1. Die Ungleichheit in gesellschaftlichen Tauschverhältnissen Auf welche Weise gesellschaftliche Tauschverhältnisse in Theorien gegossen werden, entscheidet darüber, ob z.B. „Geld“ als zentrales Interaktionsmedium der Tauschpartner angesehen wird. „Geld“ ist nur dann das zentrale Interaktionsmedium, wenn unterschiedliche Machtpotentiale der beteiligten Tauschpartner in der Theoriebildung unberücksichtigt bleiben. Wenn Ware gegen Ware, Ware gegen Geld, Gebrauchswert gegen Gebrauchswert, Arbeitskraftangebot gegen Arbeitslohn, zahlungsfähige Nachfrage gegen quantitatives und qualitatives Warenangebot, Geld gegen (mehr) Geld getauscht werden, sind Machtdifferenzen der Teilnehmer von Beginn an enthalten und – entgegen einer häufig anzutreffenden Vorgehensweise – in der Theoriebildung als erstes zu berücksichtigen. Die Handlungslogik der am Tauschprozess beteiligten Menschen enthält sowohl selbstgesetzliche wie eigennützige Anteile. Während Bernard de Mandeville (1670-1733) in seiner Bienenfabel mit der Lehre, „Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht“, ausschließlich den Eigennutz der am Tausch Beteiligten als ausschlaggebend im Tauschverhalten bezeichnet, geht Adam Smith (1723-1790) in seinem Werk „Theorie der ethischen Gefühle“ davon aus, dass beide Komponenten im „aufgeklärten Eigeninteresse“ der Tauschenden enthalten sind. Laut Christopher Berry ist für Adam Smith das „aufgeklärte Eigeninteresse“ der entscheidende Maßstab ihres Handelns.i In seinem 1097 Seiten umfassenden Werk Wohlstand der Nationen erwähnt Smith nur ein einziges Mal die „unsichtbare Hand“, mit der Prediger der damaligen Zeit das Wirken Gottes in der Welt beschrieben.ii Als ausgesprochener Kirchenkritiker glaubt er nicht an ein göttliches Eingreifen, sondern an das den Tauschprozess wie eine unsichtbare Hand dirigierende „aufgeklärte Eigeninteresse“ der selbstbestimmt handelnden Menschen. Im „aufgeklärten Eigeninteresse“ werde laut McCloskeyiii der Eigennutz durch die Tugend der Mäßigung im Handeln, der Liebe, des Sinns für Gerechtigkeit, des Muts, der Hoffnung und des Glaubens ausbalanciert.(dazu auch Stiglitz, J. E., S.460/461). Die von McCloskey behauptete Ausbalancierung des Eigennutzes durch Tugenden unterstellt, dass im gesamten Tauschprozess jedes aktivierte Quantum Eigennutz durch eine wirksame Tugendmixtur in Schranken gehalten wird. Pierre Christan Fink kommentiert McCloskey mit den folgenden skeptischen Satz: „Klingt ein bisschen wie in der Bibel. Aber wann kommen diese sieben Tugenden schon einmal zusammen? Eine Gesellschaft ganz ohne skrupellose Geschäftemacher, korrupte Steuerbeamte und gierige Manager wird es wohl niemals geben. Deshalb lässt sich von der unsichtbaren Hand immer nur ironisch sprechen: Den gesellschaftlichen Idealzustand kann der Markt wohl nie erzeugen.“(ebd.). Ein Blick in die Empirie gibt ihm recht. Adam Smiths Deutung des „aufgeklärten Eigeninteresses“ als „invisible hand“ widerspricht der realen Verhaltensweise der am Tausch Beteiligten. Im Tauschverhältnis müsste den an selbstgesetzliches wie eigennütziges Handeln gleichermaßen gebundenen Tauschpartnern die unmögliche Aufgabe gelingen, in ihrem eigenen „Für-sich-sein“ die gleichwichtige Aufteilung zwischen dem „Für-sich“ (ihrer selbst) und dem Sein „Für-den-Anderen“ zu erreichen und im gesamten Tauschvorgang durchzuhalten (Reinhard Hildebrandt, Staat, Markt, Individuum – Zivilgesellschaftliches Engagement und seine Begrenzungen, Perspektiven DS, 30. Jg. 2013/Heft 1, S.88). 