„Coping with Transatlantic Divergence – Exploring Common Solutions: Missile Defense, Russia, and the Middle East“ (zu deutsch etwa „Leben mit der transatlantischen Divergenz − Suche nach gemeinsamen Lösungen: Raketenabwehr, Russland und der Nahe Osten“) − so lautete der komplizierte Titel der dritten Transatlantischen Konferenz, die von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Frankfurt sowie der Friedrich Ebert Stiftung Berlin organisiert war. Die Tagung fand am 24./25.Juni in Berlin − parallel zur Nahost-Konferenz des Außenministeriums − in den Räumen der Hessischen Landesvertretung statt. Unter dem nüchternen Thema kamen höchst brisante Themen zur Sprache, die im folgenden Artikel zusammengefasst und kommentiert werden.
1. Einleitende Bemerkungen Die zweitägige Konferenz beschäftigte sich mit der Frage, auf welche Weise Raketen zur Verteidigung eines Landes eingesetzt werden und wie wirksam die dadurch gewonnene Sicherheit ist. Zur Debatte stand, welche zusätzliche Sicherheit für die USA und Europa durch die Stationierung von Abfangraketen in Polen gewonnen werden kann und gegen wen die Raketen gerichtet sind. Diskutiert wurden außerdem die dadurch in Fragen der Sicherheit innerhalb des transatlantischen Verhältnisses entstehenden Differenzen und wie man sie bewältigt. Die vier programmatischen Reden und die ihnen folgenden Diskussionsrunden basierten auf dem Erfahrungshintergrund der raketengestützten Angriffs- und Verteidigungssysteme des Ost-West-Konflikts. Daraus leiteten die Redner ihre Schlussfolgerungen für die gegenwärtige Raketendebatte ab. Eine Detailanalyse des Ost-West-Konflikts fand jedoch nicht statt. Sie wäre notwendig gewesen, um die mit der gegenwärtigen Neuauflage des Konflikts verknüpften Probleme besser in den Griff zu bekommen. Zusätzlich zur Konferenzdiskussion wird deshalb im hier folgenden kommentierenden Bericht zunächst der Aktions- und Reaktionsmechanismus beschrieben, der im Ost-West-Konflikt das Sicherheitsdenken dominierte. 2. Raketengestütztes Sicherheitsdenken im Ost-West-Konflikt Bis zum Verlust der atomaren Unverwundbarkeit im Jahre 1959 besaßen die USA eine gesicherte Erst- und Zweitschlagkapazität, während die Sowjetunion mit der Entwicklung von Interkontinentalraketen erstmals zu einem Angriff auf die USA ausholen konnte. Bis zum Beginn der amerikanischen Satellitenaufklärung im September 1961 stand der Sowjetunion sogar kurzzeitig eine geringe Zweitschlagkapazität zur Verfügung. Nach der Versenkung ihrer Raketen in Silos und dem Übergang zu Feststoffraketen gewann sie diese Kapazität im Jahre 1963 zurück. In den folgenden Jahrzehnten kämpften die Kontrahenten stets um die Beibehaltung ihrer gesicherten Zweitschlagkapazität, wobei im Wettrennen um die höchstmögliche Zerstörungsfähigkeit mit dem Ziel eines Entwaffnungsschlags und verknüpft mit dem Versuch, die Zerstörung des eigenen Territoriums durch gegnerische Waffen möglichst gering zu halten, waren die USA immer darauf bedacht, ihren Vorsprung zu bewahren. Den nächsten Schritt im Aktions- und Reaktionsmechanismus leiteten deshalb zumeist die USA als erste ein. Im Rüstungswettlauf trieben sich beide Seiten mit zunehmender Zielgenauigkeit ihrer Raketen, dem Einsatz von Mehrfachsprengköpfen, der unverwundbaren Stationierung von Raketen zu Lande und auf dem Wasser, der Entdeckung von Überraschungsangriffen durch Beobachtungssatelliten und dem Streben nach kürzeren Vorwarnzeiten durch den Einsatz von Mittel- und Kurzstreckenraketen sowie Cruise Missiles und der Zerstörung des Angreifers durch zielgenaue Abfangraketen auf die jeweils nächsthöhere Stufe des Aktions- und Reaktionsmechanismus voran. In ihrem Ringen um die wirksamste Erst- und Zweitschlagkapazität bis hin zum Entwaffnungsschlag ging es immer darum, das Vernichtungsrisiko des Gegners gravierend zu erhöhen, so dass er vom Einsatz seiner eigenen Raketenstreitmacht Abstand nahm und − spieltheoretisch betrachtet − in Konfliktkonstellationen lieber einen für ihn ungünstigen Kompromiss akzeptierte als auf der Eskalationsleiter mit ungewissem Ausgang immer weiter voranschreiten zu müssen. Nach dem Verlust des amerikanischen Atombombenmonopols und erst recht nach dem Verlust der atomaren Unverwundbarkeit entstand für beide auf Hegemonie ausgerichtete Mächte jedoch eine strategische Situation, in der geopolitische Stabilität ausschließlich mit und zugleich gegen den jeweils anderen errichtet bzw. erhalten werden konnte. Diese für eine duale Hegemonie ausschlaggebende Konstellation steht im Gegensatz zum Selbstverständnis einer jeden Hegemonialmacht, die bei der Wahl der Mittel absolute Freiheit beansprucht − nur durch den eigenen Willen begrenzt. In Bezug auf die gemeinsam hergestellte geopolitische Stabilität waren demnach beide Mächte in gleicher Weise gehindert, alle denkbaren Optionen in reale Politik umzusetzen: Die Durchsetzung des eigenen Willens begrenzte den Durchsetzungswillen des anderen. Als Resultat benötigten nun beide ein entsprechendes Potenzial an Kraftentfaltung, um den jeweils anderen daran zu hindern, bei der Wahl der Handlungsmöglichkeiten lediglich dem eigenen Willen zu folgen. Die „Freiheit“ beider hegemonialer Mächte bestand fortan in der Wahl zwischen