Von unserer ersten Reise nach Leningrad 1974 sind mir magische Bilder, überraschende Eindrücke sowie auch außergewöhnliche und verrückte Begegnungen in Erinnerung geblieben. Dreiundvierzig Jahre später wollte ich überprüfen, ob vor allem die magischen Bilder immer noch zutreffend sind oder ob die Welle der Globalisierung oder vielleicht sogar das heutige Regime Russlands alles überrollt hat. Um die Antwort gleich vorweg zu nehmen, die Stadt und auch die Menschen haben nichts von ihrer Außergewöhnlichkeit verloren, sondern - so mein gefühlsmäßiger Eindruck - sogar noch hinzugewonnen. Aber nun im Einzelnen.
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Simone Lück-Hildebrandt
Sonnabend, 2. Juli 16 Wir treffen ganz pünktlich am Flughafen Schönefeld ein, müssen sogar noch bis zum check-in warten. Der Flug nach Edinburgh verläuft ohne Probleme. Zu unserer Überraschung landen wir gegen 22.20 noch im Hellen. Fahrt mit dem Bus in die Stadt. Gut, dass wir warm anzogen sind, es ist ziemlich kühl und windig. Das Einchecken im Student Hostel geschieht ohne Probleme. Das Zimmer, klein aber fein, ist für die Selbstversorgung gut ausgestattet: Als einziges Problem erweist sich das Bett. Es ist sehr schmal und hart gefedert. Sonntag, 3. Juli 16 Auf der Suche nach einem Frühstück erkunden wir die East Road und werden bald fündig. Die Straße führt in Richtung Hafen zum Ocean Terminal. Rechts und links der Straße stehen in dunklem Naturstein und im gleichen Stil errichtete dreistöckigen Häuser, von denen sich der grüne Rasen der Parks kontratreich abheben. Das Wetter ist sehr klar, sonnig, aber kühl. Nahe der Küste kommen wir in ein interessantes Viertel: Neue Häuser wechseln mit umgebauten Speicheranlagen ab. Der Ocean Terminal ist ein riesiges Einkaufszentrum (Baustil Arkaden) mit schönem Ausblick vom oberen Parkdeck auf das Meer. Eine Attraktion ist das königliche Segelschiff, das man besichtigen kann. Am Nachmittag erkunden wir den Weg in Richtung Schule. Als erstes entdecken wir, dass wir next to the queen wohnen. Es ist der Palast, in dem sich die Queen einmal im Jahr für ca. zwei Wochen aufhält. Sie ist gerade in Edingburgh anwesend. Die Schule finden wir zwar nicht, aber dafür das legendäre Andaluz-Restaurant, das in in allen Reiseführern verzeichnet ist. Insgesamt ist unser erster Eindruck sehr positiv: die Leute sind sehr freundlich. Wenn man durch die Straßen geht, empfindet man keine Hektik, sondern eine gewisse Gelassenheit. Montag, 4. Juli 16 Wir stehen früh auf. Nach einem kleinen Frühstück starten wir in Richtung Schule. Reinhard begibt sich in die Unterrichtsräume und ich mache mich auf den Weg zur Touristeninfo, um Erkundigungen über Busfahrkarten in die Highlands einzuholen. Auf dem Weg gibt es viele Geschäfte und da muss geschaut werden. Mein erster Gang durch die Altstadt mit vielen Touristen schließt sich an: Besuch in der St.Giles' Cathedral und im lauschigen Writer's Museum. Langsame Rückkehr zur Schule, um Reinhard in Empfang zu nehmen. Anschließend kleines Suppenmittagessen im Fischrestaurant. Regen setzt ein und begleitet uns bis in den Abend. Der für den Abend angesetzte Besuch im Comedy-Club fällt aus zwei Gründen ins Wasser: der Club ist voll besetzt und es regnet immer noch. Statt Comedy finden wir ein kleines Restaurant in der Altstadt mit sehr leckerem Kuchen. Dienstag, 5. Juli 16 Heute läuft schon am Morgen alles wie eingespielt: Der Mann geht zur Schule, die Frau macht die Betten und säubert die Wohnung. Da ich mich beim Einkaufen etwas