2. Die ungleichwichtige Aufteilung zwischen „Für-sich'“ und „Für-den-Anderen“ Eine vollkommene Ausbalancierung würde verlangen, dass Tauschpartner im Austauschprozess nicht mehr nur „für-sich-selbst“ existieren, dem der jeweils Andere als separates „Für-sich-selbst“ gegenüber steht. Erforderlich wäre außerdem für beide, dass sie in ihrem „Für-sich-sein“ das „Für-sich“ durch das „Für-den-Anderen“ ersetzen, so dass sie in der Kombination „Für-den-Anderen-bei-sich-selbst“ fortan beide „bei-sich-selbst“ wären und zugleich „für-den-Anderen“. Die Verantwortung für den Anderen hätten sie damit in die eigene Identität aufgenommen. In einem derart austarierten Beziehungsverhältnis würde die Grenzlinie zwischen „Für-sich“ und „Für-den-Anderen“ die Identität beider Tauschpartner in vollkommen gleiche Teile zerlegen. Empirische Untersuchungen zeigen an unzähligen Beispielen auf, dass Menschen in ihrem Tauschverhalten jedoch ständig zwischen mehr eigennützigem oder mehr tugendhaftem Handeln schwanken bzw. das „aufgeklärte Eigeninteresse“ keine stabile innere Struktur hat. Hält einer der beiden Tauschpartner im konkreten Tauschgeschehen vor der für ihn nicht exakt bestimmbaren Grenzlinie an, ist er nicht fähig, sein „Für-sich-sein“ gleichgewichtig mit dem „Für-den-Anderen-sein“ zu teilen. Sein Eigennutz richtet sich gegen den Anderen und droht ihn zu übervorteilen, sofern der Andere dies zulässt. Überschreitet er die Grenzlinie, gerät er selbst in die Position des potentiell Benachteiligten. Machtauseinandersetzungen halten auf diese Weise bereits Einzug ins Tauschgeschehen, bevor der reale Tausch überhaupt begonnen hat, und jede am Produkt selbst anknüpfende Definition der Gleichheit zweier Güter wird von dieser vorgängigen Machtauseinander-setzung infiziert. (hierzu auch Stiglitz, J.E., S.412/413) Weil unterschiedliche Arbeitsinten-sitäten und die Verwendung unterschiedlicher Technologie Ungleichheit hervorbringen, vermag weder die in den Produkten verkörperte gleiche Anzahl an Arbeitsstunden Gleichheit zwischen ihnen herzustellen, noch kann von einer durchschnittlichen Gewinnrate auf die Gleichheit der getauschten Produkte geschlossen werden. Jede Seite des Tauschprozesses verbindet mit den Produkten einen anderen Gebrauchswert, so dass getauschte Produkte unabänderlich mit den unterschiedlichen Bedürfnissen verbunden sind und nicht ihre Gleichheit sondern umgekehrt ihre Ungleichheit den Tausch erst arrangiert. Der unklare und vieldeutige Begriff Nutzen verdeckt die Ungleichheit der Gebrauchswerte als notwendige Bedingung des Tausches. Welche Folgen die Infizierung des Tausches mit der Kategorie der Macht für die Geltung der auf der mathematischen Differentiallehre beruhenden Grenzproduktivitätstheorie hat, gilt es als nächstes zu erläutern. Die Grenzproduktivitätstheorie blendet Machtkonflikte gänzlich aus. 3. Unhinterfragte Annahmen der makroökonomischen Grenzproduktivitätstheorie Die gesamtwirtschaftlich orientierte Grenzproduktivitätstheorie postuliert, dass sich der Marktpreis eines Produktionsmittels auf einer solchen Höhe einspielt, dass er gleich dem in Geld bemessenen Grenzertrag des betreffenden Produktionsmittels wird. Für den Unternehmensgewinn gelten darüber hinaus Kriterien, die z.B. aus Pionierleistungen (Verwirklichung „neuer Kombinationen“ im Produktionsprozess), dynamischen Gewinnen (Differenz zwischen Nettoinvestition und Nettosparen), Marktlagengewinnen (unelastisches Angebot) resultieren (Gablers Wirtschaftslexikon 7. Auflage, 1967, Bd. 1, S. 1614/1615, Bd. 2, S. 1587). Als Produktionseinheiten bzw. Produktionsfaktoren werden Arbeit, Boden und Kapital bzw. Arbeitslohn, Bodenrente und Profit bezeichnet, die als grundsätzlich unbegrenzt verfügbar behandelt werden. Mathematisch abstrakt betrachtet wird so die Gesamtzahl