den Optionen, die von der eigenen Kraftentfaltung ermöglicht wurden, und den Optionen, die durch die gegnerische Seite konterkariert und daher wirksam beschnitten werden konnten. Da beide Seiten zu keinem Zeitpunkt exakt einschätzen konnten, welcher Handlungsspielraum für einen selbst und dem Kontrahenten tatsächlich zur Verfügung stand, führte das hohe Maß an Unsicherheit dazu, dass sie trotz härtester Konkurrenz zugleich ein gemeinsames Interesse an der Erhaltung der fragilen geopolitischen Stabilität und damit ihrer dualen Hegemonie entwickelten. Dieses Interesse trat insbesondere an geopolitischen Orten zutage, an denen unbedachte Schritte zu unkontrollierbaren Folgen führen konnten, wie z.B. zwischen West- und Ostberlin oder auf den Transitrouten durch die DDR, oder wenn nachgeordnete Mächte beabsichtigten, kurzzeitig in der etablierten Sicherheitsarchitektur des Ost-West-Konflikts auftretende ungeklärte Schwebezustände zum eigenen Vorteil zu nutzen (z.B. Emanzipationsbestrebungen vorwiegend der Westeuropäer im Gefolge des für die USA ungünstig ausgehenden Vietnamkrieges). Im Widerspruch zum immer vorhandenen gemeinsamen Interesse an der Erhaltung der geopolitischen Stabilität (Sicherheitsarchitektur) handelten beide Mächte zugleich im Sinne der Theorie des Kräftegleichgewichts (balance of power), in der sich beide als völlig gegensätzliche Identitäten begriffen. Die USA betrachteten ihren sowjetischen Hegemoniepartner als Erzteufel und Erzrivalen, während sie sich selbst als obersten Verteidiger der Freiheit dekorierten. Die Sowjetunion trat als oberster Repräsentant der Arbeiterklasse auf und unterstellte den USA feindlichste Absichten gegen den Rest der Menschheit. Indem beide Seiten danach trachteten, den anderen mit allen militärischen, wirtschaftlichen und politischen Mitteln zu schwächen, handelten sie im Sinne eines Nullsummenspiels. Sie kümmerten sie sich nicht um die für eine duale Hegemonie lebensnotwendige Erhaltung der geopolitischen Stabilität und verschoben statt dessen − gedankenlos − die Grenzlinie zwischen den für beide Seiten verfügbaren Handlungsoptionen zuungunsten des jeweils anderen. Die Sowjetunion war kurz vor Ende des Ost-West-Konflikts mit der Situation konfrontiert, dass ihre eigene Handlungsfreiheit auf ein Minimum gesunken war, während diejenige der USA ein Maximum erreichte: Sie verlor ihre sämtlichen Einflussgebiete und stand vor ihrer Desintegration. Jedoch auch die USA mussten − wenn auch erst einige Jahre später − akzeptieren, dass das Ende der dualen Hegemonie zugleich auch ihren hegemonialen Anspruch untergraben hatte. 2.1. Rüstungs- und Abrüstungsintentionen Stellt man nach dieser notwendigen Erinnerung zum Verlauf des Ost-West-Konflikts die Frage nach der positiven oder negativen Einschätzung des Einsatzes von Raketen, fällt die Antwort zwiespältig aus. Die Freude der US-amerikanischen und sowjetischen Rüstungsindustrie fiel überschwänglich aus. Fast vierzig Jahre lang war es beiden gelungen, mit dem warnenden Hinweis auf den bereits nahezu uneinholbaren Vorsprung des Gegners die jeweils eigene Regierung zu Erhöhung des „Verteidigungs“haushalts zu bewegen.
2.2. Sinnlosigkeit des Aktions- und Reaktionsmechanismus Die mit der Installation von Raketen und Antiraketen intendierte Abschreckung bzw. Einschüchterung des Gegners erfüllte immer nur vorübergehend die ihr zugedachte Rolle, denn nach jeder Aktion der einen Seite folgte die Reaktion der anderen. Sowjetische Aufholeffekte vernichteten regelmäßig die zunächst herausgeholten Vorsprünge der USA. Verteidigungsanstrengungen auf der Basis des Einsatzes von Raketen waren insofern immer nur vorläufiger Natur und erzielten nicht die insgesamt mit ihnen verknüpften Hoffnungen. Dieser einfachen Abfolge von Aktion und Reaktion das Etikett der „Notwendigkeit“ umzuhängen, wie es die früheren zwei Außenminister der USA Henry Kissinger und George Shultz zusammen mit dem früheren US-Verteidigungsminister Bill Perry und dem ehemaligen US-Senator Sam Nunn propagiert haben, ist Unsinn. Im umfassenden Sinn war nukleare Abschreckung niemals „rational und notwendig“, weder als Nullsummenspiel und schon gar nicht als Handlungsweise der Kontrahenten innerhalb einer dualen Hegemonie. Der Rüstungswettlauf zwang zwar die Sowjetunion zuerst ökonomisch in die Knie, aber den USA blieb der Niedergang ihrer Hegemonialposition ebenfalls nicht erspart. Er ereilte sie jedoch erst, nachdem viele Jahre später Präsident George W. Bush im Krieg gegen den Terror die Ressourcen der USA nachhaltig geplündert hatte und die Finanzkrise den bereits eingetretenen Glaubwürdigkeitsverlust noch verstärkte. Wie soll man den Widerspruch zwischen dem späten Eingeständnis der vier für den Rüstungs- und Abschreckungswettlauf des Ost-West-Konflikts auf amerikanischer Seite Mitverantwortung Tragenden aufklären, dass sie jetzt die Vision einer von nuklearen Waffen freien Welt als bessere Alternative zur Abschreckung propagieren und zugleich darauf beharren, dass der damals von ihnen entscheidend vorangetriebene Aktions- und Reaktionsmechanismus „rational“ und „notwendig“ gewesen sei? Welcher eigenartigen Vorstellung von Rationalität folgen sie und wie sieht ihre Begründung für notwendiges Handeln aus? 2.3. „Abrüstungserfolge“ Angesichts des für die Kontrahenten des Ost-West-Konflikts niederschmetternden Ausgangs der Raketenüberrüstung sollte jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass der Rüstungswettlauf für beide Seiten noch kostspieliger geworden wäre, wenn es zuweilen − trotz des Klimas der irrationalen Konfrontation − nicht gelungen wäre, in Abrüstungsverhandlungen einige offensichtliche rüstungstechnische Fehlentwicklungen von vornherein zu vermeiden. Der beiderseitige völlig sinnlose „overkill“ konnte so wenigstens in Grenzen gehalten werden. Unerreichbar blieb jedoch ein weiteres Minimalziel. Die Begrenzung atomar gerüsteter Mächte auf fünf Staaten, zugrunde gelegt und verankert im
