1 Frankreich und Deutschland – ein Ursprung, zwei Länder, eine jahrhundertelange
Feindschaft Zunächst müssen wir uns vergegenwärtigen, dass Frankreich und Deutschland vor über 1200 Jahren aus einem Land erwachsen sind: dem Frankenreich. Die Einheit dieses Reiches war zwar gleich nach dem Tod von Karl dem Großen in Frage gestellt, seine Aufteilung unter seinen Söhnen war unumgänglich, aber die Straßburger Eide (842) sind nicht nur ein Dokument der Entstehungsgeschichte der französischen und der deutschen Sprache, sondern zeugen von der gegenseitigen Anerkennung beider Reiche auf Augenhöhe. Spätestens mit dem Ausbruch der Religionskriege wird dieses Verhältnis zerstört. Während des dreißigjährigen Krieges kämpft das katholische Frankreich auf Seiten des protestantischen Schwedens, um das Heilige römische Reich deutscher Nationen in die Knie zu zwingen. Die Befürchtung, dass ein einheitliches Deutsches Reich in der Mitte Europas zu groß ist, ist seither einer der Grundzüge französischer Politik. Friedrich II, an der Spitze des aufstrebenden preußischen Königreiches hat zwar großes Interesse an französischer Kultur (er empfängt Voltaire auf dem Schloss Sanssouci), aber die einstige gegenseitige Anerkennung zwischen Franzosen und Deutschen wird aufgrund der oben beschriebenen widersprechenden geopolitischen Machtinteressen nicht wiederbelebt. Die Französische Revolution – ein Wendepunkt in der Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen? Auch die Euphorie, die durch die Französische Revolution unter den deutschen Intel-lektuellen ausgelöst wird, ändert an dieser Grundkonstante nichts. Im Gegenteil, die Eroberungsfeldzüge, mit denen Napoleon ganz Europa überzieht, rufen die Befreiungskriege hervor und verankern mit dem Versuch, ein einheitliches Deutschland zu gründen, ein Nationalgefühl, das sich zwar in erster Linie auf die kulturelle Zusam-mengehörigkeit beruft, als Widerpart aber eine tiefe Ablehnung gegenüber allem Französischen hat. Der preußisch/deutsch-französische Krieg 1870/71 besiegelt dann die sog. Erbfeindschaft zwischen Frankreich und Deutschland. Ein Bruderstreit wie zwischen Kain und Abel Mit dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, in denen das Deutsche Reich Frankreich überfällt und schließlich von 1940 bis 1944 besetzt, endet die lange Epoche der wechselseitigen tödlichen Zerstörung der beiden Länder. Angesichts dieser desaströsen Entwicklung erinnert die über tausendjährige Beziehung beider Länder ein bisschen an die Geschichte von Kain und Abel. 2 Die Entstehungsgeschichte der deutsch-französischen Freundschaft nach 1945 Ein holpriger Anfang: Montanunion (ab 1951) – EWG (1957) – Elysée Vertrag 1963 = Frankreich als Wächter der Einbindung Westdeutschlands in die westliche Gemeinschaft Zwar war Frankreich – als besiegtes Land – nicht an den großen Konferenzen über die Nachkriegsordnung beteiligt, aber auf Anraten Churchills wird es zur vierten Besatzungsmacht in Deutschland aufgewertet und besetzt somit das Saarland und Teile des Rheinlandes sowie zwei Sektoren in Berlin. Das französische Besatzungsregime ist – im Vergleich zum amerikanischen und britischen – verständlicherweise eher von dem Gedanken der Vergeltung getragen und deshalb besonders rigide. Erst nachdem sich bereits die amerikanische und britische Zone im Hinblick auf den anzustrebenden Wiederaufbau des Weststaates zusammengeschlossen haben, ist die französische Seite bereit, diesem Zusammenschluss zu folgen. Auch Jean Monnet und Robert Schumann, die Wegbereiter der europäischen Eini-gung, befürworteten die Aufnahme Deutschlands in die Montanunion (ab 1951) nicht in erster Linie aus freundschaftlichem Interesse, sondern um das durch den Marshall-plan wiedererstarkende Westdeutschland rechtzeitig einzuhegen. Die Politik der europäischen Integration war von dem Wunsch getragen, die Bundesrepublik so eng wie möglich an den Westen zu binden. In Paris übersah man nicht, dass die europäi-sche Integration gleichzeitig eine Zementierung der deutschen Spaltung bedeutete. Mit Bezug auf den deutschen Wunsch einer Wiedervereinigung äußerte der Politologe Henri Ménudier: „Auch ein wiedervereinigtes demokratisches Deutschland als Mitglied der EG würde eine Hegemonialstellung in der Gemeinschaft einnehmen. Eine EG ohne den deutschen Partner würde aber in die Bedeutungslosigkeit fallen. Frankreich und die anderen Staaten in Europa wünschen eigentlich keine Wiedervereinigung und betrachten dieses Ziel als unrealistisch.“ (Zitat aus R. Hildebrandt, Die deutsche Frage) Dennoch wird mit der Gründung der Montan-Union und später – 1957 – der EWG der erste Schritt in Richtung auf die Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland gemacht. Die entscheidende Geste der Versöhnung wird jedoch erst 1963 von Charles de Gaulle und Konrad Adenauer im Elysée-Vertrag vollzogen: übrigens zwei Jahre nach dem Mauerbau, die entscheidende Maßnahme, die auf jeden Fall sicher stellte, dass auf lange Zeit Deutschland in der Mitte Europas schwach bleiben würde. Mit diesem Elysée-Vertrag ist jedoch zugleich das deutsch-französische Jugendwerk gegründet worden – ein ganz konkreter Baustein der deutsch-französischen Freundschaftsbeziehungen, aus dem inzwischen ein „ganzes Hochhaus“ geworden ist, betrachtet man die Vielzahl an Austauschbegegnungen, Projekten, kulturellen Aktivitäten, die deutsche und französische Jugendliche in erster Linie, mit ihnen aber auch viele andere Drittpartner, zusammenbringen. Darüber jedoch an späterer Stelle mehr. Die Erwartungen der Eliten an die deutsch-französische Freundschaft sind in der Zeit bis 1989/90 insofern komplementär,
3 1989/90 – Das Ende der Geschichte oder „Neuer Wein in alten Schläuchen“ Als eine erste Vorkehrung zur Verhinderung von Instabilität befürwortete Mitterrand eine Nato-Reform. Frankreich, "der Verbündete der Vereinigten Staaten", werde an der Errichtung einer "europäischen Achse, zu der auch die Deutschen gehören", mitar-beiten (Die Zeit,30.3.90). Damit machte die französische Führung unmissverständlich klar, dass die bevorstehende Vereinigung Deutschlands ein engeres Zusammen-rücken der Westeuropäer (Frankreich, Großbritannien, Niederlande) und eine inten-sivere Zusammenarbeit mit den USA nach sich ziehen würde. Von seinem Besuch in den Staaten (20. April 1990) zurückgekehrt, vertrat Mitterrand die Ansicht, dass die USA eine Schlüsselstellung in den Sicherheitsfragen Europas behalten müssten und die Stationierung von amerikanischen Soldaten eine unbedingte Notwendigkeit dar-stelle. (vgl. Reinhard Hildebrandt, Die deutsche Frage) Die Veränderung der Hierarchie zwischen Frankreich und Deutschland Nach 1989 und vor allem nach dem Zusammenbruch des Ostblocks veränderten sich die Rollen Frankreichs und Deutschlands in Europa. Das aus dem Kalten Krieg stammende herrschaftliche Bewusstsein Frankreichs gegenüber der Bundesrepublik ver-schob sich unmerklich zugunsten des vereinigten Deutschlands. Die Forderung Frank-reichs, in einigen Ländern der EU – darunter Deutschland – den Euro einzuführen, gründete sich auf der Hoffnung, dass damit die D-Mark als europäische Leitwährung zu beseitigen wäre und der wirtschaftliche Spielraum Frankreichs damit erweitert würde. Das Gegenteil jedoch trat ein: die Bundesrepublik konnte sich nicht nur mit der einverleibten DDR ein neues Absatzgebiet, sondern auch mit den übrigen osteuropäischen Ländern verlängerte Werkbänke schaffen, in denen zu äußerst günstigen Löhnen die Produkte für deutsche Firmen hergestellt wurden. Der bis heute anhaltende Höhenflug der deutschen Exportindustrie – zum Leidwesen aller anderen Staaten der EU – konnte beginnen. Damit entwickelte sich die Bundesrepublik Deutschland zum zentralen „Player“ der EU und spätestens seit der Griechenland-Krise geschah auch auf politischem Gebiet. Jetzt kam stärker zum Vorschein, dass Deutschland sich als der „Anführer“ der nördlichen EU-Staaten und Frankreich als derjenige der südlichen EU-Staaten verstand und auch künftig verstehen würde. D.h. das deutsch-französischen Duo ist in gegnerischen Lagern angesiedelt, was die Zusammenarbeit nicht einfacher macht. Andererseits gab es und gibt es immer noch enge Abstim-mungen zwischen beiden Staaten z.B. in der Bewältigung des Ukraine-Konflikts, bei dem Erhalt des Abkommens mit dem Iran, in Bezug auf die Aufrechterhaltung des INF-Vertrages. Das schon seit langem vorhandene ökonomische Schwergewicht und die zunehmende politische Bedeutung Deutschlands haben zu einer tiefen Verunsicherung der französischen Bevölkerung geführt und die Beziehungen beider Länder zueinander kompliziert. Macron – ein Politiker mit europäischen Ambitionen / Merkel und Scholz - deutsche Politiker als Bremser Diese für Frankreich ungünstige psychologische Ausgangssituation änderte sich mit der Präsidentschaft Macrons 2017. Seine Versuche, in der europäischen Union eine neue Dynamik zu entfalten und damit Frankreich wieder einen gewichtigeren Stellenwert einzuräumen, gab der französischen Bevölkerung einen Teil ihres Selbstbewusstseins gegenüber Deutschland zurück. Je länger sich jedoch die deutsche Seite gegenüber den europapolitischen Vorschlägen Macrons (Gründung einer europäischen Solidargemeinschaft, Einführung einer europäischen Transaktionssteuer, eine einheitliche europäische Digitalsteuer, Gründung einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft) zögerlich verhielt und es noch immer tut, gerät Macron mit seinen innenpolitischen Reformen ins Hintertreffen und damit sehr stark unter Druck. Die Bewegung der „Gelbwesten“ hat seine Zustimmungswerte in den Keller rutschen lassen und bei der Wahl zum EU-Parlament ist seine Partei auf den zweiten Platz hinter der von Le Pen gelandet. Auch in der Haltung gegenüber dem Brexit vertritt Frankreich – im Gegensatz zu Deutschland – einen strikteren Kurs, aber Deutschland hat sich durchgesetzt und damit die Frage darüber, wann es zu einem Austritt Großbritanniens aus der EU kommen wird, auf die lange Bank geschoben. Die von Macron angemahnten EU-Reformschritte geraten damit wieder in den Hintergrund und die Liste der „Unerfreulichkeiten“ im deutsch-französischen Verhältnis wird immer länger. Und das trotz des im Januar 2019 unterzeichneten Aachener Vertrages, der eine Ergänzung und Vertiefung des Elysée-Vertrages von 1963 darstellt. Wolfgang Streeck (Soziologe und emeritierter Professor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftswissenschaften) fassts die aktuelle Situation in „Le Monde diplomatique“ (Mai 2019) wie folgt zusammen. Für ihn stellt die EU ein liberales bzw. neoliberales Imperium dar, das aus einem Zentrum und der Peripherie besteht. Im Zentrum befindet sich Deutschland gemeinsam mit Frankreich, wobei er verdeutlicht, dass sich Deutschland hinter Frankreich versteckt und Frankreich genau daraus Kraft schöpft. Allerdings begeht Deutschland dabei den Fehler, Präsident Macron nicht genügend mit geeigneten Maßnahmen gegen die eigne kritische Bevölkerung bei seinem Programm der „wirtschaftlichen Germanisierung“ (programme de la germanisation économique) abzusichern. Genau dieser Fehler – sich einerseits hinter Frankreich zu verstecken und es andererseits bei den ökonomischen Problemen auflaufen zu lassen – hat dann auch dazu geführt, dass auf den verzweifelten Versuch Deutschlands, die Migrationsfrage sowie die Flüchtlingskrise über gemeinsame Maßnahmen der EU zu regeln, von französischer Seite nur mit Schweigen beantwortet wurde und damit ein Kompromiss mit den osteuropäischen EU-Staaten auf lange Zeit vertagte. Der sich abzeichnende Brexit führt dazu, dass Frankreich die einzige Nuklearmacht in der ist, die zugleich auch einen Sitz im Sicherheitsrat der UNO innehat, unterstreicht Streeck. Das Machtpotential, das Frankreich daraus ziehen könnte, eröffnet die Möglichkeit, die deutsche Wirtschaftskraft wieder in den eigenen Dienst zu stellen. Betrachtet man die augen-blicklichen deutsch-französischen Beziehungen aus der „Vogelperspektive“ kommt man zu folgender Metapher: Der „deutsch-französische“ Motor stottert. 4 Gibt es sie eigentlich: die deutsch-französische Freundschaft? 4.1 Unterschwellig verbindende Strömungen Warum nur spricht man trotz der dargestellten Probleme, die man auch für den ökonomischen Bereich (man denke an deutsch-französische Konzerne wie z.B. Airbus oder „arte“) aufzeigen könnte, dennoch von der deutsch-französischen Freundschaft. Ist es ein Phantom, das gerne herbeigeredet wird und sich gut für Sonntagsreden eignet, oder gibt es sie wirklich? Meine weiteren Ausführungen möchte ich unter einen Vorbehalt stellen: Ich sehe zwar einerseits die Probleme, die im deutsch-französischen Verhältnis bestehen, bin jedoch andererseits so sehr dem Französischen verbunden (warum erkläre ich später), dass ich mich ganz bewusst in diesem Teil zu meiner subjektiven Haltung bekenne. Die Tatsache, dass Deutschland und Frankreich aus einem Reich entstanden sind, macht schon verständlich, dass es tiefliegende Verbindungen geben muss, derer wir uns gar nicht immer bewusst sein können. Aber natürlich lassen sich anhand der Kultur, der Handwerkskunst, der Zivilisation im allgemeinen wechselseitige Beziehungen zwischen beiden Ländern erkennen und auch benennen. Die Erschütterung, die der Brand von Notre-Dame in Deutschland (natürlich auch in Europa und der Welt) ausgelöst hat, die tiefe Anteilnahme mit den Opfern der Attentate in Frankreich zeigt m.E. ganz gut diese tiefer liegenden Verbindungen. Die Tatsache, dass an den deutschen Höfen (natürlich nicht nur dort) vorzugsweise französisch gesprochen wurde, man sich in der Baukunst, in den Sitten, der Mode an Frankreich orientierte, ist zwar wiederum mit politischen wie wirtschaftlichen Entwicklungen erklärbar, hatte jedoch eben ganz entscheidende Wirkungen auf die grundlegenden Strömungen in der deutschen Gesellschaft. Die umgekehrte Beeinflussung ist weniger dominant. Sie ist jedoch deutlich im Bereich der Musik und im Bereich der Philosophie. Alle aktuellen namhaften französischen Philosophen (Merleau-Ponty, Derrida, Foucault, Nancy, Morin, Xixous etc.) beziehen sich auf Hegel, Nietzsche, Heidegger, Husserl und beherrschen natürlich auch die deutsche Sprache. Beim Einfluss der Mode bleibt es auf Lagerfeld beschränkt, dessen Lebensmittelpunkt dann aber auch Frankreich bzw. Paris war. Auch einige, aber wenige, Stars und Regisseure aus der Film- und Musikbranche haben nach Frankreich hineingewirkt: Marlene Dietrich, Romy Schneider und Wim Wenders seien als drei Beispiele erwähnt. Marlene Dietrich und Romy Schneider wurden jedoch aufgrund ihrer kritischen Haltung gegenüber Deutschland bzw. gegenüber der kleinbürgerlichen Enge der Nachkriegszeit eigentlich nach Frankreich „ver-trieben“ und sind dann erst sehr viel später – teilweise erst nach ihrem Tod - wieder in Deutschland gewürdigt worden. Wim Wenders Film „Der Himmel über Berlin“ begei-sterte das französische Publikum, weil er den Klassikern der „nouvelle vague“ so ähnlich war und das „Mystische“ der deutschen Teilung in Szene setzte. Ansonsten wirkt das aktuelle Deutschland im Bereich der Literatur, des Films sowie der Musik wenig nach Frankreich hinein: aktuelle deutsche Romane werden selten ins Französische übersetzt, auf den Filmfestspielen in Cannes gelangen deutsche Filme selten in den Wettbewerb, die neue deutsche Welle in der Musikszene wird in Frankreich kaum wahrgenommen, obwohl Hip-Hop und Rap sich z.T. auch von französischen Bands inspirieren lässt. Einzig Berlin ist inzwischen der Sehnsuchtsort vieler junger Franzosen (die jedoch auch eher dem links-intellektuellen Milieu zuzuordnen sind) geworden und sich in der Stadt eine Existenz aufbauen, um dem z.T. zentralistisch rigiden Frankreich zu entkommen. Aber auch diese Betrachtung, die natürlich aus Zeitgründen unvollständig ist, richtet ihren Blick auf bestimmte Schichten in beiden Gesellschaften, die wenig mit „dem einfachen Mann, der einfachen Frau auf der Straße“ zu tun haben. Zu erklären bleibt noch, wie sich so etwas Seltsames wie die Idee von der deutsch-französischen Freundschaft entfaltet hat? 4.2 Die alltägliche deutsch-französische Freundschaft Die beiden Weltkriege als verbindendes Element?! So paradox es klingen mag, aber es waren die Kriege, die breite Bevölkerungs-schichten aus beiden Ländern näher zusammengebracht haben. Wer kennt nicht die vielen Erzählungen, die davon berichten, dass - französische und deutsche Soldaten im ersten Weltkrieg zu Weihnachten in ihren gegnerischen Schützengräben gemeinsam Lieder gesungen haben, - im zweiten Weltkrieg französische Zwangsarbeiter durchaus freundliche Aufnahme auf deutschen Bauernhöfen finden konnten und sie deren Besitzer, die als Soldaten an der Front kämpften, ersetzten. Die vielen realen Liebes- und Freundschaftsgeschichten, von denen einige Eingang in die Literatur oder den Film gefunden hatten (Hiroshima, mon amour, Frantz), zeugen von diesen Begegnungen. Meine Eltern, beide während des 2. Weltkrieges in Frankreich (meine Mutter als Sekretärin von Siemens in Paris; mein Vater als Soldat in Paris und an der Atlantikküste) haben mir so viele wundervolle Geschichten über dieses Land und die Leute erzählt, dass in mir eine ganz tiefe Zuneigung entstanden ist, Frankreich ist eigentlich meine zweite Heimat geworden. Aber auch umgekehrt gibt es solche menschlichen Erfahrungen: die Sängerin Corinne Douarre ist Ende der 90iger Jahre auf den Spuren ihres Vaters (Zwangsarbeiter in Plauen) nach Berlin gekommen und singt sehr be-rührende Geschichten über ihre deutsch-französischen Wirkungskreis. (Chanson einblenden „Zusammen oder getrennt“). Das deutsch-französische Jugendwerk als Motor für Partnerschaften verschiedenster Art Dieser in jenen äußerst finsteren Zeiten entstandene Wunsch nach einem gemein-samen Frieden, nach gegenseitiger Entschuldigung über zugefügtes Leid, nach Versöhnung, hat dann auch zu dem großen Erfolg der Partnerschaften (Städte-, Gemeinden-, Sport- und Schulpartnerschaften) beigetragen, der vor allem mit der Gründung des deutsch-französischen Jugendwerk in Gang gesetzt wurde. In den letzten Jahren haben jeweils rund 200000 Jugendliche und junge Erwachsene an den verschiedensten Austauschvorhaben teilgenommen – angefangen von den Grund-schulkindern, über die Schüler*innen, Student*innen bis hin zu den Lehrer*innen. Seit 1963 sind es neun Millionen. Mehr und mehr wendet man sich auch an die Jugendlichen, die weniger Chancen aufgrund schwieriger Situationen im Elternhaus haben. Über Programme und Projekte, die besonders auf sie ausgerichtet (Sport, Tanz, berufsbildende Projekte) sind, sollen sie für das jeweilige Partnerland aufge-schlossen werden. Viele derjenigen, die an diesen Austauschvorhaben teilgenommen haben, sind in ihrem späteren beruflichen Leben weiterhin im deutsch-französischen Kontext tätig. Diese Projekte sind gerade in den letzten Jahren keineswegs ausschließlich auf die beiden Länder spezialisiert geblieben, sondern beziehen häufig einen dritten Partner ein. Hier richtet sich der Blick vor allem nach Osten. In Berlin gibt es zudem noch den Vorteil, dass es eine zweite deutsch-französische Struktur (centre français, im Berliner Bezirk Wedding) gibt, die das deutsch-französisch Jugendwerk unterstützt, aber vor allem auch eigene Programme im Bereich des Sports, der Kunst, der Natur, der Musik anbietet, die Jugendlichen aus allen Schichten offenstehen. Wichtig ist dabei, dass die Beherrschung der Partnersprache keineswegs die Voraussetzung für die Teilnahme ist, sondern umgekehrt: über die Teilnahme wird das Interesse an der Partnersprache geweckt und gefördert; die dazu erforderlichen Akteure bzw. Mittler oder Übersetzer stehen zur Verfügung und bieten Aktivitäten zur Sprachanimation an. Um den ersten Schritt hin zu dem Anderen (dem Franzosen/dem Deutschen) zu machen, geht es nie um Sprache, sondern immer um die Öffnung zum Anderen. Auch wenn sich Deutsche und Franzosen gar nicht verständigen können – wie z.B. die Eltern meines Mannes gegenüber einem ehemaligen frz. Zwangsarbeiter und seiner Ehefrau – so verstanden sie sich doch bestens über ihre Herzenswärme, über die Anerkenntnis, dass das tägliche Leben jeweils die gleichen Herausforderungen und Formen der Bewältigung mit sich bringt. Das gemeinsame Tun und die gemeinsame Bewältigung von Proble-men schafft eine Verständigungsbasis, die der beste Garant für die Bewahrung des friedlichen Zusammenlebens ist. Dies haben die deutsch-französischen Beziehungen in exemplarischer Weise immer wieder bewiesen. Andere Länder beneiden uns genau darum. Dennoch sollte nach wie vor im Bildungsbereich darum gekämpft werden, dass – neben Englisch – Französisch in Deutschland und Deutsch in Frankreich eine wichtige Position einnimmt. Die Fähigkeit, die Sprache des Partners zu beherrschen, bleibt eine wichtige Voraussetzung für die deutsch-französische Verständigung. Ein Mythos, der nicht zerstört, sondern – mit realistischem Blick – gepflegt werden sollte Gemessen an der Realität ist es sicher richtig, wenn man die deutsch-französische Freundschaft als einen Mythos betrachtet. Diesen Mythos sollten wir aber unbedingt pflegen und an ihn glauben, dann kommen wir seiner Verwirklichung – bei allen Rück-schlägen – immer ein Stückchen näher … ohne ihn je zu konkretisieren. D.h. statt globaler Warnungen können eine klare Analyse der Machtverhältnisse, Erkenntnisse über bereits Erreichtes, über zu Bewahrendes und Hoffnungen auf weiter Auszu-bauendes hilfreich sein, um den Blick in die Zukunft zu richten.