der beschäftigten hoch bis niedrig qualifizierten Arbeitskräfte nach dem Grenzertrag der letzten im gesamten Produktionsprozess eingesetzten Arbeitskrafteinheit entlohnt. Beispiel hierfür bietet die landwirtschaftliche Produktion. Je mehr Arbeitskräfte zur Bearbeitung eines Feldes eingesetzt werden, desto geringer wird der Grenzertrag. Für Bodenrente und Produktivkapital gelten die gleichen Bemessungskriterien. Je mehr Boden für die Produktion eines Agrarguts benötigt wird, desto niedriger ist der Grenzertrag des letzten eingesetzten Quadratmeters. Das zuletzt beanspruchte Quantum an Produktivkapital bestimmt den Grenzertrag. Vereinfacht ausgedrückt: im Prinzip bekommt jeder Produktionsfaktor den ihm am gesamtwirtschaftlichen Ertrag zustehenden Anteil. Auch der Unternehmensgewinn pendelt sich längerfristig auf den Grenzertrag ein. Dafür sorgt laut Theorie der als uneingeschränkt definierte Wettbewerb. Er egalisiert neue Kombinationen im Produktionsprozess, nivelliert Differenzen zwischen Nettoinvestition und Nettosparen im Konjunkturverlauf und baut ein zunächst unelastisches Angebot allmählich ab. So erscheint auf der Grundlage der Grenzproduktivitätstheorie z.B. die neoliberale Argumentation einleuchtend, dass im Niedriglohnsektor unter dem Existenzminimum liegende Arbeitslöhne den geringen Grenzerträgen der dort Beschäftigten entsprechen. Niedriglöhner müssten eben bereit sein, durch die Aufnahme eines zweiten oder dritten Arbeitsverhältnisses den zum Lebensunterhalt notwendigen Betrag zu erarbeiten. Dem Steuerzahler wird von neoliberaler Seite empfohlen, abzuwägen, wofür er mehr an Steuern aufzuwenden hat: für den Aufstockungsbetrag der Niedriglöhner oder den Mehrbetrag an Arbeitslosengeld, wenn Niedriglöhner entlassen werden, weil nach Einführung eines Mindestlohns die Produktion von Gütern nicht mehr lohnt. Der in bevölkerungsreichen industrialisierten europäischen Ländern begrenzt verfügbare Grund und Boden, auf den im Absolutismus vor allem der Adel und die Kirche zugreifen konnten und die bis in die heutige Zeit sehr ungleiche Verteilung des Grundbesitzes bleiben in der Grenzproduktivitätstheorie unberücksichtigt (ebd.S.411). Das Produktionskapital unterliegt der gleichen undifferenzierten Betrachtungsweise, obgleich heutzutage flottierendes Kapital sehr schnell in Zirkulationssphären mit höchsten Gewinnerwartungen abwandern kann und in dieser Zeit in anderen Zirkulationssphären nicht verfügbar ist. Im Vergleich zum Kapital ist die Mobilität von Arbeitskräften sehr viel beschränkter. Daraus ergibt sich: Die makroökonomische Grenzproduktivitätstheorie behandelt ungleiche Produktionsfaktoren mathematisch gleich, kennt keine Grenzertragsunterschiede innerhalb der Produktionsfaktoren und ignoriert die aus beiden Versäumnissen resultierenden Ursachen gesellschaftlicher Ungleichheit. Insbesondere Joseph E. Stiglitz verweist in seinem Buch „The Price Of Inequality – How Today’s Divided Society Endangers Our Future“, auf diese Unterlassungen. 4. Joseph Stiglitzs „Price of Inquality“ 4.1 Die makroökonomische Grenzproduktivitätstheorie als ungeeigneter Maßstab Partiell auf der Grundlage der makroökonomischen Grenzproduktivitätstheorie verbleibend stellt Stiglitz zunächst fest: „The theory that came to dominate, beginning in the second half of nineteenth century – and still does – was called ‚marginal productivity theory‘; those with higher productivities earned higher incomes that reflected their greater contribution to society. Competitive markets, working through the laws of supply and demand, determine the value of each individual’s contributions.