3. „Missile Defense“ als Mittel des globalen Hegemonieanspruchs der USA Adj. Prof. Dr. Bernd W. Kubbig, Direktor des Internetprojekts „Ballistic Missile Defense Research“ der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt, bezog sich in seinem Vortrag zur Eröffnung der Konferenz auf den globalen Hegemonieanspruch der USA und das daraus resultierende unilaterale Handeln, wie er insbesondere unter George W. Bush zu Beginn des Irakkrieges als ultimative Aufforderung zur Teilnahme an der Seite der USA („coalition of the able and willing“) formuliert worden ist. Der Anspruch basierte technologisch auf einer Raketenabwehr, die zu einem hohen Grad jedoch noch unerprobt und nicht ausreichend getestet war. Das amerikanische „antiballistic missile system“ sollte die Sicherheit der USA und ihrer Verbündeten vor einer begrenzten Anzahl anfliegender Angriffsraketen aus sogenannten Schurkenstaaten wie Nordkorea oder Iran schützen, aber nach Aussage einiger Experten war und ist es auch gegen China und Russland gerichtet. 3.1. Vorgetäuschte Effektivität von US-Abfangsystemen Kubbig unterzog sich der Aufgabe, acht Jahre nach einer entsprechenden Behauptung des ehemaligen amerikanischen Verteidigungsministers William Cohen (vom 26. April 2000) und sechs Jahre nach der einseitigen Aufkündigung des Vertrages über Anti-Ballistic Missiles (ABM) durch die Bush-Administration, die Wirksamkeit von Abfangsystemen zu untersuchen. Cohen hatte damals erklärt: „We have a retaliatory capability that if anyone should ever be foolhardy enough to launch a missile attack of a limited or expanded nature against the Unites States, they would be destroyed in the process. That ordinarily should be a sufficient deterrent for the North Koreans, Iran, Iraq or any other country that would seek to acquire this capability.“ (ibid. S. 15). Nachdem sieben Jahre später Daniel Fried vor einem Ausschuss des amerikanischen Kongresses als Begründung für die Aufstellung von Abfangraketen in Polen anführte, die USA wollten Europa von einer atomaren Bedrohung durch Iran beschützen, fragte sich Kubbig, ob Cohen im Jahre 2000 mit seiner Behauptung wider besseres Wissen von einem umfassenden Schutz für die USA und die Verbündeten ausgegangen sei und warum der Iran ausgerechnet seinen größten Handelspartner, die Europäische Union, mit Raketen bedrohen sollte? (ibid.) Wie brüchig die amerikanische Argumentation damals war und bis heute ist, zeigte Kubbig an einem weiteren Zitat aus dem Entwurf des Pentagons „Doctrine for Joint Nuclear Operations“ aus dem Jahre 2005 auf. Darin beschränkte sich die Abwehr von Raketen nur noch auf die Ansammlung von Streitkräften (S.17). Am 23. April 2008 mussten die USA selbst bekennen, wie unzulänglich ihre bisherigen Systeme sind. Daniel Fried sagte vor dem Unterausschuss Europa des amerikanischen Kongresses: „Preemption has its downsides, rather serious ones. So does retaliation. When I think 25 years into the future, a modest missile defense system can be deeply stabilizing. A massive defense system is probably unachievable technologically. That is, if you’re trying to defend against the Russian strategic arsenal, can’t do it. So don’t try. Against smaller threats, there’s a strong strategic argument.“ (ibid. S.18). [zu Deutsch etwa: Das Angriffsvorrecht hat seine Nachteile, sogar sehr gewichtige, wie auch ein Gegenschlag. Wenn ich 25 Jahre in die Zukunft blicke, dann sehe ich, dass eine gemäßigte Raketenabwehr sehr stabilisierend wirken kann. Ein vollständiges Verteidigungssystem ist aber wohl technologisch unereichbar. So z.B. wenn man gegen das russische strategische Arsenal sich schützen wollte; das geht so nicht. Also sollte man es nicht versuchen. Für Verteidigung gegen kleinere Bedrohungen hingegen gibt es starke strategische Argumente.] Kubbig schlussfolgerte, die Befürworter von Antiraketensystemen könnten ihre vollmundigen Versprechen nicht bis in die Gegenwart einhalten. Er überließ es der sich anschließenden Podiumsdiskussion zwischen amerikanischen und deutschen Teilnehmern, die Unterschiede in der Beurteilung dieser Systeme aufzuzeigen. 3.2. Technische Machbarkeit und Motivation der Aufstellung von Raketenabwehrsystemen? 