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![]() G. Sampath 4 Getty Images Struggling: “Angela Merkel is under attack for doing too much for the refugees, and for not doing enough.” In this photo, Germany's Chancellor Angela Merkel is seen greeting people at a refugee camp in Gaziantep, Turkey. Photo: Steffen Kugler - via Getty Images TOPICS Germany’s economy needs immigrants to counter an ageing demographic. This could be the deciding factor driving the country’s integration policy A Turk running a Doner kebab outlet in Germany is a cultural stereotype. But for the casual visitor walking the streets of Berlin or Hamburg, the stereotype leaps into life — a visual comment on Germany’s mixed record in integration. In April, German Chancellor Angela Merkel announced a new law on refugee integration. The draft bill makes learning German and attending job training courses compulsory for refugees. Not doing so would attract penalties in the form of benefit cuts. The bill has provoked contrasting reactions. The government is projecting it as a ‘historic’ legislation that will streamline the integration process. But activists involved in refugee integration are unhappy. They say the penal provisions send out the signal that it is the refugees who are uninterested in integration. It betrays a ‘blame the victim’ mentality that gives fodder to far-right parties such as the Alternative for Deutschland (AfD). In 2015 alone, 1.1 million refugees entered Germany. Around 4,76,000 asylum applications were registered in the country in 2015 — more than all the other EU countries combined. It is expected to receive 8,00,000 asylum applications this year. Getting refugee integration right All this means two things. First, the manner in which the Merkel administration addresses the refugee situation will impact how the issue plays out politically at the European level. German politicians and bureaucrats privately expressed fears about the refugee influx toppling the European project, and that seems to be one big reason why Germany is keen to get refugee integration right. For instance, the recent move by Hungary, Croatia, and Austria to tighten border controls to check the flow of refugees has threatened to set the clock back on freedom of movement within the Schengen zone — something neither the German economy nor the EU can afford at this point. Second, in Europe, Germany has the best track record on the security front. There have been Islamist terror attacks in Madrid, London, Paris, and, most recently, in Brussels, but none on German soil. This impressive record is linked to Germany’s relative success in integration of migrant minorities — as compared with, say, Belgium, which has recently been dubbed “a top exporter of jihadists to Syria”. This does not mean that Germany’s immigrant population of 16 million (one-fifth of the total population of 80 million) is properly integrated. The Turks, who comprise the largest immigrant group, numbering 1.5 million, score consistently below ethnic Germans on most socio-economic indicators, including education and income levels. But on the positive side, the German government seems to be aware of this, and is trying to make amends. The inflow of refugees is not a new problem for Germany. What is new, perhaps, is the volume of the recent arrivals, and the under-preparedness of the country’s political class towards the inevitable. Walking a tightrope Now, in the spring of 2016, the heady days of ‘Wilkommenskultur’ (culture of welcoming) seem a distant memory. The anti-refugee party AfD has made an electoral comeback. Stuttgart and Berlin have witnessed competing demonstrations by both xenophobic and pro-refugee protestors. With Germany getting polarised between the two camps, Ms. Merkel is under attack from both sides — for doing too much for the refugees, and for not doing enough. But the astute politician that she is, the German Chancellor has tried to cater to both. The deal being brokered with Turkey is a strong signal to the angry right — and the worried centre — that the days of Wilkommenskultur are over. At the same time, the new draft integration bill is a bid to assure the pro-refugee constituency that she is committed to refugee welfare and that the mistakes of the past will not be repeated. Germany’s refugee integration process rests on three pillars: one, weeding out economic migrants from those fleeing persecution, and sending the former back home; two, ensuring refugees learn the German language and ‘German values’; and three, ensuring those granted asylum/residence in Germany possess the skills necessary to be integrated into the labour market — this is the logic behind the compulsory attendance of job training courses. Apart from these measures, German municipal authorities have aimed to disperse refugee housing and shelters across neighbourhoods so as to prevent the formation of ghettoes. But they have had to contend with resistance and even law suits from citizens opposed to construction of refugee shelters in their neighbourhood. Also, there is a cultural fear, fuelled by the right, of a creeping Islamic take over of Europe that is particularly pronounced in eastern Germany. Other challenges have emerged from the social matrix of the refugees themselves — for instance, sexual violence against women and minors in refugee shelters. That Germany doesn’t have the manpower to process the volume of paperwork of asylum-seekers also means that refugee youth are forced to remain in camps for several months, just waiting. This is a recipe for frustration that could be tapped by radical elements. Amid all this, a steady source of optimism and energy has been the 60 per cent or so of ordinary Germans who are still committed to the official values that Europe claims to stand for: human rights and democracy. It is they who turn up on the streets to counter every anti-refugee rally by PEGIDA (Patriotic Europeans Against the Islamisation of the West (Occident)), or AfD with a pro-refugee one; serve as volunteers at refugee shelters; and hold the German state to its constitutional mandate, which requires it to treat every asylum-seeker with dignity. At any rate, the German economy desperately needs immigrants to counter an ageing demographic. This practical consideration could even trump humanitarian concerns as the deciding factor driving integration policy, for there really is no other way to address the looming labour shortage facing Germany. Germany needs its immigrants to be doing much more than making doner kebabs — it needs them in its banks, its government offices, universities, and IT companies. Given that many of these factors are common to the rest of EU as well, it won’t be surprising if Germany leads by example, and perhaps prevails upon other EU nations to accept their quota of refugees. To be sure, that’s an ideal scenario. But given the German aptitude for persistence and pragmatism, it is not an impossible one. [email protected] Keywords: germany economy, Angela Merkel, refugees in Germany, EU, integration policy, Germany’s immigrant population <img src="http://vg03.met.vgwort.de/na/bda69e376684460394232f44576f6705" width="1" height="1" alt="'' /> Simone Lück-Hildebrandt
Warum Europa nicht ohne die Entwicklung eines eigenständigen Bewusstseins erfolgreich sein wird: Angesichts der Orientierungslosigkeit, die zurzeit die Gemüter zu beherrschen scheint, hat sich „die Zeit“ entweder Rat suchend an einen gewandt, von dem sie glaubt, dass er die internationale Gemengelage mit genügend Abstand und Kenntnis ausgewogen darzustellen und zu beurteilen versteht oder ihre - in der Zeit-Redaktion - bereits vorgefasste Meinung bestätigt. Ihre Wahl traf auf Joschka Fischer, den ehemaligen Außenminister der Bundesrepublik. (Die Zeit, 18.02.2016). Gleich die ersten Erklärungen Fischers zu der Frage nach Putins Zielen zeigen, dass er nicht wirklich in eine notwendige vertiefende Analyse der russischen Situation einsteigt, sondern lieber an der Oberfläche bleibt, indem er die Gefahr eines militärischen Eingreifens Russlands in Polen und den baltischen Staaten mit den Worten, “Man will das ‚nahe Ausland‘ wieder unter russische Kontrolle bringen“, heraufbeschwört. Das Scheitern der von Deutschland angebotenen Modernisierungspartnerschaft macht er daran fest, dass Putin beschlossen habe, „... dass Russland im Wesentlichen Energie- und Rohstoffexporteur bleibt und damit die Machtstruktur, die dahintersteckt, erhalten wird“. Von dieser Machtstruktur, deren einziges Standbein für außenpolitisches Handeln – nach Fischers Auffassung – die militärische Stärke ist, gehen Gefahren aus, über die sich „Teile der europäischen Wirtschafts- und politischen Elite“ nicht im Klaren seien. Fischer unterlässt es, danach zu fragen, aufgrund welchen politischen Klimas die Modernisierungs-partnerschaft gescheitert ist. So geht er mit keinem Wort auf die Ausdehnung der Nato nach Osten ein, die am Ende des Ost-West-Konflikts noch nicht zum erstrebenswerten Zielkatalog gehörte und insbesondere von den USA betrieben wurde, kein Hinweis erfolgt über die Stationierung von Raketenstellungen in Osteuropa unter dem angeblichen Vorwand, gegen Angriffe aus dem Iran gewappnet zu sein, ganz zu schweigen von der Aufkündigung des Dialogs beispielsweise im Nato-Russland-Rat. Die deutsch- bzw. europäisch-russische Kooperation betrachtet Fischer unter dem Blickwinkel der konservativen Tradition Preußens - über Bismarck bis hin zu den heutigen Konservativen; die SPD schließt er mit dem Hinweis auf die Ostpolitik und „eine unterschwellige deutsch-nationale Orientierung“ ein. Die „leuchtende“ Aus-nahme in der deutschen Nachkriegsgeschichte sei Adenauer gewesen, der 1949 begriffen hätte, dass nur durch eine eindeutige Westbindung Deutschland „aus dieser Rolle des schwankenden Halmes zwischen Ost und West“ befreit werden könne. Dass diese Entscheidung zur Westbindung von den westlichen Siegermächten im engen Verbund mit den Vergabebedingungen des Marshallplans vor 1949 getroffen worden war (z.B. mit der 1948 einseitig gegen die Sowjetunion durchgeführten Währungsreform in den drei westlichen Besatzungszonen und den Westsektoren Berlins) und damit konstituierend für die zunehmende Teilung Deutschlands wurde, erwähnt Fischer genauso wenig wie die schon unter Adenauer begonnene Öffnung der Wirtschaftsbeziehungen zur Sowjetunion (Röhren gegen Erdöl). Aus dem Blickwinkel Fischers, der die Aufgabe dieser Westbindung als größte Gefahr betrachtet, wird jegliche Annäherung an Russland – ob politisch oder wirtschaftlich – als Wunschtraum einer deutsch-russischen Symbiose abgetan, die in der Vergangenheit nie funktioniert hätte und in der Zukunft zu „Instabilität, Unsicherheit und Misstrauen“ führen würde. Ist einmal dieses „Axiom“ – d.h. die eindeutige Westbindung Deutschlands bzw. Europas darf unter keinen Umständen aufgegeben werden – gesetzt, leiten sich alle anderen Argumentationen Fischers daraus „logisch“ ab. Zum Beispiel sieht er die augenblickliche Diskussion über unsere Identität, unsere Werte als notwendig an, unterstellt aber zugleich Russland, diese Debatte aus machtpolitischen Interessen in seinem Sinne anzuheizen. Dass Russland in gleicher Weise die Informationskanäle nutzt, um Unruhe zu stiften, wie umgekehrt „der Westen“ mit seinem Potential die innerrussische Bewegung in Richtung auf eine Regimeveränderung unterstützt, liegt auf der Hand, wird aber von Fischer nicht aufgedeckt. So ist es für ihn auch kein Widerspruch, die Ablehnung der Türkei als Vollmitglied der EU zu kritisieren, jedoch und das fast zur gleichen Zeit beginnende „Einfrieren“ der Beziehungen zu Russland aber (Sanktionspolitik) unerwähnt zu lassen. Erdogan, meint er, sei zwar „kein einfacher Partner“, mit ihm müsse man aber gemeinsam in der Bewältigung des Syrien-Konflikts handeln. So wie es auch „gewichtige Argumente normativer und moralischer Natur“ gegen Saudi-Arabien [gäbe d.Verf.], aber ohne dieses Land eine Lösung für Syrien zu suchen, brächte nun einmal nichts. Dass auch ohne die Einbeziehung Russlands und des syrischen Machthabers Assads ebenfalls keine Lösung gefunden werden kann, verdeutlicht Fischer nur sehr unzulänglich. Was würde z.B. nach der Beseitigung des Alawitenregimes passieren? Wäre der dann folgende Vormarsch des Islamischen Staates - von maßgeblichen Kräften Saudi-Arabiens finanziell unterstützt - bis an die Küsten des Mittelmeeres für Fischer akzeptabler? Fischers Denkmuster ist klar: die Türkei und Saudi-Arabien sind Teil des westlichen Bündnisses. Sie dürfen zwar gelegentlich kritisiert, aber auf keinen Fall ausgegrenzt werden – man braucht sie ja noch für die Bewältigung der drängenden Aufgaben. Russland dagegen ist nicht nur nicht Teil des westlichen Bündnisses, sondern seine Dialogbereitschaft wird grundsätzlich in Frage gestellt und als gefährliches taktisches „Unterwanderungsmanöver“ gebrandmarkt. Das Etikett „Reich des Bösen“, das er Saudi-Arabien nicht anheften will, verleiht er unterschwellig Putins Russland. Vom Einsatz im Kosovo, den er aufgrund der dahinterstehenden „Ordnungsidee“, den Balkan nach und nach in die EU zu integrieren, rechtfertigt, zieht er eine direkte Linie zu der Umbruchsituation in Osteuropa im Jahre1989. Seiner Auffassung nach ging es den Osteuropäern nicht nur um Demokratie, sondern um den Wunsch, „nie wieder auf der falschen Seite der Geschichte [zu] stehen, nämlich auf der russisch-imperialen Seite ...“ Der Westen sei darauf vorbereitet gewesen, den Weg nach Europa – in die Nato und in die EU – zu öffnen. D.h. im Klartext: auch dem „Westen“ ging es keineswegs nur um demokratische Entwicklungen, sondern um das eindeutige Interesse, die eigene Einflusssphäre zu Ungunsten Russlands auszudehnen. Ob andererseits bereits 1989 die osteuropäische Bevölkerung die Eingliederung in die EU bereits als vorrangig zu erstrebendes Ziel vor Augen hatte, wäre zumindest eine Frage, die genauer analysiert werden müsste. In jedem Fall ist die Gleichsetzung der Situation auf dem Balkan von 1999 mit derjenigen in Osteuropa von 1989 problematisch. Die unterschiedlichen komplexen Zusammenhänge, die zum Zusammenbruch des Ostblocks einerseits und zum Einsatz im Kosovo andererseits geführt haben, werden bei einer solchen Sichtweise völlig ausgeblendet und einer als gradlinig ausgegebenen Strategie „des Westens“ untergeordnet. So ist es dann auch das Fehlen einer solchen „europäischen Perspektive“ zurzeit des Arabischen Frühlings und die völlige Zerstrittenheit im Maghreb und im Nahen Osten, die – nach Fischer – eine Ordnung von außen völlig unmöglich macht. Der Einsatz des Westens in Libyen – ohne jegliche Perspektive für die Zeit nach Gaddafi –, wodurch zusätzlich Öl in das Feuer des Chaos gegossen und dem Islamischen Staat aufgrund des Machtvakuums Entfaltungsmöglichkeiten geboten hatte, bleibt in dieser Argumentationslinie unerwähnt. Zwar gibt Fischer zu, dass mit der US-amerikanischen Intervention im Irak die im Ersten Weltkrieg von Engländern und Franzosen geschaffene Nahost-Ordnung vollends ins Chaos gestürzt wurde, die Entstehung des IS in den irakischen Gefängnissen nach besagter Intervention stattgefunden hat, aber er spricht zugleich den Europäern jegliche Handlungsoption aufgrund ihrer Schwäche ab, da sie nicht bereit seien, „Soldaten in den erforderlichen Größenordnungen bereitzustellen“. D.h. Lösungsmöglichkeiten werden nur unter der militärischen Perspektive durchgespielt, die sich jedoch aufgrund der fehlenden europäischen Ordnungsidee – wie bereits oben ausgeführt – überhaupt nicht anbieten. Auf die Frage, ob man sich nicht von den USA verlassen fühlen müsste, wenn man betrachte, dass sie erst das Chaos im Mittleren Osten angerichtet hätten und dann Europa die hohe Anzahl der Flüchtende überließen, antwortet Fischer recht vage. Einerseits sieht er das Ende der USA als Weltführungsmacht gekommen, andererseits dürften sie sich nicht einfach als die größte wirtschaftliche und militärische Macht aus der Weltpolitik zurückziehen. Die Gefahr eines Machtvakuums wäre zu groß. Zugleich traut er aber auch den alten Strukturen des internationalen Staatensystems kaum noch zu, Lösungsmöglichkeiten anzubieten. Letztendlich ließe sich alles, meint er, „unter der generellen Überschrift eines Niederganges der Herrschaft des Westens über den Rest der Welt (…) – Niedergang der Herrschaft des weißen Mannes“ einordnen. Aber findet dieser Niedergang - angesichts der verschiedenen TTIP-ähnlichen Handelsabkommen, die sich über die ganze Welt erstrecken - überhaupt statt? Dieser Frage müsste sich Fischer zumindest stellen. Dieser wichtige ökonomische Aspekt spielt im dem Interview mit ihm überhaupt keine Rolle. Stattdessen wird von Fischer für die prekäre Situation der „Niedergang der Herrschaft des weißen Mannes“ als Auslöser für die Ängste der unteren Mittelklasse in den USA und in Europa benannt. Auch In seiner Argumentation bleibt völlig unerwähnt, dass die Folgen der Globalisierung und der Deregulierung, d.h. die Auswirkungen des insgesamt neoliberalen Wirtschaftskonzepts, die entscheidende Grundlage für diese Situation bilden. Welche Schlussfolgerung ist nun aus diesem – wie die Interviewer selbstironisch anmerken – „größenwahnsinnigen Gespräch“ zu ziehen? Wer wie Fischer trotz des sich verändernden weltweiten Kräfteverhältnisses rückwärtsgewandt weiterhin auf der bedingungslosen Festigung des innerwestlichen Dreiecks - mit den USA an der Spitze und Europa sowie Japan an der Basis - festhält und für die Europäische Union mit samt des Mitglieds Deutschland nicht nach neuen weltweiten Perspektiven sucht, versagt als Außenpolitiker. <img src="http://vg03.met.vgwort.de/na/bbfee30dae8a4d1982393201a6551c0f" width="1" height="1" alt="" /> Obwohl sich ein Vergleich zwischen der Europäischen Union und der Ukraine nicht auf den ersten Blick aufdrängt, haben beide eine Gemeinsamkeit: ihre Randsituation innerhalb größerer Zusammenschlüsse. Die EU existiert im transatlantisch-pazifischen Verbund am östlichen Rand und die USA nehmen sich nach wie vor als Zentrum dieses Dreiecks wahr. Die weiter abnehmende Bedeutung des innerwestlichen Dreiecks zwingt die EU zur Entfaltung einer eigenen Identität. Die Ukraine steht gegenüber der EU und Russland ebenfalls in einer Randstaatenposition, abwechselnd mehr Russland oder der EU zuneigend bzw. mal mehr von der einen oder der anderen Seite vereinnahmt.