“(ebd.S.37). Den Produktionsfaktor Arbeitskraft differenziert er weiter: „If someone has a scarce and valuable skill, the market will reward him amply, because of his greater contribution to output. If he has no skills, his income will be low. Technology, of course, determines the productivity of different skills: in a primitive agriculture economy, physical strength and endurance is what mattered; in a modern hi-tech economy, brainpower is more relevant.“(ebd.). Joseph E. Stiglitz hinterfragt nicht grundsätzlich die Berechtigung der makroökonomischen Grenzproduktivitätstheorie, obgleich er der Idee des homo oeconomicus kritisch gegenüber steht. Er schreibt: „The prevailing approach to behavior in standard economic theory focuses on rational individualism. Each individual assesses everything from a perspective that pays no attention to what others do, how much they get paid, or how they are treated. Human emotions such as envy, jealousy, or a sense of fair play do not exist or if they do, have no role in economic behavior; and if they do appear, they shouldn’t. Economic analysis should proceed as if they did not exist. To noneconomists, this approach seems nonsensial – and to me, it does too.“(ebd.S.141/142). Obwohl Stiglitz also die Geltung der Grenzproduktivitätstheorie teilweise infrage stellt, hält er, um Phänomene der Ungleichheit anzuzeigen, als Bezugsmöglichkeit an ihr fest. Er unterscheidet nicht zwischen den „economic forces“, die den fairen Wettbewerb in der Verfolgung eigennütziger Zwecke untergraben, und der Problematik, die bereits das Smithsche „aufgeklärte Eigeninteresse“ enthält. Wenn von den Tauschenden, wie bereits schon weiter oben ausgeführt, die Grenzlinie zwischen „Für-sich-sein“ und dem „Für-den-Anderen-sein“ im konkreten Tauschprozess bestenfalls zufällig getroffen wird und der Eigennutz des einen oder anderen das selbstgesetzliche Handeln dominiert, vereiteln tauschimmanente Machtkämpfe die Erzeugung vollkommener Konkurrenz und den daraus abgeleiteten Gleichgewichtspreis. Diese Erkenntnis gilt erst recht für de Mandevilles Behauptung über den Eigennutz als ausschließliche Ursache des Wirkens der unsichtbaren Hand. Handeln Tauschende nur eigennützig, ohne die Beimischung und den Einfluss selbstgesetzlichen Handelns, verhindern Machtkämpfe jeglichen Tausch. Statt dessen eignet sich der Überlegene das zum Tausch angebotene Produkt des Gegners nach dessen Niederlage ohne Gegenleistung an. Die Bedeutung der Grenzproduktivität von Produktionsfaktoren existiert fern von der Realität nur in der mathematischen Gleichung und ist außerdem logisch unhaltbar.iv Für das reale Handeln der Menschen ist sie ohne Belang. An die Stelle der unsichtbaren Hand tritt das Fallbeil des Siegers. Die Hypothese, bei vollkommener Konkurrenz bestimme der Grenzertrag den Marktpreis der Produktionsfaktoren, fällt in sich zusammen. Der Grenzproduktivitätstheorie wird damit die Existenzgrundlage entzogen. Als Maßstab zur Begründung von „Marktversagen“ und als ideologische Rechtfertigung ist ihre Fortexistenz jedoch garantiert. 4.2 „Marktversagen“ und ökonomische Macht in der Sichtweise E. Stiglitzs „Inequality is the result of political forces as much as of economic ones. In a modern economy government sets and enforces the rules of the game – what is fair competition, and what actions are deemed anticompetitive and illegal, who gets what in the event of bankruptcy, when a deptor can’t pay all that he owes, what are fraudulant practices and forbidden.“(ebs.S.38). Ergänzend fügt er hinzu: „Government also gives away resources (both openly and less transparently) and, through taxes and social expenditures, modifies the distribution of income that emerges from the market, shaped as it is by technology and polititics.