verlaufe, habe ich die Gelegenheit, die nähere Umgebung des Studentenwohnheims kennen zu lernen. Es gibt einige kleine „angesagte“ Läden – Keramikladen mit Café, zwei Osteopathie-Studios – daneben dann aber auch ganz einfache kleine Läden mit vorwiegend indischen Besitzern. In einem Supermarkt mit vorwiegend gefrorenen Lebensmitteln sowie Fertiggerichten erlebe ich, was die einfachen Leute essen. Wenn sie sehr viele Fertiggerichte kaufen, werden ihnen die Lebensmittel sogar frei ins Hause geliefert. Nach Schulschluss kaufen wir ein sehr gutes und preisgünstiges, aus festem wasserabweisenden Stoff hergestelltes Jackett für Reinhard und buchen anschließend unsere Tour in die Highlands. Die junge Frau am Schalter kommt aus Spanien. Viele junge Angestellte kommen aus Spanien, Portugal oder auch aus Polen. Zurückgekehrt in unserer Unterkunft finden wir die gewünschte zweite Bettdecke vor. So haben wir nun wirklich ein weiches Bett. Danach kochen wir in der Küche unserer Mittagessen und fahren anschließend noch einmal in die Altstadt. Wir wundern uns über die vielen feingemachten Leute – die Damen in leichten, manchmal abenteuerlichen Cocktailkleidchen mit einem „Hauch“ von Hütchen, die Herren häufig im Schottenrock. In einem der vielen schottischen Bekleidungshäuser erfahren wir, dass die Queen zur Gartenparty eingeladen hat – uns leider nicht!!! Dafür gibt es noch eine wunderbare Wintercasquette. Der Verkäufer zeigt sich als Schotte nicht glücklich über den Besuch der englischen Queen. Bis zum Beginn des Tanzabends, Ceilidhs, bleibt uns noch Zeit. So haben wir Gelegenheit, das Schloss von außen zu betrachten, zum Grassmarket hinunterzusteigen und die berühmte Edingburgher Universität anzuschauen (David Hume und Adam Smith lehrten hier.). Direkt neben der Universität erstreckt sich eine wunderbare weite Rasenfläche, die zum Ballspielen einlädt. Wir beobachten ein bisschen die zahlreichen Freizeitsportler. Der Tanzabend im Malones ist eine lustige Angelegenheit. Das Malones ist ein großes Lokal mit einer Rundumveranda – wir fühlten uns ein bisschen an das Globe Theatre erinnert. Im Eintritt inbegriffen ist ein Glas Bier oder Whiskey. Zunächst noch leer, füllt sich das Lokal nach und nach mit vorwiegend jungen Leuten. Offenbar sind auch Touristen oder auch Studenten aus anderen Ländern dabei. Nachdem sich die Musiker eingestimmt haben, werden alle Anwesenden zum Volkstanz aufgefordert. Die energische Violinistin erklärt die Reihenfolge der verschiedenen Tanzschritte. Ganz schnell entsteht eine lustige, ausgelassene Stimmung. Die Leute werfen sich mit ihrer ganzen jugendlichen Energie in die Tänze. Obwohl es zunächst den Anschein hat, als würde alles chaotisch durcheinander gehen, entwickelt sich doch langsam ein einigermaßen abgerundetes Bild der verschiedenen Tänze. Ein älteres Ehepaar aus Jerusalem (wahrscheinlich unser Alter) gesellt sich zu uns. Die Frau würde wohl gerne tanzen, aber der Mann will nicht. Deshalb fragt sie mich, aber ich begreife schnell, dass die robustenTanzschritte meinen Knien nicht gut tun würden. Mittwoch, 6. Juli 16 Heute entdecke ich auf meinem morgendlichen Alleingang das wunderbare Scottish Storytellung Centre. Es befindet sich im ältesten Haus in der High Street; unter dem gleichen Dach ist auch das John Knox Museum (John Knox, ein Reformator) untergebracht. Dieses Zentrum bietet alles: Erzählvormittage für Kinder, Geschichtenerzählungen am Nachmittag und am Abend, kleine Ausstellungen, Fortbildungen für Erzähler, Hilfe für Menschen in sozial und