3.2.1. Technische Machbarkeit Im ersten Panel zur Frage der technischen Machbarkeit eines amerikanischen Raketenabwehrsystems für Europa (Teilnehmer: Dr. George Lewis, Cornell University, Ithaca, N.Y, Dr. Timur Kadyshev, Moscow Institute of Physics and Technology, Moskau, Dr. Jürgen Altmann, Technische Universität Dortmund) wurde insbesondere von Jürgen Altmann am Beispiel der möglicherweise vom Iran auf Europa abgefeuerten Raketen veranschaulicht, welche Probleme bei der rechtzeitigen Erkennung und beim Abschuss durch Antiraketen auftauchen. In der kurzen Phase, in der Antriebsmotoren die Raketen auf ihre ballistische Bahn in Richtung Europa schießen würden, könnten deren heiße Abgase sichere Orientierungsdaten liefern. Die Stationierungsorte der Antiraketen müssten jedoch nahe genug am iranischen Territorium liegen, damit sie ihr Ziel noch in der Brennphase der Angriffsraketen aufspüren und treffen können. Ideal wäre ihre Stationierung in Aserbaidschan, wie es die russische Regierung vorgeschlagen hat. Sind erst einmal die Raketenmotoren ausgeschaltet, fliegen die Raketen auf ihrer ballistischen Bahn in großer Höhe antriebslos und deshalb kaum zu orten weiter und können erst nach ihrem Wiedereintritt in den erdnahen Luftraum von in Polen startenden Antiraketen zerstört werden. Wenn sie bereits auf ihrer ballistischen Anflugbahn Richtung Europa mehrere, selbständig Ziele ansteuernde Sprengköpfe ausgestoßen haben, sind die ihnen entgegengeschickten Antiraketen nicht in der Lage, zwischen einer Vielzahl von Attrappen und den wenigen scharfen Sprengköpfen zu unterscheiden. Es müssten also schon sehr viele, mit hoher Geschwindigkeit fliegende Antiraketen bereitgestellt werden, um das in dem Beispiel unterstellte iranische Angriffspotential wirksam auszuschalten. Ganz anders sähe laut Altmann die Situation aus, wenn die im Osten Polens stationierten Raketen nicht gegen anfliegende iranische Raketen eingesetzt würden, sondern gegen die gegenwärtig durch keinerlei Informationen zu begründendende Unterstellung, dass Russland Angriffsraketen gegen seinen wichtigsten Handelspartner, die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und darunter insbesondere Deutschland, in Stellung gebracht hat und auch mit ihrem Einsatz droht. Nebenbei bemerkt steuern russische Angriffsraketen, die auf amerikanisches Territorium zielen, über das Nordpolargebiet und nicht über Europa hinweg ihr Ziel an. Die russische Regierung sähe sich also im Falle der amerikanischen Antwort auf die Russland unterstellte Vermutung genötigt, in Vereinbarungen mit der weißrussischen Regierung gleich hinter der polnischen Grenze ebenfalls Antiraketen zu stationieren, um die kurze Brennphase der amerikanischen Antriebsmotoren für ihre Früherkennung und sichere Vernichtung zu nutzen. Außerdem wüsste sie nicht, ob den anfänglich stationierten Abfangsystemen nicht still und heimlich die Stationierung zielgenauer, bunkerbrechender amerikanischer Angriffsraketen folgt. Ob es sich zunächst um amerikanische Antiraketen handelt oder später um Angriffsraketen, der Luftkampf würde sich über polnischem Territorium abspielen und hätte unter Umständen verheerende Folgen für die dort ansässige Bevölkerung. Selbst eine polnische Regierung unter der Regie der beiden Kaczyński-Brüder wäre wahrscheinlich nicht in der Lage, die negativen Auswirkungen zu akzeptieren, sie der bedrohten Bevölkerung zu erklären und ihr plausibel zu machen, dass sie mit ihrem Leben für die ausschließlich im Interesse der USA in ihrer Nähe stationierten Raketen bezahlen soll. Keine von amerikanischer Seite angebotene Vergünstigung in der Ausstattung der polnischen Armee mit amerikanischen Waffensystemen würde wahrscheinlich lukrativ genug erscheinen, um der bedrohten Bevölkerung als Ausgleich für ihre potenzielle Vernichtung dienen zu können. Sie ist ja auch mehrheitlich gegen eine Stationierung. Ebenso dürfte die Europäische Union einen eventuellen Alleingang Polens als unfreundlichen Akt ansehen, durch den ihr Verhältnis zu Russland ohne ausreichenden Grund massiv beeinträchtigt wird. Die bereits erfolgte Zustimmung der tschechischen Regierung für die Stationierung eines amerikanischen Radarsystems ist unter dem gleichen Blickwinkel zu betrachten. Sie läuft ebenfalls Gefahr, das Gesamtinteresse der EU zu missachten und dient letztlich auch nicht dem wohlverstandenen nationalen Interesse Tschechiens. Auch hier lehnt eine Mehrheit der Tschechen das amerikanische Radarsystem ab. 3.2.2. Motive der USA Naheliegend erscheint dem Berichterstatter folgende Schlussfolgerung: Die beabsichtigte Stationierung amerikanischer Antiraketen in Polen (oder wie angedeutet in Litauen, für den Fall, dass Polen sich verweigert) ist Teil der Gesamtstrategie der USA zur Wiederbelebung des Ost-West-Konflikts und verletzt die grundlegenden Interessen Europas. Die anlässlich der Unterzeichnung des US-amerikanisch-tschechischen Vertrages zur Errichtung einer US-Raketenabwehranlage am 8. Juli 2008 in Prag von der amerikanischen Außenministerin Condoleezza Rice gewählten Worte sind ein deutliches Zeichen. Sie unterstellte Russland, in Abchasien als Aggressor gegen Georgien vorzugehen und unterschlug sowohl die bisher − nach der Zeugenaussage eines deutschen Beobachters vor Ort − sehr zurückhaltende russische Verhaltensweise und vor allem das bereits zur Zeit der Sowjetunion gespannte Verhältnis der moslemischen Bevölkerung Abchasiens zum christlichen Georgien (dazu auch Karl Grobe, Radar gegen Papiertiger, Frankfurter Rundschau 