“(ebd.). Über diese staatlichen Eingriffe hinaus, die weitgehend der Erhaltung des „formlosen Gegenhalts“ (Reinhard Hildebrandt) der Gesellschaft dienen, erwähnt Stiglitz außerdem Maßnahmen des Staates zur Erhaltung und Steigerung des gesamtgesellschaftlichen Gemeinwohls“, wie z.B. „providing free public education“(ebd.). Kritisch beschäftigt er sich mit den unterschiedlichen Formen des „Marktversagens“ als Ursache für Ungleichheit. Er bemerkt: „To put it baldly, there are two ways to become wealthy: to create wealth or to take wealth away from others. The former adds to society. The latter typically substracts from it, for in the process of taking it away, wealth gets destroyed. A monopolist who overcharges for its product takes money from those whom he is overcharging and at the same time destroys value. To get his monopoly price, he has to restrict production.“(ebd.S.40). Am Beispiel der Finanzkrise erläutert er das Verhältnis von „private returns“ und „social benefits“. „There is a simple reason for why financiers‘ pursuit of their interests turned out to be disastrous for the rest of society: the bankers‘ incentives were not well aligned with social returns.“(ebd.S.41). Als eine weitere Ursache für Ungleichheit bezeichnet er die unzulängliche Bekämpfung des „Marktversagens“ durch die Regierung. „Markets by themselves often fail to produce efficient and desirable outcomes, and there is a role for government in correcting these market failures, that is, designing policies (tax and regulations) that bring private incentives and social returns into alignment.“(ebd.S. 42). Er bezieht sich hier auf die bereits in der Analyse der erwähnten „externalities“ (Verwirklichung „neuer Kombinationen“ im Produktionsprozess, Differenz zwischen Nettoinvestition und Nettosparen, unelastisches Angebot). Zwar werde es einer Regierung niemals gelingen, „Marktversagen“ perfekt zu korrigieren, aber nur dann, wenn die Regierung ihre Arbeit gut mache, werde die Wirtschaft prosperieren (ebd.S.42/43). Unter „shaping markets“ versteht Stiglitz z.B. das Ergreifen von Maßnahmen zur Verhinderung vollkommener Konkurrenz. In Management Schulen werde bereits Studenten gelehrt, “ how to recognize, and create, barriers to competition – including barriers to entry – that help ensure that profits won’t be eroded“.(ebd.S.44). Märkte weniger transparent zu gestalten sei ein weiteres bevorzugtes Instrument.(ebd.S.44). Unter „rent seeking“ versteht Stiglitz: „hidden and open transfers and subsidies from the government, laws that make the marketplace less competitive, lax enforcement of existing competition laws, and statutes that allow corporations to take advantage of others or to pass costs on to the rest of society.“ (ebd.S.48). „Rent seeking“ sei nicht nur ein Übel in rohstoffreichen Ländern, sondern auch in den hochindustrialisierten Staaten. Eine andere Form von „rent seeking“ bestehe darin, „selling to government products at above market prices (noncompetitive procurement). The drug companies and military contractors excel in this form of rent seeking.“(ebd.S.50). Stiglitz verweist auch auf die zunehmende Handlungsweise des Managements privater Unternehmen, ihre Machtposition auszunutzen, um für sich einen größeren Teil des Gewinns abzuzweigen. Im zunehmenden Maße würden auch große Rechtsanwaltspraxen „rent seeking“ betreiben, indem sie den Reichen dabei helfen, Gesetze legal zu umgehen, für den Gesetzgeber Gesetze schreiben, in denen Schlupflöcher für die Reichen in der Begleichung der Steuern eingebaut sind.