psychisch schwierigen Situationen und ein wunderbares Café. Auf den Tischen steht eine kleine Glasschale mit „Erzählsteinen“, gedacht für die Abendveranstaltungen, wenn das Publikum in das Geschichtenerzählen eingebunden werden soll. Nach einem leckeren Capuccino und einem kleinen Stück Kuchen geht es weiter in Richtung North-Bridge. Zwischendurch entdecke ich noch einen kleinen feinen Schmuckladen und das Restaurant „The Dome“ im Gebäude der ehemaligen Commercial Bank of Scotland. Dort kann man unter einer wunderbaren Kuppel (vergleichbar mit der von Lafayette in Paris) sehr teuer zu Mittag essen. Einen kleinen Tee dagegen kann man sich im Georgian Restaurant genehmigen, wozu ich dann auch Reinhard überreden kann. Der zweite Schultag war doch recht anstrengend und der Tee mit Blättern von Passionsfrucht und Orange hilft uns wieder auf die Beine. Weitere Rundgänge fallen jedoch ins Wasser, denn es regnet schon wieder. Wir bereiten das Essen vor und verkriechen uns anschließend in unserem schmalen Bett. Danach machen wir uns doch noch einmal auf den Weg zum Leigh-Quartier, das in der Nähe des Hafens am Fjord liegt. Die alten Lagerhäuser hat man - wie bereits erwähnt - ganz geschickt zu Wohnhäusern um-, und z.T. zu Lofts, ausgebaut. Insgesamt herrscht am Abend eine nette entspannte Atmosphäre. Es regnet wieder stärker, deshalb müssen wir Zuflucht in einer Bar mit Restaurant suchen. Hier starren alle gebannt auf den Bildschirm, denn es spielt Wales gegen Portugal. Dennoch ist die Atmosphäre nicht aufgeladen, sondern eher entspannt. Auf dem Rückweg finden wir noch einen offenen Lidl-Markt, so dass wir noch Fehlendes einkaufen können. Der Bus 35 bringt uns schließlich zurück in die Unterkunft. Im Fernsehen verfolgen wir noch die „erschütternden“ Äußerungen von Tony Blair aus dem nach längerer Verzögerung veröffentlichten Bericht über den Anfang des Irak-Kriegs, den die USA und Großbritannien leichtfertig vom Zaun gebrochen hatten, ohne an die Spätfolgen ihres Eingreifens (Zerrüttung des gesamten arabischen Raums) den leisesten Gedanken zu verschwenden. In der Zeit nach dem Brexit wird die britische Nibelungentreue zu den damals aggressiv vorangehenden USA als Niederlage empfunden. Donnerstag, 7. Juli 16 Zu unserem großen Erstaunen beginnt der Tag wettermäßig sehr freundlich. Dabei bleibt es auch, was für ein Wunder!! Ich habe die Möglichkeit, die Lerngruppe für den Besuch des Parlaments zu begleiten. Zugleich bekomme ich einen kleinen Einblick in den Unterricht; die Lehrerin macht das wirklich gut – erfrischend, motivierend und humorvoll. Wir können zwar keine Parlamentssitzung besuchen (es ist schon Sommerpause), aber der Besuch in diesem außergewöhnlichen Gebäude – es erinnert ein bisschen an die Philharmonie – lohnt sich auf jeden Fall. Interessanterweise hat man dieses Gebäude ganz in die Nähe des Holyrood-Palace gebaut, in dem die Queen nun ja gerade ihre zwei Wochen verbringt. Der Besuch beginnt mit einer sehr eindrucksvollen Fotoausstellung: Journalisten aus der ganzen Welt haben in ihren Fotos das große Elend, das uns ständig in den Nachrichten begleitet, auf die Platte gebannt. Teilweise wird einem der Atem genommen, zumal man sich vergegenwärtigen muss, dass es die „glorreichen“ Amerikaner und Europäer sind, die dieses verursacht haben. Ironischerweise treffen wir dann auch noch die Queen, als sie den Palast Richtung Innenstadt verlässt. Die schottische Kleidung mit einem Hut mit Troddeln besetzt erinnert fast an ein Karnevalskostüm. Der Gegensatz zwischen der