9. Juli 2008). Schon in den achtziger Jahren betonten offizielle Vertreter Abchasiens gegenüber Gästen ihre exklusiven Beziehungen zu Moskau und deuteten damit an, dass die Zugehörigkeit Abchasien zu Georgien sehr unbeliebt sei. Die amerikanische Vorgehensweise demonstriert beispielhaft, wie schwach und teilbar die EU von der Bush-Administration eingeschätzt wird und in welcher abfälligen Weise sie Europa zum Exerzierfeld ihrer globalen Interessen machen will. Nach der bitteren Erfahrung, welche die gesamte europäische Bevölkerung im vergangenen Ost-West-Konflikt gemacht hat, verdient eine solche Politik die Ablehnung aller Europäer (einschließlich der Bevölkerung Polens und Tschechiens) und fordert das Vereinigte Königreich (U.K.) auf, deutlicher als bisher zwischen seinen atlantischen und europäischen Interessen zu unterscheiden. Keine noch so große, obgleich unbegründete, Angst vor dem wiedervereinten Deutschland und einem engen deutsch-russischen Verhältnis, das von manchen als Last für die übrigen Europäer eingeschätzt wird, rechtfertigt die Auslieferung an globale Interessen der Bush-Administration. Wer diese Ängste pflegt, hat die Architektur des alten Ost-West-Konflikts nicht verstanden und trägt zur Entfaltung einer Entwicklung bei, die Europa einer Neuauflage des alten Konflikts näher bringt. 3.3. Zurückweisung des US-amerikanischen Hegemonieanspruchs Das zweite Panel fragte nach der militärischen Notwendigkeit einer weltumspannenden Strategie der Vereinigten Staaten von Amerika, den ihr zugrunde liegenden Motiven und der Beschreibung von Bedrohungen, die danach vom Iran, Russland und China ausgehen. Nachdem der Vertreter der USA, Prof. Dr. Kenneth Moss von der National Defense University Washington D.C., alle möglichen Arten von Bedrohungen aufgezählt und erläutert hatte, denen sich die USA ausgesetzt sähen und fortgesetzt erwehren müssten, entgegneten ihm die Diskutanten auf dem Podium einhellig, dass die den Bedrohungsanalysen zugrunde liegenden Hegemonievorstellungen der USA realitätsfern seien. Die USA sollten davon abrücken und zu einer realistischen Einschätzung der gegenwärtigen Weltlage gelangen. Prof. Dr. Khalid Al-Dakhil von der King Saud University forderte die USA auf, Gespräche mit dem Iran aufzunehmen und nicht in Bedrohungsszenarien zu verharren, Dr. Alexander Pikayev vom Institute for World Economy and International Relations in Moskau bezog sich in seinem Diskussionsbeitrag vor allem auf die der Raketenstationierung in Polen zugrunde liegenden Bedrohungsanalysen, aber wies sie energisch zurück. Russland bedrohe die USA nicht, sondern wünsche gute Beziehungen mit den USA. Prof. Dr. Xia Liping vom Shanghai Institute for International Studies hob ebenfalls hervor, dass China für die USA keine Bedrohung darstelle und die USA sich endlich von nicht mehr aktuellen Hegemonievorstellungen lösen sollten. China müsse wenigstens sicherstellen, dass für den Fall eines amerikanischen Entwaffnungsschlages noch eine bzw. einige Raketen unversehrt übrig bleiben. Nicht mehr und nicht weniger strebe China an. Daraus könne keine Bedrohung der USA abgeleitet werden. Paul Schäfer von der Fraktion der Linken im Bundestag erzählte von seinen Begegnungen mit iranischen Politikern anlässlich seines Aufenthalts in Teheran. Er hätte den Eindruck gewonnen, dass iranische Politiker zwar sehr selbstbewusst, aber keinesfalls selbstgerecht und selbstmörderisch seien. Der Westen sollte mit ihnen ernsthaft verhandeln und die Sicherheitslage, so wie sie sich dem Iran darstelle, in seinen strategischen Überlegungen berücksichtigen und in die Verhandlungen mit dem Iran einbeziehen. 3.4. Erhöhen US-Raketenabwehrsysteme die internationale Sicherheit? Das dritte Panel hatte die Konsequenzen der gegenwärtigen amerikanischen Pläne für Rüstungskontrolle und internationale Stabilität zum Inhalt. Ungeachtet der vorherigen Diskussionen über die Machbarkeit eines amerikanischen Raketenabwehrsystems und der disfunktionalen Stationierung von Antiraketen in Polen gegen iranische Raketen vertrat der eine Teil der Diskutanten die Meinung, dass die Stationierung von Antiraketen in Polen in jedem Fall der Rüstungskontrolle und internationalen Stabilität diene, während der andere Teil seine Zweifel an der Richtigkeit der Raketenstationierung äußerte. Zu den Befürwortern zählte Dr. Oliver Thränert von German Institute for International Politics and Security in Berlin und Dr. Uzi Rubin, Fmr. Sen. Director for Proliferation and Technology, Israeli National Security Council, Tel Aviv. Beide betonten, dass Verhandlungen über Rüstungskontrolle an der Stationierung von Antiraketen in Polen nicht scheitern müssten. Nicht nur Wirtschaftssanktionen gegen den Iran seien geeignet, der iranischen Führung vor Augen zu führen, wie risikoreich die Pläne der (dem Iran unterstellten) atomaren Aufrüstung seien. Zwar unausgesprochen, aber dennoch im Hintergrund präsent war die Mahnung an die russische Führung, angesichts der Stationierung von Antiraketen in Polen und der daraus folgenden negativen Implikationen für Russland den westlichen Sanktionen gegen den Iran nicht mehr nur verbal zuzustimmen, sondern Taten folgen zu lassen. Juri Schneider vom Prague Security Studies Institute in Prag gehörte zur zweiten Fraktion. Er sprach sich vehement gegen den Bau von Radaranlagen in Tschechien und die Stationierung von Antiraketen in Polen aus, befürwortete aber Rüstungskontrollverhandlungen und die Einhaltung des Nichtweiterverbreitungsvertrages für Atomwaffen. 