(ebd.S.53). Speziell in den USA sei das Patentrecht so gestaltet, dass die zeitliche Dauer gewährter Patente immer mehr ausgedehnt werde und durch den Ausschluss potentieller Wettbewerber der Monopolgewinn gesichert sei.(ebd.S.54). Ein Trugschluss der amerikanischen Bevölkerung sei auch, dass Subventionen für die Landwirtschaft den kleinen notleidenden Bauern zu teil würden. Daran verdienten insbesondere Agrarfabriken.(ebd.S.64). In einem besonderen Kapitel beschäftigt sich Stiglitz mit den Auswüchsen der Globalisierung. „Nowhere do politics shape market forces more than in the globalization arena.“(ebd.S.73). In den vergangenen drei Jahrzehnten hätten US-amerikanische Finanzinstitute die größtmögliche Mobilität in der weltweiten Anlage von Finanzkapital durchgesetzt. Die ihnen von der Politik zugestandene Freizügigkeit sei sehr viel umfangreicher als diejenige der Arbeiter oder sogar der Politik selbst ausgefallen.(ebd.S.74) Finanzinstitute drohten mit der Verlagerung von Kapital, wenn ihnen die Politik und die Lohnforderungen der Gewerkschaften nicht gefalle. Weltweit sei so eine nach unten weisende Lohnspirale in Gang gesetzt worden, die in den USA zwar mehr Arbeitsplätze in der Finanzindustrie erbracht habe, aber dafür eine hohe Zahl von Arbeitslosen in der traditionellen Industrie. (ebd.S.75) „The way globalization has been managed, however, has itself led to still lower wages because workers‘ bargaining power has been eviscerated.“ (ebd.S.77). Die prophezeiten „trickle-down“ Effekte, d.h. Wachstumsprozesse in Industriebereichen als Folge der niedrigeren Löhne und der höheren Wettbewerbsfähigkeit, traten nicht ein, statt dessen konkurrierten jetzt zunehmend US-amerikanische Arbeiter mit chinesischen auf der Basis weltweit niedriger Löhne.(ebd.S.79) In vielen hochindustrialisierten Ländern habe der Abbau von Arbeitsplätzen den Zugewinn an neuen übertroffen.(ebd.S.80) Hinzu gekommen seien Diskriminierungen von Migranten, denen noch geringere Arbeitslöhne als den Ungelernten zugestanden worden seien. Mit der Begründung, reduzierte Steuern würden die Investitionstätigkeit der Unternehmen steigern, habe man außerdem die Spitzensteuersätze von 70 Prozent unter dem Präsidenten Carter auf 28 Prozent unter Präsident Reagan drastisch vermindert. Präsident Clinton hob sie erneut auf 39,6 Prozent an und George W. Bush senkte sie wieder auf 35 Prozent (ebd.S.89). Stiglitz kommentiert die „double role“ US-amerikanischer Regierungen in der folgenden Bemerkung: „it is partly responsible for the inequality in before-tax distribution of income, and it has taken a diminished role in ‚correcting‘ this inequality through progressive tax and expenditure policies.“(ebd.S.96). Er plädiert für die Regulierung von Banken, ein Verbot räuberischer Kreditbedingungen, die Haftung der Banken für betrügerische Praktiken („toxic mortgages“) und die Bestrafung für den Missbrauch ihrer Monopolstellung (ebd.S.100). In diesem Kontext verweist Stiglitz auf die einseitige Inanspruchnahme der US-amerikanischen und europäischen Zentralbank durch das Finanzkapital. Für ihn wurden die beiden Institute sogar „captured by the financial sector. They might not have been democratically accountable, but they did respond to the interests and perspectives of the bankers.