1. Die EU am Rande des innerwestlichen Dreiecks Zur Zeit des Ost-West-Konflikts ordneten sich die Staaten des westlichen Europas den Vorgaben aus den USA in der Regel ohne große Einwände unter. Nach dessen Ende (1990) fühlten sie sich von der Furcht vor der Sowjetunion zwar befreit und erinnerten sich verstärkt ihrer nationalstaatlichen Identität, aber unternahmen zunächst keine Versuche, aus dem innerwestlichen Dreieck USA – Japan – EU auszuscheren. Sie begriffen sich weiterhin als integraler Teil des „Westens“, aufgehoben in der Wertegemeinschaft mit den USA; allerdings begannen sie gegenüber den USA eine stärkere Mitsprache einzufordern. So beklagten die kontinentaleuropäischen Mitglieder der EU in der Ära Clintons häufiger die Sonderstellung Großbritanniens, das sich selbst als Bestandteil der anglo-amerikanischen Hegemonie empfand und gegenüber den übrigen Mitgliedern der EU die Interessen der USA vertrat. Aber erst in den zwei folgenden unilateral bestimmten Amtsperioden von Bush Junior bemühten sie sich stärker um die Herausbildung einer gesamteuropäischen Identität, ohne dass ihr Anliegen bereits für die politische Praxis relevant wurde. Viele Mitglieder der EU betrachteten sich und ihre Einschätzung der übrigen Welt immer noch vorwiegend aus dem Blickwinkel der transatlantischen Partnerschaft und hielten privilegierte Beziehungen zu den USA weiterhin für unverzichtbar. Diese Haltung änderte sich erst allmählich, nachdem die einschneidenden Effekte der von den USA ausgehenden Finanzkrise die EU voll erfasst hatten. Die Mitgliedsstaaten der EU mussten und müssen schrittweise erkennen, dass ihr fortgesetztes vasallenhaftes Verhalten zu den USA den Stellenwert der EU auf dem globalen Parkett schwächt. Auslösend waren hierfür die abnehmende Bedeutung des innerwestlichen Dreiecks sowie der Aufstieg Indiens und Chinas, deren Machteliten der EU nur mit Geringschätzung begegneten. Einige Beispiele unter vielen: Als auf der Veranstaltung des Berliner John F. Kennedy Instituts vom 8. Februar 2010 zum Thema „Das Verhältnis zwischen den USA, China und der Europäischen Union“ Wang Xi, Geschichtsprofessor der Peking University, gefragt wurde, warum die EU als globaler Mitspieler international so gering eingeschätzt werde, antwortete er mit dem Hinweis auf die bisher fehlende Identität der EU. Weil die EU nicht als von den USA unabhängiger Mitspieler wahrgenommen werde, wende man sich lieber gleich an die USA und für die alltäglichen Handelsgeschäfte kontaktiere man bevorzugt einzelne Mitglieder der EU. Ähnlich ungeniert gegenüber der EU reagierten bisweilen auch Vertreter Indiens, wie beispielsweise auf dem Ende November 2009 in Brüssel und Paris von der Brüsseler Foundation for European Progressive Studies organisierten „Indo-European Dialogue“. Auf die Bemerkung des Direktors des Asien-Programmes des Atlantic Council, Banning Garrett, der mit herablassender Geste auf der Veranstaltung im John F. Kennedy Institut betonte, dass den USA eine starke EU natürlich sehr viel lieber sei als eine schwache, reagierten die übrigen Podiumsmitglieder (Eberhard Sandschneider, Professor der Freien Universität Berlin und Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Moritz Schularick, Wirtschaftsprofessor der Freien Universität Berlin, Andreas Etges, Geschichtsprofessor am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin) sowie die Zuhörer mit betretenem Schweigen. Banning Garrett schien nicht bewusst zu sein, dass die USA nicht beides haben können: Eine starke und eine – durch die enge Kooperation zwischen der Wall Street und der Londoner City sowie das gegeneinander Ausspielen der sogenannten „alten“(West-) und „neuen“(Ost-) Europäer – geschwächte EU. Erstaunlicherweise wies kein Podiumsteilnehmer Banning Garrett auf seine widersprüchliche Position hin, und niemand vertrat ihm gegenüber einen eigenständigen EU-Standpunkt. So entstand der Eindruck, als ob sie – im Einklang mit Banning Garrett – die EU ausschließlich selbst für die ihr unterstellte Schwäche verantwortlich machten. Der von ihnen weiterhin liebevoll „Banni“ genannte Podiumsteilnehmer hatte jedenfalls mit keinerlei Einwänden zu rechnen. Zur Schwächung der EU trug auch das Verhalten amerikanischer Großbanken Goldman Sachs und JPMorgan Chase bei: Sie halfen den für die griechische und italienische Politik verantwortlich zeichnenden Politiker bei ihrer Verschleierung der zunehmenden Verschuldung beider Länder durch die Vergabe von echten, aber offenbar auch anrüchigen Derivaten. Für die Geldspritzen verpfändeten die beiden Regierungen offenbar künftige Einnahmen wie beispielsweise im Falle Griechenlands die Einnahmen aus Flughafengebühren und Lotterien. Bereits im Jahre 2001 hatte Goldman Sachs der griechischen Regierung kurz nach ihrer Aufnahme in die Eurozone gegen kräftige Gebühren zur Verschleierung ihres Defizits mehrere Milliarden US-Dollar geliehen und dieses Geschäft nicht als Kredit, sondern als einfaches Währungsgeschäft (Swap) verbucht (Zeitung: Wall Street half Athen Krise zu verschleiern, in: Zeit Online – Newsticker der DPA, 14.2.2010/Mark Schieritz, Jagd auf die Zocker, in: Die Zeit, 25.2.2010). Zwar ist Robert von Heusinger zuzustimmen, wenn er dem ehemaligen deutschen Finanzminister Theo Waigel die gleichen Tricks vorwirft. Wie die griechische Regierung habe auch Waigel mit seinem Verkauf von Telekom- und Postaktien an die staatseigene Bank KfW „das Schuldenstandskriterium der Währungsunion zu erfüllen versucht“ (Frankfurter Rundschau 16. 2. 2010). Einer seiner Nachfolger im Amt, Hans Eichel, wiederholte übrigens den gleichen Trick im Jahre 2005. Aber im Unterschied zu Griechenland und Italien holten weder Waigel noch Eichel amerikanischen Banken ins Boot. Sie gaben amerikanischen Investmentbanken und Hedgefonds nicht – wie die beiden südeuropäischen Regierungen – ein massives Druckmittel in die Hand, das sie bei Wetten gegen die Zahlungsfähigkeit von EU-Staaten, die Stabilität des Euro oder gegen unliebsame Regulierungsvorschläge der EU für Finanztransaktionen ausspielen können. Einige Lösungsansätze: Die Europäische Union kann ihre Randsituation zum amerikanischen Zentrum erst dann wirksam überwinden, wenn sie
2. Die notwendige Identitätsfindung der Ukraine In der Geschichte des Landes wechselten Perioden der gestärkten staatlichen Unabhängigkeit mit Zeitabschnitten des totalen Souveränitätsverlustes, Phasen der Ausdehnung des Landes mit Zeiten drastischer Gebietsverluste. Bereits der Name signalisiert, dass die Ukraine ein klassischer Randstaat ist, der stets den Eroberungsbestrebungen benachbarter Staaten ausgesetzt war. Im Verlauf der Jahrhunderte nahmen sich Mongolen, Polen, Litauer, Russen, Osmanen, Habsburger und Deutsche die Ukraine als Beute. Nach der Besetzung durch deutsche Truppen im Jahre 1941 unterstand sie sogar für drei Jahre als Reichskommissariat Ukraine dem Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete (RMfdbO), wurde aber 1945 als Ukrainische SSR wieder an die Sowjetunion angeschlossen. Nikita Chruschtschow, selbst Ukrainer und sich daher der Verselbständigungstendenzen der Ukraine bewusst, schenkte 1954 die Halbinsel Krim anlässlich des 300jährigen Jubiläums der Russisch-Ukrainischen Einheit an die Ukrainische SSR. Nach dem Zerfall der Sowjetunion proklamierte sich die Ukraine am 24. August 1991 als unabhängiger Staat. Mit dieser Souveränitätserklärung wiederholte sie den Akt, den sie bereits nach dem Ende des Zarenreichs vollzogen hatte, der jedoch von der Sowjetunion nach kurzer Zeit durch eine erneute Einverleibung des Landes wieder zunichte gemacht wurde. Als Folge der wechselvollen Geschichte haben außer Ukrainern auch Russen, Polen, Rumänen, Tataren, Weißrussen, Bulgaren, Magyaren, Armenier, Juden und Deutsche die Ukraine besiedelt. Nach der Vernichtung der Juden in deutschen Konzentrationslagern und der Vertreibung der Deutschen und Polen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges setzt sich die Bevölkerung der heutigen Ukraine hauptsächlich aus Ukrainern und Russen zusammen. Obwohl laut Statistik 74,4 Prozent der ukrainischen Bevölkerung Russisch beherrschen und Russisch in Osten und Süden die dominierende Sprache ist, gilt sie bisher nicht als gleichberechtigt. Im „Sprachenstreit“ manifestiert sich ebenso wie in der unterschiedlichen Religionszugehörigkeit das Identitätsproblem der Ukraine. Die beiden untereinander verfeindeten orthodoxen Kirchen unterstehen dem Kiewer bzw. dem Moskauer Patriarchat, die griechisch-katholische Kirche erkennt den römischen Papst als ihr Oberhaupt an. In der Politik bekämpfen sich seit der Unabhängigkeit die Vertreter der Westorientierung und die Befürworter einer engen Anlehnung an Russland erbittert. Aufgrund der internationalen Finanzkrise und des Gasstreits mit Russland häufte beispielsweise die NAK Naftohas Ukrajiny Schulden von 3,2 Milliarden Euro an und stand Mitte Februar 2009 vor der Zahlungsunfähigkeit. Der drohende Finanzbankrott gefährdete erneut die Durchleitung russischen Erdgases in die EU-Staaten und verführte die prowestlichen Parteien dazu, die Schuld für den Konflikt allein Russland zuzuweisen, während die andere Seite ein Versagen des prowestlichen Präsidenten der Ukraine diagnostizierte. Als Folge der seit 1991 andauernden inneren Gespaltenheit strebt die ukrainische Außenpolitik sehr unterschiedliche Ziele an. Die prowestlichen Parteien befürworten eine baldige EU- und NATO-Mitgliedschaft, die Repräsentanten der im südlichen und östlichen Teil der Ukraine lebenden Bevölkerung setzen sich für eine Annäherung an Russland ein. Nach der Privatisierung der vormals staatssozialistischen Unternehmen und dem Aufstieg einiger der neuen Eigentümer zu einflussreichen Oligarchen kam als weiteres Moment die Aufspaltung in die Masse der verarmten besitzlosen Bevölkerung und die wenigen Reichen hinzu. Unter den Präsidenten Leonid Krawtschuk (1991-94) und Leonid Kutschma (ab 1994, Wiederwahl 1999) legte die Ukraine das erste mit zahlreichen Rückschlägen gepflasterte Jahrzehnt ihrer Unabhängigkeit zurück, in dem die anfangs an die Souveränität geknüpften hohen Erwartungen der Bevölkerung nicht erfüllt wurden. Die ostukrainische Bevölkerung sah sich sogar zweifach enttäuscht. Statt der erhofften Wohlstandssteigerung sank ihr Lebensstandard. Zweistellige Inflationsraten, Massenarbeitslosigkeit und eine hohe Auslandsverschuldung von fast 13 Milliarden US-Dollar (Ende der 1990er Jahre) zerstörten alle Hoffnungen. Außerdem musste sie erkennen, dass ihre eigene russisch orientierte Lebensweise von der zunehmend dominant auftretenden ukrainischen Kultur und Sprache ins Abseits gedrängt wurde. Ihre Beschwerden waren zwar berechtigt, aber was sie beklagten, reihte sich ein in die lange Tradition beiderseitiger Missachtungen. So hatte unter der Zarenherrschaft die ukrainisch-sprachige Bevölkerung unter der Russifizierungspolitik zu leiden. Dagegen förderte die Sowjetunion in den ersten zwanzig Jahren ihres Bestehens die Kultur und Sprache der Ukrainer. Diese Politik wurde wiederum nach dem Hitler-Stalin-Pakt (1939-1941) von einer zunehmend aggressiven Sprachenpolitik zugunsten des Russischen im vormals ostpolnischen Gebiet der Ukraine abgelöst. Ihr folgte die ambivalente Umarmungstaktik Chruschtschows, den Anteil der russischsprachigen Bevölkerung in der Ukrainischen SSR mit dem Ziel zu erhöhen, sie künftig als wirksames Gegengewicht zum ukrainischen Bevölkerungsanteil benutzen zu können. Zu erwarten war, dass nach dem Zerfall der Sowjetunion die prowestlich orientierten gesellschaftlichen Kräfte den Versuch unternehmen würden, die Ukrainisierung des gesamten Landes und seine Westorientierung voranzutreiben. Nachdem diese Politik nicht die erwünschten Resultate erbracht hatte, war klar, dass die prorussischen gesellschaftlichen Kräfte zur Gegenbewegung auffordern würden. Der Wechsel von Bewegung und Gegenbewegung setzte sich nach den Präsidentschaftswahlen im Jahre 2004 (orangene Revolution) ungebrochen fort. Intensiver als je zuvor strebten die prowestlichen gesellschaftlichen Kräfte unter den Präsidenten Wiktor Juschtschenko die Anbindung der Ukraine an die Nato und die EU an, während die prorussische Seite auf die Gelegenheit wartete, nach den Wahlen im Jahre 2010 den Spieß umzudrehen und unter dem neuen Präsidenten Viktor Janukowitsch wiederum ein besseres Verhältnis zu Russland aufzubauen. Einige Lösungsansätze: Dieses Wechselbad zwischen prowestlicher und prorussischer Orientierung wird erst dann ein Ende finden, wenn die Ukraine endlich zu einer eigenständigen Identität gefunden hat. Sie ist trotz des gemeinsamen Ursprungs mit Russland im Kiewer Reich des 10. Jahrhunderts kein abgetrennter Teil Russlands und ebenso wenig wie Russland gehört sie zum Kerngebiet Europas. Ihre eigene Identität erwächst ihr aus
3. Voraussetzungen für die Entfaltung eines wechselseitig gut nachbarschaftlichen Verhältnisses zwischen der EU und der Ukraine 3.1. Szenarien auf Seiten der EU Erste Voraussetzung für ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis zur Ukraine ist die Klärung der Beziehungen der EU zu den USA. Lässt sich die EU als Gesamtheit oder lassen sich einzelne Mitglieder ihre Politik von den USA vorschreiben, besteht Gefahr, dass ihr Verhältnis zur Ukraine den Beziehungen der USA zu Russland untergeordnet wird. Das Beispiel der von der Bush-Administration gewünschten Aufnahme der Ukraine in die Nato zeigte auf, unter welchen Druck die EU gerät, wenn sie nicht rechtzeitig ihre Prioritäten festlegt. Die meisten EU-Mitgliedern befürchteten vor der Nato-Tagung in Bukarest im Juli 2008 eine drastische Verschlechterung ihrer Beziehungen zu Russland, wenn sie dem amerikanischen Wunsch folgten, der Ukraine (und Georgien) die Anwartschaft für einen Eintritt in die Nato zu öffnen. Allen war klar: Es wäre für Russland unvorstellbar, die russische Schwarzmeerflotte in einem Land der Nato zu stationieren; denn nach dem ukrainischen Beitritt zur Nato würde der Schwarzmeerhafen Sewastopol auf der Krim Teil des Natogebiets. Zu befürchten war, dass Russland für den Fall einer EU-Zustimmung zum Natobeitritt den Versuch unternehmen würde, mit der Hilfe der russischsprachigen Bevölkerung im Osten und Süden des Landes die Ukraine zu destabilisieren. Bürgerkriegsähnliche Zustände in der Ukraine wären geeignet gewesen, nicht nur das Verhältnis der EU zu Russland drastisch zu beschädigen, sondern hätten auch innerhalb der EU Konflikte zwischen den Mitgliedern entstehen lassen, die sich voll hinter die Position der USA stellten und denen, die mit der antirussischen Strategie der USA nicht einverstanden waren. Die längere Zeit unklare Position der europäischen Nato-Mitglieder der EU verleitete die Bush-Administration zu der vorschnellen Annahme, dass mit massiver Druckausübung und Überrumpelungstaktik die Zustimmung der Europäer herbeigeführt werden könne. Abgesehen von der strittigen Frage der Anwartschaft der Ukraine für eine spätere Mitgliedschaft in der Nato hatte die EU bereits seit 1994 den Eindruck erweckt, dass die Ukraine eines Tages Mitglied der EU werden könnte. Sie vereinbarte 1994 mit der Ukraine ein Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit mit dem Ziel, die Ukraine näher an die EU heranzuführen. Anfang 2005 folgte ein Aktionsplan, in dessen Verlauf die Konvergenz des ukrainischen Rechtssystems mit dem EU-Recht, die Einhaltung der Menschenrechte, die Schaffung einer Marktwirtschaft und eine stabile politische Entwicklung sowie die Schaffung einer Freihandelszone zwischen der EU und der Ukraine vorgesehen waren. Selbst noch nach der Absage an die USA auf der Nato-Tagung in Bukarest und vor dem Hintergrund der Kaukasus-Krise vereinbarten die Ukraine und die EU am 9. September 2008 ein Assoziierungsabkommen, in dem die allmähliche wirtschaftliche Integration und eine Vertiefung der politischen Zusammenarbeit angestrebt wurde. Ein nicht unerheblicher wirtschaftlicher Grund für dieses Abkommen stellte die Aussicht auf einen künftigen großen Absatzmarkt von 46 Millionen Einwohnern dar. Am 7. Mai 2009 nahm die EU die Unkraine in ihre „Östliche Partnerschaft“ mit dem Argument auf, dass sich damit der Einfluss der EU in Osteuropa vergrößere und eine westlich-demokratisch geprägte Ukraine eine positive Auswirkung auf Russland habe. Dass ihre Einflussvergrößerung im östlichen Europa auch die gegenteilige Wirkung, nämlich die weitere Entfremdung Russlands hervorrufen könnte, blieb in den offiziellen Kommentaren weitgehend unberücksichtigt. Würde man sogar so weit gehen, die Ukraine in die EU aufzunehmen und gleichzeitig Russland den Eintritt verweigern, verschlechterte sich das Verhältnis zu Russland erheblich. Wenn außerdem versucht würde, in der Öl- und Gasversorgung der EU russisches Territorium zu umgehen (Nabucco-Pipeline) und mit den zentralasiatischen Staaten unter Ausschaltung Russlands Geschäfte abzuschließen, wäre die Beziehungen zu Russland endgültig zerrüttet. Durch eine solche antirussische Politik hätte man sich vollständig in die Hände der USA begeben, die beispielsweise unter Bush Junior gegenüber Russland eine Containmentstrategie verfolgten. Man verlöre obendrein das Privileg, kostengünstig über russische Transitrouten China und Indien zu erreichen. Wie gestört die Beziehungen mit Russland jetzt bereits sind, zeigte sich an dem gescheiterten Versuch der Nato, mit ihren Aufklärungsflugzeugen „Awaks“ von der Türkei über Georgien, Aserbeidschan und Turkmenistan nach Afghanistan zu fliegen und sie dort gegen die Taliban einzusetzen. Weder Aserbaidschan noch Turkmenistan erlaubten den Überflug. Offensichtlich beugten sie sich russischem Druck. Gute nachbarschaftliche Beziehungen zur Ukraine wird die EU erst dann unterhalten können, wenn sie unabhängig von den USA als globaler Mitspieler auftritt und zugleich darauf achtet, dass ihre Politik gegenüber der Ukraine das Verhältnis zu Russland nicht verschlechtert. Hilfreich wäre, die Identitätsfindung der Ukraine zu unterstützen und sie in die Entfaltung eines gemeinsamen eurasischen Wirtschaftsraums einzubeziehen. 