3.5. Wie wirksam sind Antiraketensysteme gegen den Katjuscha-Raketenwerfer und Mittelstreckenraketen? Das vierte Panel beschäftigte sich mit der Sicherheitsproblematik auf regionaler Ebene (Iran, Hamas und Hezbollah) und suchte nach Antworten auf die Frage, ob Antiraketen gegen Kurzstreckenraketen wirksam eingesetzt werden können. Uzi Rubin, vielleicht bereits in Kenntnis israelischer Tests zur Raketenabwehr von primitiven Kurzstreckenraketen (Katjuscha-Raketenwerfer) und Mittelstreckeraketen mit Mehrfachsprengköpfen, vertrat die Auffassung, dass man Raketenangriffen aus dem Gazastreifen oder von Libanon und dem Raketenbeschuss aus dem Iran künftig wirksam begegnen könne, während sein israelischer Kollege Pedatzur die Entwicklung solcher Abwehrsysteme als nicht realisierbar ansah. Pedatzur hielt Rubin die primitive Machart von Katjuschas entgegen, die in sehr großer Anzahl hergestellt und von Gaza oder dem Libanon aus auf die Grenzgebiete Israels abgeschossen werden könnten. Werde Israel mit Mittelstreckenraketen angegriffen, die kurz vor ihrem Wiedereintritt in die erdnahe Luftschicht eine Vielzahl von Attrappen und scharfen Sprengköpfen ausstoßen könnten, gäbe es dagegen keine wirksame Verteidigung. Die aus diesen unterschiedlichen Betrachtungsweisen resultierenden Antworten auf Raketenangriffe waren eindeutig. Der eine befürwortete eine harte Haltung gegenüber Iran, Hamas und Hezbollah, während der andere den Verständigungsfrieden mit den Nachbarn Israels suchte. Ob Israel in der Zwischenzeit tatsächlich ein wirksames Abwehrsystem gegen Raketenangriffe entwickelt hat, wird erst die Zukunft zeigen. Die bloße Ankündigung zielt entweder auf Einschüchterung oder erwünscht sich vielleicht eine panikartige Reaktion, in der die Führer von Hamas den momentanen Waffenstillstand nicht mehr gegen Untergruppen durchsetzen können. 4. Keynote Speeches Vor und zwischen den Panels hielten Dr. Hans Blix, Fmr. Director General, IAEA, und Frm. Minister for Foreign Affairs, Kingdom of Schweden, Stockholm, H.H. Prince Torki M. Saud Al-Kabeer, PhD., Deputy Minister for Multilateral Relations, Kingdom of Saudi Arabia, Riyadh, und Dr. Mohammed Javad A. Larijani, Fmr. Debuty Foreign Minister of the Islamic Republic of Iran und Director of the Institute for Studies in Theoretical Physics and Mathematics, Keynote Speeches. 4.1. Hans Blix: Abrüstungsvisionen und die Aussicht auf eine von Massenvernichtungswaffen freie Zone im Nahen Osten Blix betonte die positiven Effekte der zunehmenden Interdependenz und ökonomischen Integration zwischen Japan und China, Europa und Russland. Dadurch werde die Versuchung, in den gegenseitigen Beziehungen auf Bedrohungsszenarien und den Einsatz militärischer Mittel zurückzugreifen, reduziert. Die beteiligten Mächte hätten begriffen, dass militärische Konfrontation nicht förderlich ist für ihr weiteres Zusammenwachsen. Mit nachdrücklichem Verweis auf die Sicherheitsdoktrin der USA erwähnte er jedoch pessimistische Stimmen, die insbesondere in Ministerien der Verteidigung beheimatet seien und aus deren Sicht die Entsendung von Kriegsschiffen und Flugzeugen immer als Option zur Bekämpfung von Konflikten vorgehalten werden müsse. Auf indirekte Weise sprach Blix damit die hegemonialen Bestrebungen der USA an, mittels einer neuen Containmentstrategie die Strukturen des vormaligen Ost-West-Konflikts wieder zu beleben und Russland und China aus der sogenannten Liga der Demokratien auszuschließen. Im Gegensatz dazu strebte Blix eine Politik der aktiven Kooperation an, die nach dem Ende des Ost-West-Konflikts für einige Jahre betrieben wurde (z.B. beim Verbot chemischer Waffen im Jahre 1993). Nach dem ersten Dämpfer im Jahre 1998 durch die Zurückweisung des Atomteststopp-Abkommens im amerikanischen Senat sei sie nach dem 11.9.2001 ganz aufgegeben und von einer Politik der Überlegenheit US-amerikanischer militärischer Macht abgelöst worden, die ihren prägnanten Ausdruck im − internationales Recht verletzenden und ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrats begonnenen − gegen den Irak geführten Krieg gefunden hätte. Inzwischen sei jedoch das Vertrauen in die militärische Überlegenheit sowohl im Irak wie im Libanon verloren gegangen und die Vereinten Nationen seien gestärkt aus der Entwicklung hervorgegangen. Als Beispiele führte er die Verhandlungen mit Nordkorea und dem Iran an, setzte jedoch im Falle des Irans ein vorsichtiges „Bisher“ hinzu. Blix gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass mit den vorbereitenden Verhandlungen zur Verlängerung des Nichtweiterverbreitungsvertrages (NPT) im Jahre 2010 erneut eine Periode der aktiven Kooperation beginnen könne. Voraussetzung sei, dass die auf Bush folgende neue amerikanische Administration sich aufgeschlossener zeige, bereit sei, die gegenwärtig vergifteten amerikanisch-russischen Beziehungen zu verbessern und die Verhandlungen mit Nordkorea und dem Iran erfolgreich