“ (ebd.S.311). Außerdem stimmt er Jamie Galbraith zu, die einen Zusammenhang hergestellt hat zwischen einem großen Finanzsektor und hoher Ungleichheit. Je weniger Steuereinnahmen der Staat habe, desto weniger könne er für die Ausbildung der nachwachsenden Generation ausgeben („Our underinvestment in the common good, including public education, has conrtributed to the decline in economic mobility …“)(ebd.S.117). Als zentrales Argument seines Buches bezeichnet Stiglitz die ungerechtfertigte Bereicherung der reichsten ein Prozent der US-Amerikaner auf Kosten der übrigen neunundneunzig Prozent der Bevölkerung (ebd.S.334). Unter den unerträglichsten Kosten, die von den ein Prozent sehr Reichen in den USA der Gesamtbevölkerung aufgebürdet werden, zählt Stiglitz: „the erosion of our sense of identity in which fair play, equality of opportunity, and a sense of community are so important. America has long prided itself on being a fair society, where everyone has an equal chance of getting ahead, but the statistics today, as we’ve seen, suggest otherwise: the chances that a poor or even a middle-class American will make it to the top in America are smaller than in any countries of Europe.“(ebd.S.146/147). 5. Stiglitzs Anspruch an staatliches Handeln Stiglitz propagiert eine umfangreiche „Economic Reform Agenda“, ohne bereits ein ausgefeiltes Programm anzubieten. Im Einzelnen zählt er folgende Punkte auf:
Keynesianisch geprägt sind seine letzten sieben Forderungen. Keynes hatte die Lehrmeinung der klassischen Ökonomie zurückgewiesen, dass das Angebot die Nachfrage bestimmt (Saysches Gesetz). Er argumentierte umgekehrt. Bei zu geringer Nachfrage schrumpft die Wirtschaft und der Staat muss eingreifen. „Seine Politikempfehlung lautete: Der Staat solle in die Bresche springen und die Gesamtnachfrage stärken – durch schuldenfinanzierte Staatsausgaben. Dieser Gedanke revolutionierte die Politik. Es führte nach dem Zweiten Weltkrieg zum Konzept der staatlichen Globalsteuerung, das sich auf der ganzen Welt verbreitete.“(Carl Christian von Weizsäcker, John Maynhard Keynes, Der Bezwinger der Weltwirtschaftkrisen, www.faz.net, › Wirtschaft › Wirtschaftswissen › Die Weltverbesserer, 20.07.2013). In der klassischen Theorie brachte der Zins Gesamtangebot und Gesamtnachfrage nach Gütern zu jedem Zeitpunkt zur Deckung. Dass dies nicht der Fall ist, beweist die Politik der US-amerikanischen Zentralbank, die seit geraumer Zeit mit einem Zinssatz von null bzw. nahe null den vergeblichen Versuch unternimmt, die US-amerikanische Gesamtnachfrage kräftig anzukurbeln, aber mit dieser Maßnahme lediglich erreicht, dass sich die Banken sanieren. 6. Staatliches Handeln zwischen Markt und Macht Weder gleicht der reale Mensch dem Kunstprodukt „homo oeconomicus“ noch entspricht die reale Marktsituation dem mathematischen Modell des Marktes. Der ideale Markt des Modells existiert nicht in der Realität. Die Mathematik ist nicht in der Lage, die Realität angemessen darzustellen. Damit entfällt jegliche Rücksicht der Politik, auf die Selbstregulierung der Marktkräfte zu setzen. Je angebots- und nachfragemächtiger Marktteilnehmer werden, desto mehr muss auch der Staat mit Regeln in das Marktgeschehen eingreifen. Sein Maßstab kann nicht die Aktivierung der Selbstheilungskräfte des Marktes sein, sondern die Erhaltung des formlosen Gegenhalts mit den Mitteln der Demokratie. Der Staat folgt vornehmlich der Exekution von Macht als der ihm zugeschriebenen Handlungslogik. Dieser Handlungslogik bedienen sich auch die Vertreter der Unternehmen und der Banken. Konsequent fordert deshalb Stiglitz auch den Staat in seinen ersten zwölf Forderungen auf, im Sinne der Erhaltung demokratischer Strukturen und der Förderung des gesamtgesellschaftlichen Gemeinwohls zu handeln. Ordnet sich der Staat hingegen den Interessen der Unternehmen und des Finanzkapitals unter, lässt er zu, dass Parlament und Ministerialverwaltung zunehmend von deren Vertretern durchsetzt und schließlich unterminiert werden und die Demokratie Gefahr