3.2. Szenarien auf Seiten der Ukraine Als Randstaat zu Russland und zur EU verhindert der Anschluss an Russland wie an die EU die Entwicklung einer eigenständigen Identität der Ukraine. Solange die prowestlichen Kräfte der Ukraine bei den USA Schutz vor Russland suchen und sie als Garantiemacht ihrer Sicherheit ansehen, werden sie eine konfrontative Strategie gegenüber Russland favorisieren und die EU in diese Politik einzubinden versuchen. Wenn die gleichen gesellschaftlichen Kräfte außerdem in der EU den Zahlmeister für dringend durchzuführende Reformen in Staat und Gesellschaft erblicken, kommen sie der Entwicklung gut nachbarschaftlicher Beziehungen zur EU kein Stück näher. Sollten andererseits prorussische gesellschaftliche Kräfte der Ukraine den Anschluss an Russland anstreben, werden sie Ängste bei den ost- und mitteleuropäischen Mitgliedern der EU hervorrufen und einer Entfremdung zwischen der EU und Russland Vorschub leisten. Ohne die Entwicklung einer eigenständigen Identität bleibt die Ukraine zwar ein umkämpfter Randstaat, aber mit wirklicher Unterstützung zur Überwindung von innergesellschaftlichern Krisen oder der Abwehr außenpolitischer Gefahren kann sie nicht rechnen. Die Entfaltung einer ukrainischen Identität – wie oben dargelegt – würde den gesellschaftlichen Zusammenhalt der Ukraine festigen und sie zu einem verlässlichen Partner sowohl für die EU wie für Russland werden lassen. 4. Abschließende Bemerkung Sind EU und Ukraine in der Identitätsfindung und der Entfaltung einer eigenständigen Strategie erfolgreich, handeln sie selbstbewusst und die EU kann zum eurasischen Verbund aufschließen. Die Ukraine wird darin eine tragfähige Brückenfunktion einnehmen können. Verharrt die EU jedoch passiv in der transatlantischen Randposition und verfehlt die Ukraine ihre Identität, droht beiden der Zerfall. Es ist dringend an der Zeit, die Informationspolitik über die Ukraine auszuweiten und nicht nur über Schwierigkeiten in der Durchleitung von russischem Erdgas zu berichten. <img src="http://vg03.met.vgwort.de/na/3dc600fbf1ce4312a927a8a056911753" width="1" height="1" alt="" /> Although a comparison between the European Union and Ukraine does not appear compelling at first glance, there is one thing they have in common: their marginal position within larger groupings. The EU forms part of the Transatlantic-Pacific alliance, and extends to its easternmost borders, while the U.S. still perceives itself as the center of the triangle. The ever-declining importance of the inner-western triangle compels the EU to develop its own identity. Ukraine also finds itself in the position of a border state vis-à-vis the EU and Russia, alternately inclining more towards Russia or the EU, or at times being co-opted more heavily by the one or the other side.
1. The EU: A marginal position in the inner-western triangle During the East-West conflict, the Western European states generally toed the US line without major dissent. When the Soviet Union disintegrated in 1991, they certainly felt liberated from their fear of the Soviets, and increasingly dwelt upon their nation-state identities; yet – initially at least – they made no attempts to leave the inner-western triangle comprising the USA – Japan – EU. Although these West European states demanded a greater say vis-à-vis the United States, they continued to perceive themselves as an integral part of the „West“, secure in the community of values they shared with the US. During the Clinton era, the West European members of the EU complained more frequently about Britain’s special position, with Britain perceiving itself as a part of the Anglo-American hegemony, often operating as an agent of U.S. interests in the EU. But it was not until the following two periods of Bush Jr.’s presidency – which were marked by the unilateral nature of his politics – that the EU became more involved in the formation of a pan-European identity, without this aspect becoming relevant to the political practice of the day. Many EU members still viewed themselves and assessed the rest of the world predominantly from the perspective of the Transatlantic partnership, holding a privileged relationship with the United States to still be indispensable. This attitude only changed gradually, when the EU came under the full impact of the severe repercussions of the financial crisis emanating from the U.S. The member states of the EU had – in fact still have – to realize that their continued behavior as subordinates of the United States weakens the role and status of the EU on the international stage. What sparked off this realization was the declining importance of the inner-western triangle and the rise of India and China, whose ruling elites treated the EU with nothing short of disdain. Some select examples – among many:When Wang Xi, Professor of History at Peking University, was asked at the February 8th 2010 event on „The relationship between the U.S., China and the European Union“, organized by the Berlin John F. Kennedy Institute, why the EU was rated so low as a global player by the international community, he replied by pointing to the EU’s lack of identity to date. Since the EU does not appear to be a player acting independently of the US, China prefers to turn directly to the latter and would rather contact individual members of the EU for day-to-day business. At the „Indo-European Dialogue“ organized in Brussels and Paris by the Brussels Foundation for European Progressive Studies in November 2009, India’s response to the EU was unabashedly similar. When Banning Garrett, Director of the Asia Program of the Atlantic Council, condescendingly remarked at the said event organized by the John F. Kennedy Institute that a strong EU is obviously much better for the United States than a weak one, the other members of the panel (Eberhard Sandschneider, Professor at the Free University of Berlin and Director of the German Society for Foreign Policy; Moritz Schularick, Professor of Economics at the Free University of Berlin; Andreas Etges, Professor of History at the John F. Kennedy Institute, Free University of Berlin) as well as the audience reacted with an embarrassed silence. Banning Garrett seemed to be unaware that the U.S. cannot have both: a strong EU and a debilitated one – debilitated by the close cooperation between Wall Street and the City of London, and the strategy of playing off the so-called „old“ (Western) and „new“ (Eastern) Europe against each other. Surprisingly, no panelist drew Banning Garrett’s attention to his contradictory stand; neither did anyone counter him with an independent EU standpoint. Consequently, the impression created was that the panelists wholly concurred with Banning Garrett in holding the EU solely responsible for the weak position it was said to be in. At any rate, even after this critical juncture, the panelists continued to affectionately refer to Banning Garrett as „Banni“. The behavior of American banks like Goldman Sachs and JPMorgan Chase also contributed to the weakening of the EU. These banks helped Greek and Italian politicians cover up the growing indebtedness of both countries by allocating real, but obviously also dubious, derivatives. In return for the cash infusions, the two governments pledged their future revenue, in the case of Greece revenue from airport taxes and lotteries. As early as in 2001, Goldman Sachs had helped the Greek government cover up its deficit. Shortly after Greece’s entry into the euro area, Goldman Sachs lent Greece several billions of dollars against hefty fees. This was simply recorded as a currency transaction (swap) rather than a loan (Newspaper article: Wall Street, “Athens helped conceal the crisis”, in: Zeit Online – DPA News ticker, 14.2.2010/Mark Schieritz, “Chasing the Fortune-Hunters”, in: Die Zeit, 25.2.2010). Robert von Heusinger is no doubt right when he accuses the former German Finance Minister, Theo Waigel, of resorting to the same tricks. Like the Greek government, Waigel also sought to meet the debt criterion of the monetary union by selling telecom and postal shares to the state-owned bank KfW, „(Frankfurter Rundschau, 16. 2. 2010). What is more, one of his successors, Hans Eichel, used the same trick again in 2005. But unlike Greece and Italy, Waigel and Eichel did not bring the U.S. banks into the picture. Unlike their two southern European counterparts, they did not provide the American investment banks and hedge funds with massive leverage which these banks could then use while betting against the solvency of the EU members, the stability of the euro or against unpalatable EU recommendations for regulating financial transactions. Some approaches to a solution: The European Union can effectively overcome its marginal situation vis-à-vis the US only if it
2. The need for identity in Ukraine In Ukrainian history, periods of strengthened national independence alternated with periods of a total loss of sovereignty, periods of expansion with periods of a drastic loss of territory. Just the name Ukraine signals that it is a classic peripheral state, perpetually subjected to the territorial ambitions of neighboring states. Over the centuries, the Mongols, Poles, Lithuanians, Russians, Ottomans as well as the Habsburgs and the Germans preyed upon Ukraine. After occupation by German troops in 1941, the Ukraine was even controlled by the Reich Ministry for Occupied Eastern Territories (RMfdbO) for three years. But in 1945 the country was again incorporated into the Soviet Union as Ukrainian SSR. Nikita Khrushchev, a Ukrainian himself and therefore aware of Ukraine’s attempts to gain independence, bequeathed the peninsula of Crimea to the Ukrainian SSR in 1954, to mark the 300th anniversary of Russian-Ukrainian unity. After the collapse of the Soviet Union Ukraine proclaimed itself an independent state on 24th August 1991. With this declaration of independence, Ukraine once again repeated the act it had taken recourse to at the end of Czarist rule. However, at that time, its aspirations for independence had been trampled upon by a revolutionary Soviet Union which soon reasserted its claims over Ukraine by once again annexing it. The Ukraine’s tumultuous history saw the Russians, Poles, Romanians, Tatars, Belarusians, Bulgarians, Hungarians, Armenians, Jews and Germans – apart from the Ukrainians themselves – settle on Ukrainian soil. Following the extermination of Jews in German concentration camps and the expulsion of Germans and Poles after the Second World War, the population of Ukraine was mainly made up of Ukrainians and Russians. Although statistics put down 74.4 percent of the Ukrainian people as having mastery over the Russian language and Russian is the dominant language in both the east and the south, it is not accorded equal status. Ukraine’s identity problem gets reflected in the „language debate“ as well as in its varying religious affiliations. The two hostile Orthodox churches come under the Kiev and Moscow Patriarchate, while the Greek Catholic Church recognizes the pope as its head. The post-independence period sees the representatives of West-leaning parties and the proponents of close cooperation with Russia standing bitterly opposed in politics. In the wake of the international financial crisis and the gas dispute with Russia, the NAK Naftohaz Ukrainy ran up 3.2 billion euros of debt, and by mid-February 2009 was even threatened by insolvency. The threat of financial bankruptcy jeopardized the transportation of Russian gas to the EU countries. The pro-Western parties put the blame for the conflict on Russia, while the pro-Russian side diagnosed failure on the part of Ukraine’s pro-West president. As a result of persisting internal divisions, Ukrainian foreign policy has been working towards very different objectives since 1991. The pro-Western parties are in favor of early EU and NATO membership; the representatives of people living in the southern and eastern parts of Ukraine are for moving closer to Russia. After the privatization of the former socialist but actually state-owned enterprises, and the rise of some of the new owners as influential oligarchs, an additional phenomenon was discernible alongside the existing two: the division of the population into the mass of the impoverished landless and the wealthy few. Under President Leonid Kravchuk (1991-94) and Leonid Kuchma (since 1994, re-elected 1999) Ukraine passed the first decade of its independence battling numerous setbacks. The initially high expectations of the people vis-à-vis the nation’s sovereignty were not met. The East Ukrainian population even suffered a double disappointment. Double-digit inflation, mass unemployment and a high external debt of almost 13 billion U.S. dollars (late 1990s) shattered all hopes of prosperity. Besides, they realized that their own Russian-oriented lifestyle was sidelined by the increasing dominance of the Ukrainian culture and language. Their grievances, though understandable, were part of a long tradition of mutual contempt. Thus, under the Czarist regime, the Ukrainian-speaking population was subjected to the policy of Russification. By contrast, during the first twenty years of its existence, the Soviet Union promoted the culture and language of the Ukrainians. This policy was reversed again after the Hitler-Stalin Pact (1939-1941) by an increasingly aggressive strategy in favor of the Russian language, particularly in the former Eastern Polish region of Ukraine. This was followed by Khrushchev’s ambivalent tactic to increase the proportion of ethnic Russians in the Ukrainian SSR, with the aim of using them as an effective counterweight to the Ukrainian population. After the elections in the beginning of 2010 it was only to be expected that the pro-West-oriented social forces would try to advance the Ukrainization of the entire country and push for a Western orientation of the Ukraine. When this policy did not yield the desired results, it was clear that the pro-Russian forces in Ukrainian society would unleash a countermovement. The dynamic of movement and countermovement continued to have an impact even after the presidential election of 2004 (Orange Revolution). More vigorously than ever before, the pro-Western forces under President Viktor Yushchenko of Ukraine sought closer ties with NATO and the EU, whilst the pro-Russian side waited for an opportunity to turn the tables again, following the elections in the beginning of 2010, hoping to build better relations with Russia under the new President Viktor Yanukovych. Some approaches to a solution:This tussle between pro-Western and pro-Russian orientation will not come to an end until the Ukraine has found a distinct identity for itself. Despite the common origins it shares with Russia as part of the 10th century Kingdom of Kiev, the Ukraine is not a severed part of Russia; neither does Russia or Ukraine form part of the core area of Europe. Ukraine’s own identity rests on