abgeschlossen werden können. Noch viel wichtiger sei, dass die atomar gerüsteten Staaten endlich mit der Reduzierung ihrer Waffenarsenale begäinen. Nur dann gingen sie mit gutem Beispiel für den Besitz von Atomwaffen voran. Als Ratschlag gab er den Politikern auf den Weg, die europäische Strategie gegen die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen aus dem Jahre 2003 zu beherzigen. Darin heiße es: „The best solution to the problem of proliferation of WMD is that countries should no longer feel they need them. If possible, political solutions should be found to the problems, which lead them to seek WMD. The more secure countries feel, the more likely they are to abandon programs …“. [zu Deutsch etwa: Die beste Lösung des Problems der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen ist, wenn Länder nicht mehr meinen, dass sie diese bräuchten. Wenn möglich, sollten politische Lösungen für die Probleme gefunden werden, welche Länder dazu bringen, Massenvernichtungswaffen zu entwickeln. Je sicherer sich die Länder fühlen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie Abrüstungsprogrammen zustimmen.] In diesem Sinne solle man, so Blix, den israelisch-arabisch/iranischen, den nordkoreanisch-amerikanischen und den indisch-pakistanischen Konflikt entschärfen. Im Falle Israels könne man Israel als Gegenleistung für die Abschaffung israelischer Atomwaffen die Nato-Mitgliedschaft anbieten, so dass der gesamte Nahe Osten atomwaffenfrei und der Iran alle eventuellen Bestrebungen nach Atomwaffen aufgeben könne. Blix kam abschließend zu folgenden Schussfolgerungen: Wenn man vom Iran nicht mehr das Ende der Urananreicherung fordere, bevor die eigentlichen Verhandlungen beginnen, die Belieferung mit angereichertem Uran für die zivile Atomwirtschaft garantiere, seine Unterstützung für den Beitritt des Irans zur WTO verspreche, Investitionen im Iran vornehme und die bestehenden Sanktionen aufhebe, sei man einer friedlichen Lösung des Konflikts näher gekommen. Blix wunderte sich darüber, dass man gegenüber dem Iran bisher als Gegenleistung für den Verzicht auf nukleare Anreicherung keine Garantie abgegeben habe, ihn künftig nicht anzugreifen und keinen Regimewechsel herbeizuführen. Genau jene Garantien hätte man Nordkorea gegeben, um Nordkorea von der Produktion von Atomwaffen abzubringen. Blix beendete seine Ansprache mit der Feststellung, er verstehe nicht, dass man alle diplomatischen Bemühungen als bereits ausgeschöpft erklären könne, bevor man nicht auch diese Garantien auf den Verhandlungstisch gelegt habe. So naheliegend seine Forderung auch ist, scheint Blix hier zu übersehen, dass die geographische Lage Nordkoreas nicht vergleichbar ist mit derjenigen des Iran. China kann außerdem gegenüber dem nordkoreanischen Regime auf eine erhebliche Zahl von Druckmitteln zurückgreifen. Das Ende aller amerikanischer Bestrebungen nach einem Regimewechsel im Iran würde bedeuten, darauf zu verzichten, im Iran ein USA-freundliches Regime nach dem Muster des Schahs zu etablieren, das den USA den Zugriff auf die iranischen Erdöl- und Erdgasvorkommen offeriert (wie jetzt bereits von der irakischen Regierung gefordert). Außerdem wäre es das Ende für alle amerikanische Versuche, über iranisches Territorium Zugang zu den zentralasiatischen Öl- und Gaslagerstätten zu erhalten. Blix scheint den bisher trotz aller Niederlagen ungebrochenen Anspruch der Bush-Administration auf Aufrechterhaltung einer hegemonialen Position zu unterschätzen. 4.2. H.H. Prince Torki M. Saud Al-Kabeer: Eine gemeinsame Sicherheitsstrategie für den und im Nahen Osten bzw. in der Golfregion Bereits vor dem Vortrag verdeutlichten anwesende Vertreter Saudi Arabiens die arabische Grundposition im arabisch-israelischen Konflikt. Ihrer Ansicht nach wäre es möglich, den Teufelskreis von „Vertreibung der Vertreiber, der Vertriebenen durch die Vertriebenen“ mit einer gemeinsamen arabisch-israelischen Sicherheitsstrategie zu durchbrechen. Die Grundposition lässt sich in folgenden Sätzen zusammenfassen: Nach der Jahrhunderte zurückliegenden Vertreibung der Juden aus ihrer Heimat und der Besiedelung der entleerten Gebiete durch Araber, deren Nachgeborene nicht für die Vertreibung der Juden verantwortlich gemacht werden können, rechtfertige auch das entsetzliche Verbrechen an den Juden in Nazideutschland (Holocaust) nicht die Errichtung eines rein jüdischen Staates, aus dem Teile der angestammten Bevölkerung unter Zwang vertrieben wurden, andere freiwillig gingen und einige des im Lande verbliebenen Teils über einen minderen gesellschaftlichen Status klagen. Akzeptabel und human wäre es gewesen, ein Zusammenleben der angestammten mit der zugewanderten Bevölkerung in einem Staat zu organisieren, der von beiden Gruppen gemeinsam und einvernehmlich getragen wurde und Jerusalem zur Hauptstadt erklärte. (Das dies möglich gewesen wäre, beglaubigten noch im britischen Protektorat Palästina geborene Juden. Zum Beispiel zeigten sich einige unter ihnen unmittelbar nach dem Sechstagekrieg im Jahre 1967 entsetzt über die nunmehr Platz greifende Auffassung unter ihren Mitbürgern, dass ein Zusammenleben mit den Arabern niemals mehr möglich sein werde. Für sie war damit der Weg eines andauernden