läuft, gänzlich abgeschafft zu werden. Kritisch zu Stiglitz bleibt anzumerken, dass nur aus der Sicht der „reinen Lehre“ das Phänomen des „Marktversagens“ existiert. Stärker noch als schon von Stiglitz erwähnt, muss das Versagen des Staates hervorgehoben werden. Sein Handeln darf sich nicht an den viel beschworenen „Selbstheilungskräften der Wirtschaft“ orientieren, sondern einzig und allein am Maßstab der Erhaltung der Demokratie. Der „marktkonforme Staat“ ist der Totengräber der Demokratie. ________________ nach Prof. Dr. Hagen Krämer i Christopher Berry, „Die Wirtschaftstheorie im Wohlstand der Nationen setzt das Menschenbild aus der Theorie der ethischen Gefühle voraus, zit. bei Pierre-Christian Fink, Historiker zeigen: Der Vater der Ökonomie war kein Prediger des freien Marktes. Er suchte nach Werten, Die Zeit, 14.8.2013. ii Emma Rothschild, zit. bei Pierre-Christian Fink. iii McCloskey, zit. bei Pierre-Christian Fink. iv Prof. Dr. Hagen Krämer: „3. Makroökonomische Version: Wird die mikroökonomische Analyse auf die makroökonomische Ebene übertragen, spricht man von der aggregierten Grenzproduk-tivitätstheorie der Verteilung. Dazu nimmt man eine gesamt-wirtschaftliche Produktionsfunktion an, die stetig differenzierbar ist: Yr = Yr(L, K), wobei: Yr = reales Volkseinkommen, L = Arbeitsmenge, K = Realkapitalmenge, und maximiert analog zur mikorökonomischen Version für gegebene Faktor- und Güterpreise (P = Preisniveau, w = Lohnsatz und i = Kapitalzins) den volkswirtschaftlichen Gewinn. Für die Lohnquote folgt: Nimmt man außerhalb des üblichen neoklassischen Rahmens an, dass der Kapitalstock in der kurzen Frist konstant ist und Arbeitslosigkeit herrscht, wird die Höhe der Lohnquote auch von der Höhe der Beschäftigung beeinflusst. Die Höhe der Lohnquote hängt in diesem Fall nicht nur von der Produktionstechnik ab, sondern von allen die Beschäftigung bestimmenden Faktoren. In der neoklassichen Theorie wird die gleichgewichtige Beschäftigung im Wesentlichen auf dem Arbeitsmarkt bestimmt. Insofern spielen die Arbeitsmarktverhältnisse auch bei der Festlegung der Verteilung eine entscheidende Rolle. Nach Keynesscher Lehre wird die Beschäftigung dagegen letztlich auf dem Gütermarkt bestimmt. Insofern sind die Gütermarktverhältnisse auch für die Höhe der Verteilung entscheidend. Wie die sog. Kapitaltheoretische Kontroverse über die logische Konsistenz zentraler Bausteine der neoklassischen Kapital-, Produktions- und Verteilungstheorie gezeigt hat, kann die makroökonomische Version der Grenzproduktivitätstheorie der Verteilung nur unter sehr speziellen Voraussetzungen Gültigkeit beanspruchen (Ein-Gut-Ökonomie). Kritisiert wurde, dass aus partialanalytischen (mikroökonomischen) Überlegungen abgeleitete Beziehungen auf aggregierte Größen der Makroökonomie übertragen werden. Die Annahme der Existenz einer gesamtwirtschaftlichen Produktionsfunktion und die Vorgabe einer definierten ‚Menge an Kapital‘, die unabhängig von den Preisen der verschiedenen Kapitalgüter und damit der Profitrate bestimmt werden könnte, ist aus logischen Gründen unhaltbar (hervorgehoben von R.H.) . Obwohl sich gezeigt hat, dass das theoretische Fundament der makroökonomischen Version der Grenzproduktivitätstheorie auf einem Zirkelschluss basiert, wird diese nach wie vor auch für verteilungs- und beschäf-tigungspolitische Empfehlungen verwendet.“ (http://wirtschaftslexikon.gabl) <img src="http://vg03.met.vgwort.de/na/79bc3c047cf045f7891af8e347cfd142" width="1" height="1" alt="" />
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AutorReinhard Hildebrandt ArchiveTextliste
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