3. Prerequisites for the development of good neighborly relations between the EU and Ukraine 3.1. Scenarios on the EU side The first condition for good neighborly relations with Ukraine is for the EU to clarify its relations with the United States. If the EU as a whole, or some individual members, allow the US to control their policies, there is the danger of the EU’s relationship with Ukraine being subordinated to U.S. relations with Russia. President Bush’s desire to pave the way for Ukraine’s membership in the North Atlantic Treaty, at the NATO meeting in Bucharest in July 2008, is indicative of the pressure which the EU could come under if its priorities are not demarcated in time. The majority of the EU-members feared that their relations with Russia would drastically deteriorate if they acquiesced to the American plan to throw open NATO’s doors to Ukraine (and Georgia). It was clear to one and all that it would be unthinkable for Russia to station the Russian Black Sea Fleet in a NATO country: for, once Ukraine joined NATO, the Black Sea port of Sevastopol in Crimea would be on NATO territory. It was feared that in the event of EU approval of Ukraine’s NATO entry, Russia would use all available means to prevent this materializing, for instance by estabilizing the country with the help of the Russian-speaking populations in the eastern and southern parts. Civil war in Ukraine would not only inflict severe damage on relations between EU and Russia, but also create conflicts within the EU between members who fully support the U.S. position and those who do not agree with the USA’s anti-Russia strategy. The long unclear position of the European NATO members led the Bush administration to hastily assume that the consent of the Europeans could be induced through massive pressure and surprise tactics. Apart from the contentious issue of Ukraine’s candidature for NATO membership at a later date, the EU had since 1994 given the impression that Ukraine could become an EU member one day. In 1994, the EU negotiated an agreement on partnership and cooperation with Ukraine, with the intention of bringing Ukraine closer to the EU. In early 2005 a plan of action followed, which envisaged the convergence of the Ukrainian legal system with EU law, respect for human rights, creation of a market economy, stable political development and the creation of an FTA between the EU and Ukraine. After Bush’s plan had been rejected, the EU negotiated an Association Agreement aiming at the gradual economic integration of Ukraine into the EU, and the deepening of political cooperation between both partners. One significant economic factor that propelled this agreement was the prospect of a large market of 46 million inhabitants. On 7 May 2009 the EU also invited Ukraine to take part in its „Eastern Partnership“ program with the intention of establishing Western democratic practices in Ukraine and expanding EU influence in Eastern Europe. Some commentaries on the treaty saw not only greater influence for the EU in Eastern Europe but also a positive impact on Russia. That this could lead to a further alienation of Russia was a possibility that was widely ignored in official commentaries. If the EU were to even go so far as to accept Ukraine as an EU member and refuse Russia entry, relations with Russia would deteriorate significantly. This apart, if the EU were to also try to circumvent Russian territory in supplying oil and gas to the EU countries (Nabucco pipeline), and exclude Russia altogether while doing business with the Central Asian states, relations with Russia would be irreparably damaged. By pursuing an anti-Russia policy of this kind, the EU would be completely playing into the hands of the U.S, which under Bush Jr. sought to contain Russia. Besides, the EU would forfeit the advantage of achieving lower costs by using Russian transit routes to reach China and India. The fact that NATO failed to secure permission to fly its reconnaissance aircraft AWACS from Turkey via Georgia, Azerbaijan and Turkmenistan to Afghanistan, for deployment there against the Taliban, is testimony to the extent to which relations with Russia have deteriorated. Neither Azerbaijan nor Turkmenistan was willing to permit use of its air space. Quite obviously, they bowed to Russian pressure. The EU will only be able to maintain good neighborly relations with Ukraine if it acts independently of the US and conducts itself as a global player, while ensuring that its policy towards Ukraine does not damage its relationship with Russia. Lending support to Ukraine in its search for a separate identity, and involving it in the process of developing a common Eurasian economic area would no doubt be beneficial to good neighborly relations. 3.2. Scenarios on the Ukrainian side As a state bordering both Russia and the EU, close affiliation with either the EU or Russia would prevent Ukraine from developing its own identity. As long as the pro-Western forces in Ukraine look to the United States for protection against Russia and regard it as the guarantor of Ukrainian security, they will continue to support a policy of confrontation towards Russia while constantly trying to get the EU involved in this policy. If the very same social forces also look upon the EU as a source of financing urgently needed reforms in the Ukrainian state and society, they will by no means be closer to developing good neighborly relations with the EU. If, on the other hand, the pro-Russian forces seek close affiliation with Russia, they will only create fear and apprehension among the eastern and central European members of the EU and further alienation between the EU and Russia. Without developing an independent identity, Ukraine -while remaining a much sought-after border state -cannot contend with real support for overcoming its domestic crises or staving off external dangers. The development of a Ukrainian identity would – as stated above strengthen social cohesion and see the country evolve into a reliable partner for the EU and Russia. 4. Concluding Remarks If the EU and Ukraine are successful in the search for an identity and the development of an independent strategy, they will proceed with confidence and the EU may be well on its way to becoming a Eurasian grouping. Ukraine will then be able to assume the role of a strong, stable bridge. However, if the EU remains passive in its peripheral transatlantic role and Ukraine fails to find its identity, then both face the threat of ruin. There is an urgent need to expand the policy of information regarding Ukraine, and not just report on the difficulties posed by the transportation of natural gas from Russia. <img src="http://vg03.met.vgwort.de/na/000c19c4562e4ac58c35ce3a8b738b57" width="1" height="1" alt="" /> Die EU zwischen transatlantischer Partnerschaft und engeren Beziehungen zu Indien-Russland-China2/18/2016 Die deutsche Politik ist gegenwärtig hinsichtlich der langfristigen strategischen Ausrichtung in der Außenpolitik von grundsätzlich divergierenden Positionen zwischen dem Bundeskanzleramt und dem Auswärtigen Amt geprägt. Um es zugespitzt zu formulieren: Während Angela Merkel die deutsche und europäische Position eher innerhalb eines revitalisierten Dreiecks USA-EU-Japan sucht, strebt Frank-Walter Steinmeier die engere Verflechtung Europas mit dem strategischen Dreieck Russland-Indien-China an. Dieser Artikel beleuchtet diese Divergenzen vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung seit dem II.Weltkrieg und wirft die Frage auf, wie lange es sich Europa noch leisten kann, keine eigenständige Rolle in der neuen weltpolitischen Lage zwischen einem „atlantischen und eurasischen Dreieck“ zu entwerfen, und stattdessen entweder unentschieden zwischen den Fronten zu schaukeln oder sich sogar einer möglichen neuen Containment-Politik der USA gegenüber Russland und China anzuschließen. Diese Frage wird insbesondere vor dem Hintergrund der ökonomischen Schwächung der USA und dem gleichzeitigen ökonomischen Aufstieg Asiens virulent.
1. Einleitung: Steht ein Strategiewechsel der EU an? Günter Hofmann erkundigte sich in der Wochenzeitung Die Zeit vom 11. Oktober 2007 nach der Stellungnahme der Bundesregierung zu der Frage, ob ein neues Containment der USA gegenüber Russland und China bevorstehe und wie sich die schwarz-rote Koalition dazu verhalten werde. „In den USA jedenfalls“, schrieb Hofmann, „ist häufig bereits nicht nur von ‚Werten’ und ‚Demokratie’ die Rede, sondern zugespitzt auch von einer neuen Containmentpolitik gegenüber Moskau und insbesondere Peking.“ „Geht es insgeheim“, fragte Hofmann, „auch hierzulande hinter der Formel von der stärkeren ‚Werteorientierung’ um eine neue Containmentpolitik, eine unausgesprochene Eindämmungspolitik gegenüber Russland und China?“ Hofmann forderte zwar nur direkt die Bundesregierung, aber letztlich auch die gesamte Europäische Union dazu auf, bei dem Bemühen um ein gleichberechtigtes Kooperationsverhältnis zu den USA auch die Beziehungen zu anderen Mächten wie China und Russland im Blick zu behalten. Eng mit der Klärung der Containmentfrage verknüpft ist in der Tat die seit dem Irak-Krieg immer drängender gewordene europäische Antwort auf den weiterhin bestehenden hegemonialen Anspruch der USA. Hat die Bush-Administration gegenüber der EU bzw. ihren einzelnen EU-Mitgliedern Sanktionsmechanismen in der Hand, um ihre hegemoniale Ambition durchzusetzen oder kann sie nur noch auf das den Europäern vertraute transatlantische Bewusstsein setzen, aus dessen Sicht die USA als eine wohlwollende informelle Hegemonie erscheint? Lange Zeit vorherrschendes abhängiges Bewusstsein reicht in der Regel in seiner Wirkungsmacht über veränderte reale Verhältnisse hinaus und verfälscht den Blick auf die neuen Realitäten. Berater der rot-grünen Regierung hielten beispielsweise dem damaligen Bundeskanzler Schröder entgegen, er überschätze den gegenüber den USA gewonnenen bundesdeutschen Spielraum. Für die Proklamierung einer gleichgewichtigen Partnerschaft der EU mit den USA sei es noch zu früh und erst recht verbiete sich eine scharfe deutsche Distanzierung von der amerikanischen Irakpolitik. In der Tat entsprachen die hinter dem Vorhang der offiziellen Politik erfolgenden außenpolitischen Aktionen der Schröder/ Fischer-Regierung nicht immer der demonstrativ gegenüber den USA zur Schau gestellten Eigenständigkeit. Teilweise waren sie das genaue Gegenteil davon (vgl. z.B. die Gefangenentransporte). Dabei wurde niemals klar benannt, warum man sich beugte oder ob man aus inzwischen obsolet gewordenem Bewusstsein, gleichsam im vorauseilenden Gehorsam, handelte. Mit dem Antritt der schwarz-roten Koalition unter Bundeskanzlerin Merkel verabschiedete sich die Regierung vom offiziell engen Zusammenspiel mit dem französischen Partner und schickte sich an, die traditionelle Vermittlerrolle zwischen den USA und Frankreich wieder stärker aufzunehmen, darauf vertrauend, dass auch Präsident Nicolas Sarkozy die antiamerikanische Karte spielen würde. Außerdem spekulierte man auf eine weitere Vermittlerrolle im Konflikt um die nukleare Aufrüstung des Iran zwischen der scharfen antiiranischen Position der USA und den sehr zurückhaltenden Stellungnahmen Russlands und Chinas. Beide Vermittlerrollen stellten sich sehr bald als Fata Morgana heraus. Sarkozy wird zwar nie wie Blair der Pudel Bushs werden, aber um freundschaftliche Beziehungen zu den USA ist er mindestens ebenso bemüht wie Bundeskanzlerin Merkel. Die Positionen Russlands, Chinas und der USA gegenüber dem Iran lassen zur Zeit auch keine deutsche Vermittlerrolle zu. Diplomatie lebt zwar vom Glauben, prinzipiell Unverereinbares zu einer einvernehmlichen Lösung zusammen zu schweißen, aber manchmal reicht es eben noch nicht einmal für einen sogenannten „Formelkompromiss“. Während der russische Präsident Putin und die chinesische Führung darauf bestehen, dass der Iran das verbriefte Recht zu nuklearer Forschung und Energieversorgung hat, sieht Bush in der iranischen Anreicherung von Uran bereits die Vorboten nuklearer Bewaffnung. Der Verhandlungsspielraum ist denkbar gering, wenn die eine Seite jede weitere Stufe in der Anreicherung von Uran durch immer stärkere Sanktionen verhindern will und die andere Seite erst den klaren Beweis für den Bau einer Atombombe zum Anlass nimmt, dem Iran das Vertrauen zu entziehen und auf Sanktionen umzuschalten. Günter Hofmann fragt also mit Recht nach der Substanz einer eigenständigen Außenpolitik der Bundesregierung. Welche Position bezieht man, wenn die Bush-Administration das Beharren des Iran auf Atomenergie dazu benutzen sollte, gegenüber China und Russland eine neue Containmentpolitik einzuleiten, um die Handelsbeziehungen Europas und Japans wieder stärker auf die USA zu konzentrieren und die starke ökonomische Verflechtung Europas mit Russland und China aufzubrechen. Als Muster dient hier die ultimativ geforderte Beteiligung der Europäer an der Durchsetzung von Exportverboten für strategisch relevante Technologie im Jahre 1949 als Gegenleistung für Marshallplangelder und Warenlieferungen aus den USA, die ab 1946/47 trotz Überflusses an Kapital vom zunehmend florierenden Tauschhandel zwischen den west- und osteuropäischen Staaten wegen des Devisenmangels der europäischen Volkswirtschaften ausgeschlossen blieben.1 Zum heutigen Zeitpunktwürde man selbstverständlich nicht mehr mit Exportverboten für Technologie drohen können, aber mit Ausschlussdrohungen für den Zutritt zum großen amerikanischen Markt, wie es jetzt bereits für den europäischen Handelsaustausch mit sogenannten Schurkenstaaten geschieht, ist allemal zu rechnen. Angesichts der fortschreitenden Entindustrialisierung der USA,(nicht immer durch eine adäquate Ausdehnung des Dienstleistungsbereichs kompensiert), der begrenzten Aufnahmefähigkeit des amerikanischen Marktes für Exportprodukte, der keinesfalls kurzfristig beizulegenden Krise am Finanzmarkt und der damit eng zusammenhängenden uferlosen Verschuldung stellt sich die Frage, welchen Nutzen man sich von einer Wiederbelebung des innerwestlichen Dreiecks USA, Japan, Europa verspricht? Den Europäern und Japanern als Ersatz für den chinesischen und russischen Markt engere Handelsverflechtungen mit einem scheinbar prowestlichen Indien „vorzugaukeln“, erweist sich bereits jetzt als dritte Fata Morgana. Indien hat sich längst – seine ureigenen Interessen erkennend – auf intensive Handelsbeziehungen des interregionalen Dreiecks Indien-China-Russland sowie mit den ASEAN-Staaten eingestellt und ergänzt gerade seinen intensiven Import von russischer Energie (Erdöl und -gas) und Militärgütern durch eine enge Zusammenarbeit in hochtechnologischen Sektoren (Produktion von Transportflugzeugen und Entwicklung einer gemeinsamen Raumfahrt). In den Zeiten einer Neuauflage des Ost-West-Konflikts kann Indien nicht damit rechnen, gerade im sicherheitsempfindlichen IT-Bereich, seiner eigentlichen Stärke, der bevorzugte Partner des Westens zu bleiben. Dazu dürfte bei den Machteliten des Westens gegenüber Indien als ehemals führendem blockfreien Land die Vertrauensbasis fehlen. Im Verhältnis zu den USA müssten sich die Europäer bei nüchterner Betrachtung folgende Fragen stellen:
2. Vierzig Jahre innerwestliches Dreieck USA-Japan-Westeuropa und der Ost-West-Konflikt als Basis US-amerikanischer Hegemonie 2.1 Geopolitische, ökonomische und militärische Ziele 2.1.1 Das innerwestliche Dreieck USA-Westeuropa-Japan Die Grundzüge einer langfristigen Aussenpolitik der Vereinigten Staaten reichen zurück bis in die Monroe-Doktrin vom 3. Dezember 1823. Unter dem Schlagwort „Amerika den Amerikanern“ proklamierte sie die Existenz zweier politischer Sphären (two-spheres), forderte ein Ende aller Kolonialisierungsbestrebungen in der westlichen Hemisphäre (non-colonization) und kündigte ein Eingreifen der USA für den Fall an, dass die europäischen Kolonialmächte diese politischen Grundsätze ignorieren sollten. Der geopolitischen Verortung Lateinamerikas als amerikanisches Hinterland folgte die allmähliche Umorientierung der Handelsbeziehungen der süd- und mittelamerikanischer Staaten auf die USA und zu Beginn des Zweiten Weltkrieg auch deren militärische Absicherung. Bereits während des Zweiten Weltkrieges hatten die USA ihren Markt für die vom kolonia-len Mutterland kriegsbedingt getrennten afrikanischen und asiatischen Kolonien geöffnet und Entkolonialisierungsbestrebungen unterstützt. Im Namen der Befreiung vom Kolonialismus entzogen sie den europäischen Kolonialstaaten das ihnen bis dahin verbliebene Hinterland, begrenzten die ökonomischen und militärischen Aktionsmöglichkeiten der europäischen Mutterländer immer stärker auf Europa und reihten sie zusammen mit den geschlagenen Kriegsgegnern Deutschland und Japan in die unter amerikanische Vorherrschaft gestellten Küstenregionen von Atlantik und Pazifik ein. Das innerwestliche Dreieck USA-Westeuropa-Japan als einer der beiden künf-tigen Pfeiler amerikanischer Hegemonie nahm Gestalt an, als mit Hilfe des Marshall-plans, der Exportverbote für militärisch nutzbare Technologie und privater US-ameri-kanischer Kapitalexporte die Industrie und der Handel jener Regionen immer stärker auf die Zentralmacht USA ausgerichtet wurden. Die Vollendung dieses Eckpfeilers amerikanischer Hegemonie wäre jedoch nicht so reibungslos verlaufen, wenn nicht ein zweiter Pfeiler den ersten ergänzt und gestärkt hätte. Als dieser zweite Pfeiler diente den USA der Ost-West-Konflikt. 