigung des Shah-Regimes im Jahre 1979 der Gesang von Frauen stattfand, jetzt verwaist, zweckentfremdet. Aber immerhin treffen sie auf Männer, die sich noch an die Veranstaltungen erinnern können und ihnen lebhaft darüber Auskunft geben. Diese Sequenz ist Teil des im März 2016 angelaufenen Filmes No Land’s Song. Der in Berlin lebende iranische Regisseur, Ayat Najafi, hat in einem Dokumentarfilm das Projekt seiner Schwester, Sara Najafi, ein Konzert mit Frauen als Solosängerinnen in Teheran auf die Bühne zu bringen, verarbeitet. Sara Najafi ist selbst ausgebildete Komponistin und Sängerin; sie mag es nicht länger ertragen, dass Solosängerinnen höchstens vor einem weiblichen, aber auf keinen Fall vor einem gemischten Publikum auftreten können. Also beginnt sie eine ca. zweijährige Odyssee, bei der sie zwar sanftmütig aber doch sehr beharrlich ihr Ziel verfolgt, ein öffentliches Konzert mit Solosängerinnen zu organisieren. Ihre Odyssee führt Sara zunächst zu zwei Mitstreiterinnen: Parvin Namazi und Sayeh Sodeyfi. Parvin Namazi kann sich noch gut an die Zeit vor 1979 erinnern, in der Frauen öffentlich aufgetreten sind; man hat sie zu jener Zeit sogar dazu ermutigt. Sayeh Sodeyfi hat ebenfalls Gesang studiert; das Paradox, dass sie heutzutage Gesang unterrichtet, aber öffentlich nicht auftreten darf, versucht sie mit Ironie zu ertragen. Gemeinsam mit diesen beiden Sängerinnen treibt Sara ihr Projekt voran. So spricht sie z.B. mehrmals im Ministerium für Kultur vor, um ihre Idee vorzustellen. Um ihr Gespräch zu dokumentieren, versteckt sie ihr Handy als Aufnahmegerät unter ihrem um den Kopf getragenen Schal, denn gefilmt werden dürfen die Gespräche nicht. Die stets eindeutige Ablehnung ihrer Idee, Solosängerinnen auf die Bühne zu bringen, bringt sie dazu, sich Mitstreiter im Ausland – in Frankreich – zu suchen. Sie hegt die Hoffnung, dass ein mit ausländischen Künstlern gemeinsam organisierter Auftritt wohl kaum verboten werden könnte. Also knüpft sie Kontakt zu den französischen Sängerinnen Elise Caron und Jeanne Cherhal sowie zur tunesischen Sängerin Emel Mathlouthi an, die bereits als Ikone des arabischen Frühlings à la tunésienne bekannt geworden ist. Bei einem Aufenthalt in Paris lernt Sara die gesamte musikalische Gruppe um Elise Caron und Jeanne Cherhal kennen; sie kommen zu ersten gemeinsamen Proben zusammen. Den beiden französischen Sängerinnen fällt es zwar schwer, auf Farsi zu singen; dennoch bekommt das gemeinsame Projekt erste Konturen. Nach ihrer Rückkehr nach Teheran bleibt Sara Najafi mit der französischen Gruppe via Internet in regem Kontakt, um ihre fortschreitenden Probenergebnisse auszutauschen. Ein zweiter Anlauf beim iranischen Ministerium für kulturelle Angelegenheiten, nun ein gemeinsames französisch-iranisches Konzert mit iranischen und französischen Sängerinnen auf den Weg zu bringen, scheitert wiederum an der Auflage, dass dieses Konzert entweder nur vor einem weiblichen Publikum oder höchstens mit den weiblichen Künstlerinnen als begleitendes Moment stattfinden kann. Männliche Stimmen müssten unbedingt bei einem solchen Konzert eine bedeutende Rolle spielen. Das Interview mit einem Religionsgelehrten zeigt eine ganze Bandbreite von vermeintlich theologisch begründeten – aber für unsere Ohren völlig absurden – Erklärungen, warum öffentliche Auftritte von Sängerinnen Männer sexuell erregen und damit ihr Harmoniebedürfnis empfindlich stören könnten. Dass umgekehrt auch Frauen durch männliche Stimmen sexuell erregt werden könnten, ist für ihn nicht von Bedeutung. Schließlich wagt Sara Najafi das Unmögliche: Im Vertrauen darauf, dass ein öffentlicher Auftritt doch möglich sein wird, bringt die französische Musikergruppe dazu, die Reise nach Teheran mit einem Touristenvisum zu wagen. Sara hofft, dass der iranische Staat, die Blamage vermeiden wird, den Auftritt ausländischer Musiker zu verweigern. In Teheran wird den französischen Musikern erst richtig klar, welch ein emotionales und mitreißendes Potential die iranischen Sängerinnen in sich bergen. Der begleitende französische Gitarrist ist völlig überwältigt, so dass er nach Luft schnappen muss. Mitten in die euphorische und leidenschaftliche Stimmung platzt die Nachricht, dass ein Auftritt – wenn überhaupt – nur vor ausgewähltem Publikum, d.h. also nicht öffentlich, möglich ist. Dieses „Angebot“ schlägt die iranisch-französische Gruppe natürlich aus. Zugleich macht sich unglaubliche Trauer breit – denn alle Mühe schien umsonst. Einige der französischen Mitglieder erwägen sogar, die Reise abzubrechen. … Und dann in letzter Minute geschieht das Wunder: der Auftritt wird doch wie geplant in der City Opera von Teheran ermöglicht. Die bewegenden Abschlussszenen des Konzerts zeigen nicht nur die überglücklichen Musikerinnen und Musiker, sondern auch die Sehnsucht des Publikums nach kulturellen und weltoffenen Veranstaltungen. Zum Schluss singen sie gemeinsam: das Publikum und die Sängerinnen und Musiker auf der Bühne. In einer Zeit, in der zumindest in Deutschland und insbesondere in Berlin eine ganze Reihe von Filmen arabischer und iranischer Regisseure zu sehen sind – die natürlich in deren Heimat größtenteils nicht gezeigt werden dürfen –, scheint der Film No Land’s Song nichts außergewöhnliches zu sein. Dennoch macht er auf ein Phänomen aufmerksam, das man so im Iran nicht erwartet hätte. Natürlich ist uns bekannt,
Aber dass Frauen in der Öffentlichkeit nicht singen dürfen, ist noch schwerer nachzuvollziehen; immerhin wird die klassische arabische Musik hochgeschätzt. Welch eine Emotionalität diese Musik durch den weiblichen Gesang gewinnt und wie sehr sie sich für transkulturelle Projekte eignet, zeigt der Film auf besonders eindrucksvolle Weise. Man kann nur wünschen, dass diesem Dokument noch mehr Aufmerksamkeit als bisher gewidmet wird. Obwohl er zur Hälfte von deutschen Filminstitutionen unterstützt wurde – die andere Hälfte stellten die Franzosen –, hat er in Deutschland nicht die Werbekampagne erfahren, wie es in Frankreich geschehen ist. Dort lief er in allen großen Kinos. In Berlin immerhin wird er immer noch in einem kleinen Off-Kino in Neukölln gezeigt. Also, unbedingt noch anschauen !!! <img src="http://vg03.met.vgwort.de/na/10baecc7eafd412da7bb93aa9784199f" width="1" height="1" alt="" />
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