Zerwürfnisses mit bitteren Folgen für Israelis und Araber vorgezeichnet.) Vor dem Hintergrund der arabischen Grundposition entwarf Prince Torki M. Saud Al-Kabeer eine Sicherheitsstrategie, die Israelis und Palästinenser über ein Nebeneinander zum Miteinander führt. Aus einem friedlichen Nebeneinander von Israel und Palästinensischem Staat könne jedoch nur dann ein gemeinsamer Staat werden, wenn der noch zu gründende palästinensische Staat lebensfähig sei und Israel seine Siedlungspolitik bis zu den Grenzen von 1947 zurücknehme. Die fortdauernde Einverleibung palästinensischen Gebietes in das Stadtgebiet von Jerusalem sei der Todesstoß für jede gemeinsame Sicherheit. Für Prince Torki M. Saud Al-Kabeer hätte eine dauerhafte Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts Signalcharakter für die gesamte Golfregion. 4.3. Mohammed Javad A. Larijani: Wege zu einer sinnvollen Interaktion zwischen dem Iran und dem Westen Larijani bezog sich während seiner umfangreichen Ausführungen über die iranische Politik, die auf den fünf Grundwerten der Pancasila
Das Existenzrecht der israelischen Bevölkerung darf danach nicht verwechselt werden mit dem beanspruchten Existenzrecht eines israelischen Staates. Der Holocaust kann nach dieser Grundposition nicht als Rechtfertigung für die Aufteilung von Israelis und Palästinenser in zwei unterschiedliche Staaten genommen werden. Als Irans Präsident Ahmadinedschad das Ende des israelischen Staates gefordert habe, habe er nicht den Holocaust geleugnet. Der Newsletter der israelischen Botschaft sah in den Ausführungen Larijanis „eine Iranische Hetze gegen Israel“ (Yedioth Ahronot, 26.06.08). Die Konferenz habe ein Forum für antiisraelische Hetze geboten. Wörtlich hieß es: „Ein wirklich schlimmer Skandal… und das in der Hessischen Landesvertretung in Berlin!!!!!!!!!!“. Laut Yedioth Ahronot hätte der frühere stellvertretende Außenminister des Iran, Mohammad Javad Ardashir Larijani, „zur Annullierung des ‚zionistischen Projekts‘ aufgerufen, das in den vergangenen 60 Jahren … zu einem „fehlgeschlagenen Plan“ geworden sei, das „nur Gewalt und Grausamkeiten“ geschaffen habe.“1 Auf wen diese harsche israelische Reaktion zielte, nahm Larijani bereits in seinen Ausführungen indirekt voraus, als er seinen Eindruck nach Gesprächen mit europäischen Politikern schilderte. Wenn er mit ihnen über Konfliktlösungen spreche, hätte er jedes Mal den Eindruck, dass in ihren Hinterköpfen trotz aller Bereitschaft zum Zuhören und Durchdenken von Lösungsmöglichkeiten immer die bange Frage zirkuliere, was werden die Israelis dazu sagen? Larijani fragte sich, mit welcher Berechtigung sich Israel zum Vordenker der Europäer mache und aus welchen nicht unmittelbar einsichtigen Gründen die Europäer den Israelis diesen Status zubilligen? Larijani forderte dazu auf, „wenigstens für eine Weile“ den paranoiden Umgang mit dem Iran auszusetzen. „Wir sind offen für Verhandlungen, aber nicht offen für Befehle“. 5. Abschlussbetrachtung Die Konferenz zeichnete sich durch die Präsentation eines bemerkenswert hohen Maßes an Expertenwissen und den toleranten Dialog zwischen den Vortragenden untereinander sowie zwischen den Panellisten und dem Publikum aus. Im Unterschied zur Regierungskonferenz im Auswärtigen Amt nahmen an ihr auch Vertreter Syriens und des Irans teil. Der gesamte Diskussionsverlauf war weder durch Antiamerikanismus noch durch Antisemitismus bestimmt, es sei denn, Diskussionsteilnehmer verwechselten Kritik an US-amerikanischen und israelischen Positionen mit solchen Geisteshaltungen. Zustimmung und Kritik begleitete alle vorgetragenen Positionen in der gleichen Weise. Dennoch bleibt ganz allgemein festzuhalten: Es fällt offenbar einer auf Hegemonie pochenden Macht schwerer als einer allseits Anerkannten, kritische Äußerungen nicht nur zu dulden, sondern als in sich berechtigt anzuerkennen und mit gewichtigen Gegenargumenten zu kontern. Noch schwerer fällt es offenbar Vertretern Israels, zwischen der von ihnen beabsichtigten und der durch ihre Intervention tatsächlich erzielten Resonanz zu differenzieren. Wenn es der vom französischen Präsidenten Sarkozy geförderten Mittelmeerunion gelänge, das israelisch-arabische Verhältnis zu entkrampfen und beide Seiten in konstruktiver Weise miteinander ins Gespräch zu bringen, könnten Maximalforderungen zurückgenommen werden und ganz nebenbei fiele auch von Europa eine niederdrückende Last ab. ————————-- 1 Die Hessische Stiftung verwahrte sich gegenüber dem Vorwurf des Antisemitismus und betonte, dass sie vergeblich versucht habe, als Gegengewicht zu Larijani Minister der israelischen Regierung als Vortragende für die Konferenz zu gewinnen. Nur der ehemalige hohe Regierungsbeamte Dr. Uzi Rubin und Dr. Reuven Pedatzur von der Universität Tel Aviv vertraten die israelische Position, beide Israelis offensichtlich wegen der israelischen Absagen gleich auf zwei Panels. Rubin betonte ausdrücklich, dass er seine private Meinung vortrage. <img src="http://vg03.met.vgwort.de/na/7bfeaf2640234a0da2a5c9877fbcee9c" width="1" height="1" alt="" />
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AutorReinhard Hildebrandt ArchiveTextliste
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