2.1.2 Der Ost-West-Konflikt als zweiter Pfeiler amerikanischer Hegemonie Bereits im Herbst 1944 sahen sich die USA von einem gemeinsamen britisch-sowjetischen Aufteilungsplan für den Balkan in ihren Nachkriegsplänen herausgefordert, der Rumänien und Bulgarien größtenteils zum sowjetischen Einflussbereich schlug und Griechenland vornehmlich zum britischen erklärte, während in Jugoslawien und Ungarn beide Seiten die Hälfte des Einflusses für sich beanspruchten. Dieser Aufteilungsplan zeigte den USA, dass sie es in der Nachkriegszeit mit zwei anderen Sie-germächten zu tun haben würden, die nicht nur auf ihre Autonomie pochten, sondern ebenfalls Hegemonieansprüche stellten. Zur Erreichung ihres Ziels demonstrierte die Armee der Sowjetunion z.B. ihre Fähigkeit, bis in die Mitte Deutschlands vorzudringen und kurz vor Kriegsende auch noch in den Krieg gegen Japan einzutreten. Im Falle Großbritanniens standen den USA neben der längerfristig wirkenden Ent-kolonialisierungspolitik noch drei weitere Instrumente zur Verfügung, um das bereits stark geschwächte einstige britische Imperium weiter zu entkräften. Die britische Re-gierung hatte erhebliche Kriegskredite in den USA aufgenommen. Ihre Rückzahlung durch Guthaben der britischen Kolonialgebiete in den USA (entstanden aufgrund von Exportüberschüssen) verhinderten die USA. Aus der Weiterentwicklung von Atombomben und Raketen schlossen sie Großbritannien aus, obwohl die Briten die Initiative für die atomare Bewaffnung ergriffen und lediglich 1940 wegen befürchteter Kriegseinwirkungen die Verlegung ihrer Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen in die USA beschlossen hatten. In Bretton Woods setzten sie gegen John Maynard Keynes durch, dass der US-Dollar zur Weltreservewährung gegen das Pfund Sterling aufstieg. Bei der CIA-inszenierten Inthronisation des Schahs von Persien gegen den demokratisch gewählten Präsidenten M. Mossadegh im Jahre 1953 beseitigten sie nicht nur die Demokratie im Iran, sondern zugleich auch den britischen Zugriff auf die iranischen Ölquellen und im Suezkanalkonflikt des Jahres 1956 demütigten sie die britische Regierung durch ihre Weigerung, die Verstaatlichung des Kanals mittels militärischer Mittel rückgängig zu machen. Im Falle der Sowjetunion konnten die USA nicht mit einer baldigen Aufgabe des hegemonialen Anspruchs rechnen. Napoleon und Hitler hatten erfahren müssen, dass die Sowjetunion aufgrund ihrer großen Landmasse ein nur sehr schwer zu eroberndes und dauerhaft zu besetzendes Land ist. Mit einem heißen Krieg war der sowjetischen Führung also nicht zu drohen. Andere Mittel schienen erforderlich, um sie von ihrem Hegemonieanspruch abzubringen und sich dem amerikanischen unterzuordnen. Vorteilhaft für die nähere Zukunft fiel für die USA gegenüber der Sowjetunion ins Gewicht, dass deutsche Truppen auf ihrem Rückzug sämtliche Restbestände russischer Industrie und ein Großteil der Infrastruktur bis auf die in aller Eile im und hinter dem Ural errichteten Produktionsstätten zerstört hatten, während die USA ihre Industrie fernab von jeder Kriegsfront ungestört und auf höchstem technologischen Niveau entfalten konnten. Bei ihrem Vormarsch auf Gebiete, die später zur sowjetischen Besatzungszone gehören würden, waren der US-Armee zudem die deutschen Raketenexperten (u.a. Wernher von Braun) und sämtliche Produktionsanlagen von V-2 Raketen im Südharz in die Hände gefallen. Auf der Grundlage ihres Wissens kalkulierte die amerikanische Militärführung für die atomare Bewaffnung der sowjetischen Armee mit einer Dauer von mindestens zehn Jahren und für den Aufbau einer eigenen sowjetischen Raketenstreitmacht mit mehr als zwanzig Jahren. Kurz- bis mittelfristig würde also das Atomwaffenmonopol und die sofortige Einsatzfähigkeit von Langstreckenbombern den USA einen von der sowjetischen Seite nur mühsam auf-zuholenden Vorsprung garantieren; längerfristig könnte man außerdem noch zur Erhaltung des eigenen Vorsprungs auf die rechtzeitige Entwicklung von Langstreckenraketen zurückgreifen. Angesichts des gesicherten Polsters schien es sogar sinnvoll zu sein, die US-Armee drastisch zu verringern und die entlassenen Soldaten zum Ausbau der wirtschaftlichen Dominanz zu nutzen. Bis zur Mitte des Jahres 1949 hatten es die USA also mit einer Sowjetunion zu tun, die krampfhaft bemüht war, die von ihr besetzten Gebiete Ost- und Mitteleuropas auch gegen massiven Widerstand der Bevölkerungen zu halten. Entsprechend unbeliebt machte sie sich auch bei der gesamten europäischen Bevölkerung. Die Blockade der Westsektoren von Berlin verdeutlichte zwar einerseits ihre Schwäche, erzeugte jedoch andererseits durch ihr Vorgehen gegenüber den Westberlinern bei allen Europäern Angst und Schrecken. Die USA dagegen stiegen zur Schutzmacht nicht nur der Bevölkerung der Westsektoren von Berlin auf, sondern konnten sich in fast ganz Europa als Beschützer der Freiheit gegenüber sowjetischem Eroberungsstreben etablieren. Mit dem Ende der Berlin-Blockade war der Ost-West-Konflikt als zweiter Pfeiler amerikanischer Hege-monie im Bewusstsein der amerikanischen und europäischen Bevölkerung fest ver-ankert worden. Beides zusammen, wirtschaftliche und militärische Überlegenheit, sorgten dafür, dass die USA die ihnen gegenüberliegende Küstenregion des Atlantik erfolgreich ihrem Herrschaftsbereich zuordnen konnten. Nach der Machtergreifung der kommunistischen Partei Chinas im Jahre 1949 und der Annäherung Chinas an die Sowjetunion gelang gleiches im pazifischen Raum. Um den Kern des besetzten und ökonomisch auf die USA ausgerichteten Japans und die seit 1898 von den USA beherrschten und später in die formale Selbständigkeit entlassenen Philippinien herum gruppierten die USA die von ihnen kontrollierte pazifische Küstenregion, die sie in den nachfolgenden Jahren noch erweitern konnten:
2.2 Entfaltung einer dualen Hegemonie zwischen den USA und der Sowjetunion Die Explosion der ersten sowjetischen Atombombe im Jahre 1949 durchbrach das amerikanische Atomwaffenmonopol überraschend früh und zwang die USA zu einer Neueinschätzung ihres Verhältnisses zur Sowjetunion. Bisher musste die US-Militärführung in ihren Planspielen lediglich auf die Option verzichten, sowjetisches Territorium zu besetzen. Die schiere Größe des Landes verbot ein solche Vorgehensweise. Jetzt war außerdem damit zu rechnen, dass im Falle eines Konfliktes der sowjetischen Militärführung auch die Option des Abwurfs einer Atombombe auf amerikanische Ziele zur Verfügung stand, die sich nicht allzu weit vom sowjetischen Einflussbereich befanden. Das amerikanische Kernland (außer Alaska) lag zwar weiterhin außerhalb der Reichweite atomarer Angriffe des sowjetischen Militärs. Jedoch nach der Zündung der ersten sowjetischen Mittelstreckenrakete im Jahre 1955 war absehbar, wann sowjetische Interkontinentalraketen der sowjetischen Führung dieses Drohpotential in die Hände legen würden. 1959 verloren die USA ihre bis dahin vorhandene atomare Unverwundbarkeit und erlangten dieses Status nie wieder. Fortan rangen die USA und die Sowjetunion immer nur um die Beibehaltung ihrer gesicherten Zweitschlagkapazität, wobei im Wettrennen um die höchstmögliche Zerstörungsfähigkeit, verknüpft mit dem Versuch, die Zerstörung des eigenen Territoriums durch gegnerische Waffen möglichst gering zu halten, die USA immer darauf bedacht waren, ihren Vorsprung zu bewahren und deshalb den nächsten Schritt meistens als erste taten. Nach dem Verlust des amerikanischen Atombombenmonopols und erst recht nach dem Verlust der atomaren Unverwundbarkeit entstand für beide auf Hegemonie ausgerichtete Mächte eine strategische Situation, in der geopolitische Stabilität ausschließlich mit und zugleich gegen den jeweils anderen errichtet bzw. erhalten werden konnte. Dies steht eigentlich im Gegensatz zum Selbstverständnis einer jeden Hegemonialmacht, die bei der Wahl der Mittel absolute Freiheit beansprucht – nur durch den eigenen Willen begrenzt. In Bezug auf die gemeinsam hergestellte geopolitische Stabilität waren jedoch beide Mächte in gleicher Weise gehindert, alle denkbaren Optionen in reale Politik umzusetzen: Die Durchsetzung des eigenen Willens begrenzte den Durchsetzungswillen des anderen. Als Resultat benötigten nun beide ein entsprechendes Potential an Kraftentfaltung, um den jeweils anderen daran zu hindern, bei der Wahl der Handlungsmöglichkeiten lediglich dem eigenen Willen zu folgen. Die „Freiheit“ beider hegemonialer Mächte bestand fortan in der Wahl zwischen den Optionen, die von der eigenen Kraftentfaltung ermöglicht wurden, und den Optionen, die durch die gegnerische Seite konterkariert und daher wirksam beschnitten werden konnten. In jedem Falle war die jeweilige Kraftentfaltung – militärischer, geopolitischer oder ökonomischer Art – entscheidend. Auf dem Hintergrund einer so gearteten strategischen Situation signalisierten die USA (zusammen mit Großbritannien und Frankreich) im August 1961 fünf Tage vor dem Bau der Mauer durch Berlin der Sowjetunion, „dass der Flüchtlingsstrom die größte unmittelbare Gefahr für den Frieden darstellt“. Jede Lösung des Problems würden die westlichen Regierungen „mit Eifer und Dankbarkeit begrüßen“ (Kurt L. Shell, Bedrohung und Bewährung, Westdeutscher Verlag Berlin 1965, S. 36). Da bis zum August 1961 bereits drei Millionen von 17 Millionen Einwohner der DDR geflohen waren, drohte ihr totaler Zusammenbruch und damit eine drastische Veränderung der Europa bestimmenden Sicherheitsarchitektur zwischen den USA und der Sowjetunion. Bezogen auf Europa entwickelten beide hegemonialen Mächte ein gemeinsames Interesse an der Erhaltung der strategischen Architektur.2 Dieses gemeinsame Interesse des amerikanisch-sowjetischen Hegemoniegespanns zeigte sich auch in den 1972er Verhandlungen zur Beilegung des Berlinkonflikts und der darin zum Ausdruck kommenden Formulierung, dass beide Seiten darin übereinstimmten, in der rechtlichen Regelung des Status von Berlin nicht überein zu stimmen (to agree to disagree). Es war die passende Zustandsbeschreibung für die Sicherheitsarchitektur einer duale Hegemonie, in der die Westeuropäer am höheren Lebensstandard der USA und die Osteuropäer am niedrigeren der Sowjetunion Anteil hatten und beide zusammen auf der Grundlage des geteilten Berlins und Deutschlands die geopolitische Stabilität garantierten. Beide Mächte empfanden die duale Hegemonie jedoch nicht als Dauerzustand. Im Widerspruch zu ihrem momentanen gemeinsamen Interesse handelten sie zugleich im Sinne der Theorie des Kräfte-gleichgewichts, in der sich beide als völlig gegensätzliche Identitäten begriffen und die USA beispielsweise ihren sowjetischen Hegemoniepartner als Erzteufel und Erzrivale betrachtete und sich selbst als oberster Verteidiger der Freiheit. Die Sowjetunion hingegen begriff sich als oberster Repräsentant der Arbeiterklasse und unterstellte den USA ebenfalls feindlichste Absichten. Indem beide Seiten danach trachteten, den anderen mit allen militärischen, wirtschaftlichen und politischen Mitteln zu schwächen, handelten sie im Sinne eines Nullsummenspiels. Sie kümmerten sich nicht um die für eine duale Hegemonie lebensnotwen-dige Erhaltung der geopolitischen Stabilität und verschoben statt dessen gedankenlos die Grenzlinie zwischen verfügbaren und verwendbaren Handlungsoptionen zugunsten des jeweils anderen. Die Sowjetunion war kurz vor Ende des Ost-West-Konflikts mit der Situation konfrontiert, dass ihre eigene Handlungsfreiheit auf ein Minimum gesunken war, während diejenige der USA ein Maximum erreichte: Sie verlor ihre sämtlichen Einflussgebiete und stand vor ihrer Desintegration. Jedoch auch die USA mussten – wenn auch erst einige Jahre später – akzeptieren, dass das Ende der dualen Hegemonie zugleich auch ihren auf zwei Pfeilern beruhenden hegemonialen Anspruch untergraben hatte. 3. Wirtschaftliche und militärische Globalisierung sowie die Ausnutzung von Konflikten als Instrumente der USA zur Entfaltung ihrer global ausgerichteten Hegemonie nach dem Ende des Ost-West-Konflikts 3.1 Schwächung der Partner des innerwestlichen Dreiecks In ihrem Siegerbewusstsein nahmen die USA zunächst nicht mehr wahr, dass ihr hegemonialer Anspruch auf beiden Pfeilern, dem innerwestlichen Dreieck USA-Westeuropa-Japan und dem Ost-West-Konflikt, beruht hatte. Brach einer der beiden weg, war auch der andere in seiner Substanz angegriffen, unabhängig davon, ob die USA den Ost-West-Konflikt als Sieger oder als Verlierer verließen. Mit der Zerschlagung der Sowjetunion verflüchtigte sich auch die Angst der Europäer und der Japaner vor der „roten Gefahr“. Hatten sie bis dahin Zuflucht bei den USA gesucht, forderten sie jetzt von ihnen ein kooperatives Verhalten im Rahmen eines gleichgewichtigen partnerschaftlichen Beziehungsverhältnisses. Diese Forderung beantworteten die USA mit dem Versuch, die Europäer und Japa-ner zu schwächen. Sie nutzten die Uneinigkeit der europäischen Staaten in der Be-friedung der Nachfolgestaaten Jugoslawiens und verstärkten durch entsprechende Abkommen (Aufteilung nach Ethnien) das bereits bestehende Konfliktpotential. Das Streben Nordkoreas nach Atomwaffen und die scharfe Reaktion der USA darauf beschäftigte die Japaner mit einem Konflikt direkt vor ihrer Haustür. Gleichzeitig propagierten die USA wieder die Schaffung der „Einen Welt“, – ein Konzept, das sie erstmals unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg verbreitet hatten, diesmal jedoch in der Gestalt der Globalisierung formuliert. „Globalisierung“ bedeutete für die USA die Ausbreitung amerikanischer Wirtschaftsmethoden über den gesamten Globus, d.h. Globalisierung wurde mit Amerikanisierung gleichgesetzt. Die weltweite Durchsetzung neoliberaler Wirtschaftsmethoden und des damit verknüpften Gesellschaftsmodels zielte auf
Unter Präsident Clinton diente die Menschenrechtspolitik als zusätzlicher und sehr wirksamer Begleiter der amerikanischen Globalisierungsbestrebungen. Sie wurde jedoch sehr selektiv eingesetzt, beispielsweise nicht gegen Saudi-Arabien. Die Einführung der militärischen Komponente amerikanischer Globalisierungspolitik erfolgte jedoch erst unter seinem Nachfolger im Präsidentenamt – George W. Bush – und firmierte als Neokonservatismus. Entsprechend jahrzehntelanger amerikanischer Überzeugung schafft erst die militärische Inter-ventionsmacht die Voraussetzung für die wirtschaftliche Dominanz der USA. Beide Komponenten werden immer als Einheit betrachtet. Die Globalisierungsstrategie, in die frühzeitig Transnationale Unternehmen und das weltweit nach Anlagemöglichkeiten suchende Finanzkapital eingebunden waren, endete nicht vor den Toren Chinas und Indiens, den beiden größten asiatischen Staaten, und konfrontierte die Hochlohnökonomien der alten Industriestaaten mit Wettbewerbsbedingungen, unter denen ihre tradierten sozialstaatsorientierten Modelle nicht mehr finanzierbar erschienen. Für die Europäische Union bedeutete der Globalisierungstrend außerdem die neoliberale Ausformung des europäischen Binnenmarktes und die noch stärkere Ausrichtung der osteuropäischen Beitrittsstaaten im neoliberalen Sinne. 3.2 Ungeplante Effekte der Globalisierungsstrategie Die Formel „Globalisierung gleich Amerikanisierung“ hatte jedoch nicht zur Folge, dass die USA-Ökonomie vom schärfer werdenden Wettbewerb um niedrigere Löhne und geringere Soziallasten verschont blieb. Erstmals war nicht mehr gültig, was Jahrzehnte lang für einen unumstößlichen Glaubenssatz angesehen wurde: Was gut ist für General Motors ist gut für Amerika! Die tiefgreifenden Auswirkungen der Öffnung des amerikanischen Binnenmarktes für Mexiko, China, Indien und Vietnam demonstrierte der US-amerikanischen Bevölkerung die negative Seite der Globalisierungsstrategie. Als besonders gravierend stellte sich heraus, dass Transnationale Unternehmen keine Rücksicht auf ihre Herkunfts- bzw. Stammländer nahmen und im scharfen Wettbewerb untereinander um die günstigsten Produktionsbedingungen kämpften. Der amerikanische Binnenmarkt wurde – anders als ursprünglich erwartet – voll und ganz in den Globalisierungstrend einbezogen. Globalisierung, ursprünglich als elegante Stärkung der USA gegenüber allen anderen Konkurrenten gedacht, hatte nicht zur Folge, dass nach dem siegreichen Ende des Ost-West-Konflikts die Fesseln der dualen Hegemonie abgestreift und durch eine auf die Bedürfnisse der Zentralmacht USA zugeschnittene globale Hegemonie der USA ersetzt werden konnten. Aus der aufkeimenden Einsicht über die fehlgeschlagene Globalisierungs-strategie, parallel zur Einsicht über die Begrenztheit militärischer Interventionen am Beispiel des Irakkriegs, entstand der Versuch, den vormals zweiten Pfeiler amerikanischer Hegemoniebestrebungen wieder zu beleben und einen neuen Ost-West-Konflikt in Gang zu bringen, – nur diesmal mit China als Gegenmacht. 4. Die Wiederauflage des Ost-West-Konflikts in neuer Form 4.1 Der nicht gewinnbare Krieg gegen den „Terror“ Nach der Zerstörung der Zwillingstürme des World Centers am 11. September 2001 schien die „Krake des Terrors“ ihre Fangarme um die USA zu schlingen. Das absolut Böse in Gestalt der Terroristen, hatte den USA – so propagierten es Bush und die Neokonservativen – den Krieg erklärt. Das Gute, die USA, musste zurückschlagen und das Böse vernichten. Krieg gegen Terroristen kann man aber nur führen, wenn sie auf einem spezifischen Territorium zu greifen sind. Treten sie als kleine und über den gesamten Globus verstreute Gruppen auf, müsste man konsequenter-weise allen Ländern, die ihnen freiwillig oder fahrlässigerweise Unterschlupf gewähren, den Krieg erklären oder zumindest damit drohen. Da die Zerstörer des World Trade Centers für länger Zeit unerkannt in Hamburg gelebt hatten, wäre der Vorwurf der Fahrlässigkeit und die Drohung mit antiterroristischen Maßnahmen an Deutschland zu richten gewesen. Statt dessen bot sich Afghanistan für den Krieg gegen den Terror an. Die Taliban, von den USA und Saudi-Arabien großgezogen und finanziell indirekt über Pakistan finanziert, hatten Afghanistan inzwischen fest im Griff und gewährten terroristischen Zellen und ihren Anführern wie Bin Laden freiwillig Unterschlupf. Außerdem hatten sie sich ostentativ dem US-amerikanischen Wunsch verweigert, auf afghanischem Territorium den Bau von Pipelines von Zentralasien nach Pakistan zu dulden. Die USA konnten ihren Einfluss auf die zentralasiatischen Staaten nur dann ausdehnen, wenn es ihnen gelang, die dortigen Gas- und Erdölquellen anzuzapfen und den Ab-transport von Erdgas und -öl nach Süden sicherzustellen. Nach der Zerschlagung der Talibanherrschaft in Afghanistan hätte man deren Rückzugsgebiete in Pakistan angreifen müssen. Pakistan war aber einer der engsten Verbündeten der USA. Über Druckausübung hinaus verbot sich ein militärischer Zugriff auf das pakistanische Territorium; nicht jedoch auf den von Saddam Hussein diktatorisch regierten und als Schurkenstaat disqualifizierten Irak, der zwar keine Terroristen beherbergte, aber dem man gefahrlos eine solche Unterstützung unterstellen konnte. Ein militärischer Angriff auf den Irak verstärkte die These, dass prinzipiell alle Schurkenstaaten Terroristen Unterschlupf gewähren würden. Außerdem lagerten unter irakischem Territorium große Erdöl- und Gasreserven, die man für amerikanische Erdölgesellschaften erschließen konnte. Ein militärischer Angriff auf den Irak ließ sich darüber hinaus auch als willkommene Verbreitung der Demokratie plaka-tieren und ganz nebenbei hatte eine schnelle Eroberung des Irak den Effekt, der übrigen Welt zu demonstrieren, dass die USA zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort in der Lage sein würden, einen Krieg erfolgreich zu beginnen, durchzuführen und das besetzte Territorium und die besiegte Bevölkerung danach wieder zu befrieden. Alle bereits genannten Argumente wurden außerdem von der Behauptung übertroffen, dass mit der Vernichtung Saddam Husseins der maßgebliche Widerstand gegen eine Lösung der Palästinafrage im amerikanisch-israelischen Sinne aus dem Weg ge-räumt werde. Gegen diese Vielzahl von Begründungen mit dem Argument ankämpfen zu wollen, Terroristen seien Kriminelle, gegen die man keinen Krieg führe, sondern nach ihrer Ergreifung zu Gericht sitze, war ein vergebliches Unterfangen. Entgegen vor allem amerikanischer, aber auch teilweise britischer Erwartungen, empfing die irakische Bevölkerung die amerikanischen Invasoren nicht mit Blumensträußen, sondern abwartend und skeptisch. Ihre Haltung schlug letztendlich in Ablehnung um, nachdem die Besatzungspolitik der USA ihr zwiespältiges Gesicht gezeigt hatte. Zum heutigen Zeitpunkt löst sich der Irak innerhalb eines Bürger-krieges in seine drei ethnisch unterschiedlichen Teile auf und sein Territorium ist tatsächlich zum Experimentierfeld von Terroristen geworden. Aus dieser verfahrenen Situation, die sich bereits seit 2004 deutlich abgezeichnet und Bushs Krieg gegen den Terror zu einem nicht gewinnbaren Krieg gemacht hat, bietet sich als Befreiungsschlag ein neuer Ost-West-Konflikt an, – nur diesmal nicht mit dem zwar an Energie reichen aber ansonsten schwachen Russland, sondern mit China und erst in dessen Schlepptau auch mit Russland. 4.2 Eine neue duale Hegemonie zwischen den USA und China? Gefragt, welche Herausforderung China für die USA darstellt, antwortete die amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice im Juli 2005: „I really do believe the U.S. – Japan relationship, the U.S. – South Korean relationship, the U.S. – Indian relationship, all are important in creating an environment in which China is more likely to play a positive role than a negative role. These alliances are not against China; they are alliances … that put China [on] a different path to development than if [it] were simply untethered, simply operating without that strategic context.” (Siddharth Vardarajan, America, India and Outsourcing Imperial Overreach, The Hindu, July 13, 2005). In dieser Antwort steckt der Versuch der USA, gegenüber China nach dem Muster der ehemaligen Containmentpolitik des Ost-West-Konflikts eine Eindämmungspolitik einzuleiten, an der sich möglichst alle Anrainerstaaten Chinas und insbesondere auch Indien beteiligen. Hintergrund der neuen Strategie ist die Erkenntnis der Bush-Administration, dass sich unter der Ägide der Globalisierung China zwar dem Weltmarkt gegenüber geöffnet hat, aber nicht – wie angenommen – daran ökonomisch zerbrochen ist, sondern in schnellen Schritten seine zurückgebliebene Wirtschaft wettbewerbsfähig gestaltet hat und nach geraumer Zeit mehr Produkte in die USA exportierte als von den USA nach China importiert wurden. Transnationale Unternehmen haben die Öffnung des chinesischen Marktes zur drastischen Kostenreduzierung benutzt und legen jetzt größten Wert auf die enge Verzahnung Chinas mit den Absatzmärkten für chinesische Produkte. Der ständig in Meilenstiefeln wachsende chinesische Außenhandel beschert der chinesischen Zentralbank einen enorm steigenden Devisenzufluss insbesondere in US-Dollar. Die Bush-Administration kommt nicht umhin, Chinas ökonomische Herausforderung als sehr ernst anzunehmen. Die chinesischen Führer vermeiden jedoch, in die Fußstapfen der Sowjetunion zu steigen und das gleiche Schicksal wie jene zu erleiden. Sie lassen sich nicht auf einen militärischen Kräftevergleich ein. Offensichtlich trauen sie amerikanischen Politikern und Strategen nicht zu, zwischen den Erfordernissen einer dualen Hegemonie und der Verfolgung eines kräfteverschleißenden neuen Ost-West-Konflikts unterscheiden zu können, in dem jede Seite vornehmlich die jeweils andere zu schwächen sucht, um schließlich als Sieger das Feld der Auseinandersetzung verlassen zu können. Die chinesischen Führer sandten schon frühzeitig Signale nach Indien, sich nicht in eine Eindämmungsstrategie der USA einbinden zu lassen und erhielten letztlich von Indien eine positive Antwort. 4.3 Indien in der Zwickmühle Als einer der Führer der Blockfreienbewegung wurde der politischen Elite Indiens schon sehr früh bewusst, welche Art von Hegemonie die USA und die Sowjetunion im Ost-West-Konflikt miteinander gebildet hatten. Sie erkannten die drei Aspekte der dualen Hegemonie – ideologische Feindschaft, Kooperation vorwiegend in Europa und Rivalität in anderen Teilen der Welt -, unternahmen jede Anstrengung, nicht in das Räderwerk der Rivalität der beiden um neue Einflussgebiete zu geraten und waren letztlich auch erfolgreich in der Bewahrung ihrer Souveränität. Indische Strategen haben auch frühzeitig den Versuch der USA entdeckt, mit und gegen China einen neuen Ost-West-Konflikt zu erzeugen. Als die Bush-Administration Indien einlud, auf der Seite der USA daran teilzuhaben, schien zunächst die Versuchung sehr groß zu sein, aber die bessere Einsicht in die Gesamtzusammenhänge haben die indische Führung letztlich davor bewahrt, der amerikanischen Einladung zu folgen, obwohl bis in die Gegenwart immer wieder Angebote gemacht werden. In der Tat konnten die USA den Indern ein sehr lukratives Angebot offerieren. Sie würden trotz indischer Nichtunterzeichnung des Nichtverbreitungsvertrages für Atomwaffen die Nuklearmacht Indien anerkennen und das seit der Zündung der ersten indischen Atombombe bestehende weltweit angewandte Embargo gegen Indien in der Belieferung mit nuklearem Brennstoff aufheben. In den unverzüglich beginnenden Verhandlungen zu einem zivilen Nuklearabkommen zeichnete sich auch eine Einigung ab. Die USA schienen Indien tatsächlich als gleichwertigen Partner anzuerkennen, aber in der Ausformulierung des sogenannten Kleingedruckten („Hyde Act“) ließen die USA dennoch erkennen, dass im Falle von Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen des Vertrages einseitig auf Indien erhebliche Strafmaßnahmen zukommen würden. Außerdem sprachen sich die USA strikt gegen den Bau einer Gaspipeline von Iran über Pakistan nach Indien aus und gefährdeten damit die indischen Pläne nach mehr Versorgungssicherheit mit Energie. Würden sie unter den bestehenden Gegebenheiten mit den USA für eine Eindämmungspolitik gegen China votieren, hätten sie nicht nur China zum Feind, sondern gefährdeten auch die bis dahin guten Beziehungen zu Russland. Russland als traditioneller Waffenlieferant Indiens könnte künftig sehr viel weniger Rüstungsgüter nach Indien liefern, wenn die USA zum bevorzugten Waffenlieferanten Indiens aufstiegen. Im Falle des Wirksamwerdens einer amerikanisch-indischen Eindämmungspolitik gegenüber China würden die Chinesen außerdem engere Beziehungen mit Russland anstreben, was zur Folge hätte, dass Indien weder über eine Gaspipeline mit billigem iranischen Gas versorgt werden könnte, noch mit Flüssiggas aus Russland und weiterhin einseitig von Gas-lieferungen aus dem unter amerikanischen Einfluss stehenden arabischen Raum abhinge. Sich mit China in eine kräftezehrende Eindämmungspolitik zu begeben, ohne von den USA adäquate Gegenleistungen zu erhalten, war für die indische Führung unakzeptabel. In einem neuen Ost-West-Konflikt würden die USA und China eine neue duale Hegemonie bilden und ihre jeweiligen Verbündeten dieser Hegemonie auf der einen oder anderen Seite zuordnen. Aus der gleichgewichtigen strategischen Partnerschaft mit den USA würde bestenfalls ein Über- und Unterordnungsverhältnis, schlimmstenfalls ein Herrschafts- und Beherrschungsverhältnis zu Lasten Indiens entstehen. 5. Indiens Triangelstrategie (Indien, China, Russland) 5.1 Strategische Partnerschaft zwischen Indien und China Chinas strategische Berater haben Indien schon seit geraumer Zeit zur Bildung einer strategischen Partnerschaft eingeladen. Beide Großmächte Asiens, Nachbarn mit einer gemeinsamen Landgrenze, sollten sich mit Respekt für die jeweils andere Position im freundschaftlichen Wettbewerb miteinander messen, ihren bilateralen Handelsaustausch auch über Land verstärken (Grenzübergang Sikkim/Tibet), in Streitfäl-len Kompromisse schließen und gemeinsam eine interregionale Asienpolitik initiieren. Bei ihrem Vorschlag konnten sie sich auf gelegentliche indische Signale stützen, die immer wieder einmal in Richtung China ausgesandt wurden und nicht nur den Handelsaustausch betrafen, sondern auch Grenzstreitigkeiten ansprachen. Eine strategische Partnerschaft bedeutete, dass beide Seiten auf jegliche Hegemonie verzich-teten und in ihrem Verhältnis zueinander ihre jeweiligen Optionen stets zum Ausgleich brachten. Sie mussten sich insbesondere über ihre strategischen Ziele im Indischen Ozean, im südchinesischen Meer und im Pazifik einig werden, um nicht von den USA gegeneinander ausgespielt zu werden. Von großer Wichtigkeit war auch ein Einverständnis in der Behandlung der Transnationalen Unternehmen und des Finanzkapitals, die beide den chinesischen und indischen Markt zu durchdringen trachten, und hierbei nicht zimperlich vorgehen. Regierungen gegeneinander auszuspielen, indem man die gewährten Vorteile der einen gegen die angebotenen Vorteile der anderen ausspielt, um letztlich beide Regierungen zu schwächen, gehört zum Alltagsgeschäft global tätiger Unternehmen. Auch der größte Binnenmarkt schützt nicht vor solchen Methoden. 5.2 Russlands Beitritt zur strategischen Partnerschaft Indien-China Für geraume Zeit hatte die russische Führung eine enge Anlehnung an die Europäische Union favorisiert, ohne selbst Mitglied sein zu wollen. Voraussetzung für eine solche Partnerschaft war die Anerkennung der engen Anbindung der ehemals zur Sowjetunion gehörigen Staaten Ukraine und Weißrussland an Russland und die europäische Zurückweisung amerikanischer Versuche, der Ukraine sowie Georgien die Mitgliedschaft in der NATO anzubieten. Mit dem Beitritt der baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen zur Europäischen Union (und zur NATO) war man bereit sich abzufinden, wenn die EU mäßigend auf die Außenbeziehungen der drei Staaten zu Russland einwirkte. Die russische Führung veränderte jedoch ihre strategische Ausrichtung angesichts folgender Entwicklungen:
Russland hat in China und Indien sichere Abnehmer seiner Gas- und Ölproduktion gewonnen und ist dabei, die Transportwege auf der Schiene, durch Pipelines und auf dem Schiffswege zu erweitern. Indien bezieht beispielsweise aus Sachalin verflüssigtes Erdgas, nachdem zuvor die Förderrechte westlicher Ölgesellschaften drastisch beschnitten wurden. Indien und China sind außerdem Abnehmer russischer militärischer Produkte. Russland verzichtet sehr bald auf den kasachischen Abschussplatz Baikonur und wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch die Vereinbarungen mit Frankreich über die künftige Benutzung des südamerikanischen Abschlussplatzes im französischen Cayenne nicht Realität werden lassen. Statt dessen ist Russland bereits mit Indien über die gemeinsame Benutzung eines äquatornahen Abschussplatzes für Weltraumraketen sowie die Produktion von Transportflugzeugen handelseinig geworden. Indien schließt sich den russischen GPS-System an. Nachdem die Gaspipeline durch die Ostsee von Estland, Finnland und Schweden zunehmend in Frage gestellt wird, verteuert Russland die Überflugrechte über russisches Territorium nach China und Afghanistan. Sollte außerdem die deutsche Regierung ihren Druck auf den Iran erhöhen, müsste Lufthansa Cargo den weiten Umweg über den Indischen Ozean nehmen und Bundeswehrtransporte nach Usbe-kistan wären unbezahlbar. Ihr Stützpunkt im Süden Usbekistans wäre sinnlos geworden. 5.3 Perspektiven der Dreierallianz Indien-China-Russland Vorübergehend sprach man in westlichen Kommentaren fälschlicherweise von einem Wiederaufleben der Blockfreienbewegung und vergaß völlig, dass weder China noch Russland je dazu gehört haben. Die Dreierallianz führt die zwei bevölkerungsreichsten Länder der Erde China und Indien mit dem Energieriesen Russland zusammen. Der Handelsaustausch zwischen diesen drei strategischen Partnern wird selbst dann erheblich zunehmen, wenn sich Transnationale Unternehmen amerikanischen, japanischen und europäischen Ursprungs aus dem Markt zurückziehen und auf die Wiedererstarkung des innerwestlichen Dreiecks USA-Europa-Japan konzentrieren sollten. In ihrer Produktpalette ergänzen sich die drei Länder hervorragend und treten deshalb nicht als Konkurrenten auf dem Weltmarkt auf. Mit dem Iran als zusätzlichem Energieversorger, Australien als weiteren Rohstoffproduzenten und den ASEAN-Staaten als weiterer Handelspartner für Fertigprodukte würde der interregio-nale asiatische Markt komplettiert. Investitionen zum Ausbau der Infrastruktur aller Regionen sind in Hunderten von Milliarden Euro notwendig. Es ist schwer vorstellbar, dass sich die in Europa und Japan beheimateten TNCs aus diesem zukunftsträchtigen Markt zurückziehen werden, der inzwischen prozentual denjenigen der USA weit übertrifft (z.B. USA = 9% des deutschen Exports, China = 10%, zusätzlich die Exportanteile Russlands, Indiens und der ASEAN-Staaten). 5.4 Isolation der USA Auch unabhängig von der Neustrukturierung des Mit- und Gegeneinanders der globalen Mitspieler droht den USA wegen ihrer internen ökonomischen Schwierigkeiten und der uferlosen Verschuldung tatsächlich eine Isolation. Sie drängen deshalb mit allen erdenklichen Mitteln die Europäer dazu, die von ihnen programmierte Eindämmungsstrategie gegenüber Russland und China mitzutragen und scheinen bei der Bundeskanzlerin Merkel auch Erfolg zu haben, nicht jedoch beim Außenminister. Im Außenministerium sieht man die Lage völlig anders und ist mit der deutschen Wirtschaft der Meinung, die Kontakte zur Dreiländerallianz Indien, China, Russland keinesfalls zu verringern. Die USA drängen Indien mit allen verfügbaren Mitteln dazu, aus der Allianz mit Russ-land und China auszusteigen und statt dessen mit den USA, der EU und Japan engere Beziehungen aufzunehmen. Wenn selbst Henry Kissinger nach Bengalen aufbricht, um mit der dortigen kommunistischen Regionalregierung über die bisher verweigerte Unterschrift unter das amerikanisch-indische Nuklearabkommen zu verhandeln, zeigt dieser Vorgang, wie ernst es den USA schon unter den Nägeln brennt. Inszenierte Unruhen in Bengalen, die den Rückhalt der mit großer Mehrheit gewählten kommunistischen Regierung bei der bengalischen Bevölkerung unterminieren sollen, zeigen an, mit welchen Methoden die Zentralregierung Indiens unter Druck gesetzt wird. Kann sie nicht mehr auf die Abstinenz ihres kommunistischen Koalitionspartners verweisen, muss sie den fertig ausgehandelten Nuklearvertrag mit den USA unterschreiben, der bisher zu ihren Lasten geht. 6. Schlussfolgerungen Als ursprünglich britische Kolonie und zugleich freie Siedlerrepublik strebten die USA in ihren Anfängen nach Unabhängigkeit ihres eigenen Territoriums und des gesamten amerikanischen Kontinents, um schließlich sogar darüber hinaus auch die den USA gegenüberliegenden Küstenregionen von Atlantik und Pazifik in ihren Einflussbereich zu bringen. Trotz dieses Strebens nach Erweiterung ihres Herrschaftsbereichs waren die USA nie in der Lage, ein Imperium zu bilden. Sie wurden frühzeitig gezwungen, mit der Sowjetunion eine duale Hegemonie einzugehen und diese auf zwei Pfeiler zu gründen: das innerwestliche Dreieck USA-Westeuropa-Japan als ersten Pfeiler sowie den Ost-West-Konflikt als zweiten. Die Einschränkungen in ihrer Handlungsfreiheit, die den USA vor allem durch den Ost-West-Konflikt auferlegt wurden, glaubten sie nach der Zerschlagung der Sowjetunion im Zeichen der Globalisierung abschütteln zu können. Da die Globalisierung jedoch nicht zugleich auf eine Amerikanisierung des gesamten Globus hinauslief und sie selbst als Zentralmacht voll unter deren negative Auswirkungen zu leiden hatten, versuchten sie als Ausweg einen neuen Ost-West-Konflikt zu initiieren. Nachdem die chinesische Führung sich nicht verleiten ließ, mit den USA eine duale Hegemonie zu errichten, trugen die USA der indischen Führung an, ihnen bei der Eindämmung Chinas behilflich zu sein und dafür entsprechende Gegenleistungen empfangen zu dürfen. Nach reiflicher Überlegung schlug Indien das Angebot der USA aus und bildete statt dessen zusammen mit China eine strategische Partnerschaft, der sich Russland inzwischen angeschlossen hat. Gegen dieses indisch-chinesisch-russische Dreieck versuchen die USA jetzt das „alte“ innerwestliche Dreieck USA-Westeuropa-Japan in Stellung zu bringen. Ihre Ausgangsposition ist jedoch denkbar schlecht, weil sie sich in einer kritischen ökonomischen Phase befinden und gegenwärtig nicht besonders attraktiv für die transnationalen Unternehmen und das global agierende Finanzkapital sind. Weder letztere noch die hofierten Partner von einst (Westeuropa und Japan) wollen sich von sicheren Energiequellen und reichen Produktions- und Absatzmärkten sowie lukrativen Finanzplätzen trennen. Bis auf wenige Ausnahmen (z.B. die jetzige Bundeskanzlerin Merkel und die britische Regierung) streben sie danach, den Vorstellungen der USA nicht zu folgen. Gegen die drohende Isolierung wird die amerikanische Administration mit allen verfügbaren Mitteln ankämpfen und sich trotz Guantanamo und Foltervorwürfen als der Hort der Freiheit und der Demokratie präsentieren. Anmerkungen 1. Zu diesem Zweck wurde ein in Paris angesiedeltes Koordinationskomitee (COCOM) gebildet, das bis nach dem Ende des Ost-West-Konflikts funktionierte. 2. Großbritannien und Frankreich signalisierten durch ihre Teilnahme, dass sie ihre inzwischen fort-geschrittene Abhängigkeit von den USA (Suezkanalniederlage 1956) als weniger gravierend betrachteten als eine eventuelle Vereinigung Deutschlands. <img src="http://vg03.met.vgwort.de/na/01d536b40b30467d906d4b47352a3212" width="1" height="1" alt="" /> Vorliegender Text wurde am Tag der Europawahlen als Kommentar aus deutscher Sicht in einem französischen Online-Magazin veröffentlicht. Die europäische Entwicklung von der Gründung der Montanunion bis zur EU wird dabei in den größeren weltpolitischen Kontext eingeordnet.
1. Etappen der räumlichen Entfaltung Die Entstehung der Europäischen Union hat zwei Geburtshelfer. Nach dem Ende des II. Weltkrieges sollte die Kohle- und Stahlindustrie Deutschlands eng mit der westeuropäischen verschmolzen werden, um nicht wieder wie nach dem ersten Weltkrieg als Nukleus einer erneuten deutschen Aufrüstung zu dienen. Mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) bzw. Montanunion entstand ein enger Verbund der westeuropäischen Schwerindustrie mit weitreichenden Folgen für die verarbeitende Industrie, den Handel und den gesamten Dienstleistungsbereich. Die Zukunft Deutschlands war fortan unabänderlich mit der ganz Westeuropas verkettet. Der zweite Geburtshelfer waren die USA. Sie wollten sich künftig auf dem europäischen Kontinent fest verankern und benötigten dafür einen einheitlichen und durch keine Grenzen zerschnittenen Wirtschaftsraum. Nur ein solcher Raum bot us-amerikanischen Unternehmen längerfristig geeignete Absatz- und Investitionschancen. Der 1957 gegründeten Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) lag ein Interessenausgleich zwischen Frankreich und Deutschland zugrunde: Die EWG öffnete der wieder aufstrebenden deutschen Industrie einen zollfreien Absatzmarkt und im Ausgleich dafür wurde die französische Agrarwirtschaft durch hohe Agrarsubventionen gestützt; wobei anzumerken ist, dass Frankreich seinen Widerstand gegen die Mitgliedschaft Großbritanniens in der EWG erst aufgab, nachdem die französische Wirtschaft allein als Gegengewicht zur gewachsenen deutschen Wirtschaftskraft zu schwach geworden war. Der Beitritt Großbritanniens, Irlands und Dänemarks im Jahre 1973 eröffnete den Reigen der stufenförmigen Ausdehnung der EWG. Die Erweiterung ging zunächst in südliche Richtung (Griechenland 1981) und dann in südwestliche Richtung (1986: Spanien, Portugal). Diese beiden Erweiterungen geschahen in der Absicht, diktatorisch geprägte Gesellschaften aus ihrer Rückständigkeit zu befreien und sie beschleunigt ökonomisch und politisch an Europa anzubinden. Nach Gründung der Europäischen Union (1992) traten die zuvor in der EFTA (Europäische Freihandelsassoziation) versammelten und der Neutralität verpflichteten Länder Österreich und Schweden der Union bei (1995). Im gleichen Jahr wurde auch das bis dahin ökonomisch auf die Sowjetunion orientierte und jetzt nach neuen Absatzmärkten und Sicherheit ausschauende Finnland Mitglied der EU. 2004 begann mit Slowenien die schrittweise Angliederung der Konkursmasse des zerfallenen Jugoslawiens an die EU. Die Aufnahme Zyperns und Maltas im gleichen Jahr (2004) demonstrierte das stärker werdende Bestreben der EU, künftig im gesamten Mittelmeerraum präsent zu sein. Mit dem ebenfalls 2004 erfolgenden Beitritt der Länder aus dem vormaligen Staats- und Einflussgebiet der Sowjetunion (Baltische Länder, Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn) überwand die EU die jahrzehntelange Teilung Europas in ein sowjetisch geprägtes Mittel- und Osteuropa und ein auf die USA orientiertes Westeuropa. Die bis 2007 verschobene Aufnahme von Rumänien und Bulgarien arrondierte diese Entwicklung und versetzte die noch nicht zur EU gehörigen westlichen Balkanstaaten in eine Binnenlage innerhalb des von der EU umschlossenen Territoriums. Als Schlussfolgerung ergibt sich folgendes Bild: Die Ost- und Südostausdehnung der Europäischen Union hat die Geographie der EU entscheidend verändert. Ihr Schwergewicht wurde in Richtung Osten verschoben. Aus der EU mit Frankreich als Herz und dem Mittelpunkt Paris ist eine Ellipse mit Deutschland als zweitem Standbein der EU und Berlin als zweitem Brennpunkt geworden. In den beiden Brennpunkten Paris und Berlin konzentriert sich seit einigen Jahren das Kräftefeld der neuen EU. 2. Folgen der Vertiefung der Europäischen Union – am Beispiel der Einführung des Euros als Gemeinschaftswährung Bereits lange vor der Vereinigung Deutschlands im Jahre 1990 empfanden andere Mitglieder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die Geldpolitik der deutschen Bundesbank als stark einschränkende Kraft für ihre eigene Konjunktur- und Fiskalpolitik. Die Deutsche Währung war zur faktischen Leitwährung Europas aufgestiegen und die Bundesbank nahm zunehmend inoffiziell die Rolle einer europäischen Zentralbank ein. Der Unwillen der übrigen Mitgliedsländer verstärkte sich erheblich, als dann auch noch die Vereinigung Deutschlands vorwiegend mit geldpolitischen Mitteln betrieben wurde. Die von Frankreich gewünschte Einführung des Euro als neue europäische Gemeinschaftswährung – im Jahre 1999 zunächst als Buchgeld und ab 2002 als gesetzliches Zahlungsmittel – sollte diesen unbefriedigenden Zustand definitiv beenden. Als Gegenleistung erklärten sich alle Gründungsländer der neuen Währung lediglich damit einverstanden, dass die Ausgestaltung der Europäischen Zentralbank (EZB) nach dem Muster der Bundesbank erfolgen sollte und künftig vorwiegend der Bekämpfung inflationärer Entwicklungen zu dienen hatte. Auf die Einschränkung ihres geldpolitischen Handlungsspielraums reagierte nun die deutsche Seite mit dem Instrument der Lohnstückkostensenkung. Im Verein mit der deutschen Wirtschaft und unter stillschweigender bzw. teilweise unter öffentlichem Druck erfolgenden Duldung der deutschen Gewerkschaften unterlief sie die von den übrigen Mitgliedsländern beabsichtigte Reduzierung traditioneller deutscher Wettbewerbsvorteile. Der Ausbau eines Niedriglohnsektors und die frühzeitige Verlagerung lohnintensiver Produktionsbereiche in die künftig zur EU gehörigen ost- und südosteuropäischen Länder senkte die Lohnstückkosten unter das Niveau der Nachbarländer. Dank der neu gewonnenen Wettbewerbsvorteile eroberte die bundesdeutsche Wirtschaft immer mehr Bereiche des EU-Binnenmarktes und avancierte schließlich sogar global zum „Exportweltmeister“. Dabei verlor der Euro seine abschreckende Wirkung und entwickelte sich sogar umgekehrt zur Stütze des bundesdeutschen Exportmotors auf dem Weltmarkt. Für lange Zeit verhallten kritische Stimmen völlig wirkungslos, von denen die einseitige Ausrichtung der bundesdeutschen Wirtschaft auf den Export beanstandet und als drückende Last für die deutschen Lohnempfänger beklagt wurde. Selbst mahnende Worte der Nachbarländer, ob etwa die deutsche Wirtschaft noch nachträglich das Ziel des ersten Weltkriegs – die wirtschaftliche Dominanz im ost- und südosteuropäischen Raum – anstreben wolle, verklangen ohne ausreichenden Widerhall. Angesichts der von den USA ausgehenden Globalisierung der Finanz- und Realwirtschaft sei man zum Handeln gezwungen und müsse die eigene Wettbewerbsposition unter allen Umständen stärken – so die Kommentare von Vertretern der Wirtschaft und Politik. 3. Bestrebungen zur Schaffung einer sicheren und diversifizierten Versorgung mit Energie für die expandierende EU Hatte schon die Einbeziehung des Baltikums in die EU den Argwohn Russlands hervorgerufen, verstärkte sich das russische Misstrauen noch mehr, als Pläne zur Umgehung Russlands in der Versorgung der EU mit Erdöl und Erdgas publik wurden. Anstatt die bestehenden Pipelines auszubauen und Russland als sichere Versorgungsquelle zu nutzen, unterstützte die EU den von den USA geförderten Bau von Pipelines für den Transport von Erdöl und Erdgas vom Kaspischen Meer durch Aserbeidschan, Georgien zum Schwarzen Meer (Supsa) und die Türkei zum Mittelmeer (Ceyhan) und projektierte außerdem eine weitere Gaspipeline (Nabucco), die ebenfalls vom Kaspischen Meer durch Georgien, die Türkei und Bulgarien bis nach Ungarn führen sollte. Damit wurde russischen Territorium gezielt umgangen. Als ein deutsch-russisches Konsortium die Verlegung einer Gaspipeline durch die Ostsee von Russland nach Deutschland plante, stieß es auf vorwiegend politisch motivierten Widerstand vor allem in den Baltischen Staaten und Polen und darüber hinaus zusätzlich auf ökologische Bedenken in Finnland und Schweden. Die Ostausdehnung der EU auf das vormals zur Sowjetunion gehörende Baltikum und das damals im sowjetischen Einflussbereich liegende Polen behinderte die EU in der Aufnahme gut nachbarschaftlicher Beziehungen zu Russland. Mit der Ostausdehnung nahm die EU Länder auf, die nicht in der EU-Mitgliedschaft, sondern in der Aufnahme enger Beziehungen zu den USA ihre Sicherheit gewährleistet sahen. Die Mitgliedschaft in der Nato war für sie der Garant ihrer Unabhängigkeit und selbst bevorzugte deutsch-russische Beziehungen stießen auf ihren massiven Widerstand. Als Folge beider Entwicklungen,
Den USA unter der Führung des Präsidenten Bush Jr. gelang sogar die Herabstufung einiger Mitglieder der EU zum Erfüllungsgehilfen us-amerikanischer Hegemonialbestrebungen. Die beabsichtigte Stationierung amerikanischer Antiraketen in Polen war Teil der Gesamtstrategie der USA zur Wiederbelebung des Ost-West-Konflikts und verletzte die grundlegenden Interessen Europas. Die USA avancierten außerdem zum Beschützer einiger Balkanstaaten und schwächten damit die Präsenz der EU auch in diesem Gebiet. Ihre Vorgehensweise demonstrierte beispielhaft, wie schwach und teilbar die EU von der Bush-Administration eingeschätzt wurde und in welcher abfälligen Weise sie Europa zum Exerzierfeld ihrer globalen Interessen zu machen versuchte. Zur Zersplitterung der EU trug auch die lange Zeit verfolgte Strategie bundesdeutscher Regierungen bei, eine Mittlerposition zwischen Frankreich und den USA einnehmen zu wollen. Berlin als neuer östlicher Brennpunkt der EU verlor in dieser Zeit drastisch an Wirksamkeit. Erst die von den USA ausgehende Finanzkrise bewirkte eine Umkehr zugunsten der EU. 4. Stärkung der EU als Resultat der Schwächung des Finanzplatzes London Eine mit den USA gleichwertige Position erlangte die EU zu einem Zeitpunkt, als das anglo-amerikanische Finanzimperium erste Schwächeerscheinungen zeigte und neben der Wall Street auch der Finanzplatz London an Bedeutung verlor. Britische Regierungen hatten in der Vergangenheit ausschließlich die Stärkung des Finanzplatzes London vor Augen. So lange z.B. die City von London der Labourregierung genügend Steuereinnahmen einbrachte, um ihre Sozialprogramme zu finanzieren, beharrte sie auf ihrer Sonderstellung zu den USA und übernahm jede Maßnahme – sinnvoll oder nicht -, die über den Atlantik herüberschwappte. Britische Regierungen unterschieden nie deutlich zwischen ihren Interessen, die ihnen aus ihrer Mitgliedschaft in der EU erwuchsen, und ihren transatlantischen Interessen, die sie als Teil der anglo-amerikanischen Hegemonie formulierten. In Konfliktfällen saß ihnen das „transatlantische Hemd“ immer näher als der „europäische Rock“. Bei der Aufrechterhaltung von Steueroasen, die unter britischer Oberhoheit standen, und in der Deregulierung von Finanzoperationen transnationaler Unternehmen und weltweit agierender Investmentbanken vertraten sie stets deren Interessen. Die von den USA ausgehende Globalisierungsstrategie fand ihr volle Unterstützung. Bisher ist nicht absehbar, wann und unter welchen Bedingungen Großbritannien den Interessen der EU Vorrang einräumen wird. Eine Rückkehr zum Neuaufbau von Industrien wäre eine der zu erfüllenden Bedingungen. Eine andere bestünde in der Einbettung der Londoner Finanzwelt in die Geld- und Handelsgeschäfte Kontinentaleuropas, z.B. durch eine enge Kooperation zwischen den Börsen von London, Paris und Frankfurt. Voraussetzung dafür wäre die Abkehr vom Euro-Dollar und die Hinwendung zum Euro, ob mit oder ohne Beibehaltung des Pfund Sterling. 5. Wechselbeziehung zwischen europäischer Identität und kollektivem Gedächtnis Es wäre vermessen zu behaupten, heutzutage bestünde bereits eine ausgeprägte europäische Identität auf der Grundlage eines allen Europäern gemeinsamen kollektiven Gedächtnisses. Das britische Beispiel zeugt geradewegs vom Gegenteil. Es wird noch sehr lange dauern, bis das Beispiel eines deutsch-französischen Geschichtsbuchs durch ein englisch-französisches oder englisch-deutsches ergänzt sein wird. Es wird noch sehr viel länger dauern, bis ein solches gemeinsames Geschichtsbuch seinen Weg in die Schulen findet und die national begrenzten kollektiven Gedächtnisse zusammenführt. In den gegenwärtig existierenden kollektiven Gedächtnissen dominiert noch die Ausgrenzung der anderen und in nicht wenigen Fällen sogar die Schuldübertragung für gesamteuropäische Fehlleistungen auf die jeweils anderen. Trotz vieler gemeinsamer Werte, die den Europäern erst dann richtig bewusst werden, wenn sie sich in anderen Kulturen begegnen und mit der Andersheit anderer Kulturen auseinandersetzen müssen, scheitert die Entfaltung einer gemeinsamen Identität immer noch an den unterschiedlichen Erinnerungskulturen. Bei der Erzeugung eines gemeinsamen europäischen kollektiven Gedächtnisses kommt den beiden Brennpunkten der europäischen Ellipse eine herausragende Bedeutung zu. Paris und Berlin haben hier ihre ureigene Aufgabe noch nicht voll erkannt, aber der Anfang ist bereits gemacht. 09 <img src="http://vg03.met.vgwort.de/na/3818ea47d7e54ae7a16b33c9e41cffff" width="1" height="1" alt="" /> |
AutorReinhard Hildebrandt Archive
September 2019
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