distinguierten Pracht der Queen-Entourage und der Armut und dem Hunger in der Fotoausstellung drinnen kann größer nicht sein!! Die Rückkehr zur Schule geht über den Carlton-Hill, einer der lohnenswerten Aussichtspunkte auf die Stadt. Der heutige Unterricht endet mit diesem Besuch; so können wir zum Hostel zurückkehren und uns für den Nachmittag ausruhen. Wir stürzen uns wieder in das Getümmel der High-Street und besuchen die St.Giles' Kathedrale, das Writer’s Museum und das Edinburgh Castle. Im Museum und im Schloss wird uns noch einmal sehr deutlich, welche Traditionen auf den Schotten „lasten“:
Nach diesen intensiven Besuchen genehmigen wir uns noch einen Tee und schließlich ein sehr leckeres Muschelgericht im wahrscheinlich besten Fischrestaurant Edinburghs Etwas abgekämpft kommen wir zu Hause an und müssen uns dann doch noch die Niederlage Deutschlands gegen Frankreich anschauen. Na ja … Freitag, 8. Juli 16 Morgens wie immer: Frühstück, der Mann geht zur Schule, Schreiben, Einkaufen. Es bleibt gerade noch genug Zeit, um herauszufinden, wie teuer die Fahrt mit dem Bus nach Glasgow ist. Die Entscheidung ob Bus oder Zug ist schnell geklärt; mit dem Bus ist es eindeutig billiger. Nach „Schulschluss“ gibt es zunächst einen guten Kaffee; das Kaffeehaus ist in einem Haus aus der Jahrhundertwende untergebracht, zu bewundern ist die kleine Glaskuppel. Nach dem Geldtausch geht es nach Hause. Heute bereiten wir unseren wunderbaren Lachs zu. Obwohl bei Lidl eingekauft, ist er doch von hervorragender Qualität. Der Mittagsschlaf ist nach einem so hervorragenden Essen unvermeidlich. Am Nachmittag geht es mit dem Bus zum Portobello-Strand. Ein sehr hübscher Ort, ehemals ein Dorf, in dem vor allem Ziegel gebrannt wurden, aber in dem auch schon immer die Bewohner von Edinburgh ihr Wochenende verbracht haben, zunächst die reichen Bürger und später auch die „working class“. Bemerkenswert, dass man in der heutigen Zeit noch so eindeutig die Klassengesellschaft benennt. Für uns wird es nachvollziehbar, dass es in Großbritannien ein noch ausgeprägtes Klassenbewusst-sein gibt, was ja bei uns durch geschickte Formulierungen versteckt wird. Der Spaziergang auf der Strandpromenade bei Abendsonnenschein ist wunderbar. Das Wasser hat höchstens eine Temperatur von 13/14 Grad: eindeutig zu kalt für uns. Zunächst sehen wir nur Hunde, die in die Wellen springen, später allerdings auch zwei junge Mädchen (ca. 9 oder 10 Jahre alt). Wir haben zwar insgesamt nicht den Blick auf das weite Meer, es riecht auch noch nicht nach Meer, aber trotzdem erholen wir uns gut. Gegen 20.30 Uhr geht es zurück nach Hause. Noch ein bisschen Fernsehen und dann verkriechen wir uns ins Bett. Sonnabend, 9. Juli 16 Heute lassen wir es gemütlich angehen. Nach dem Frühstück geht es zum zentralen Busbahnhof. Überpünktlich, um 8.55 Uhr geht es in Richtung Glasgow. Obwohl wir uns vornehmen, auf Industrieansiedlungen zu achten, überkommt uns schnell die „Morgenmüdigkeit“, die uns erst in Glasgow wieder verlässt. Der Tag dort beginnt zunächst regnerisch. Direkt neben dem Busbahnhof befindet sich die „Concert Hall“, ein imposanter Neubau. Allerdings sind bereits Theaterferien, so dass wir kein Konzert buchen können. Der weitere Weg führt uns zunächst zum Zentralbahnhof – ein geniales Gebäude aus dem 19. Jahrhundert. Er sieht zwar anders aus als die „Gare de Lyon“, aber es herrscht der gleiche Flair. Durch die Dachfenster ist es besonders hell und dies hebt sich sehr gut ab gegenüber den kleinen eingebauten Boutiquen aus dunklem Holz. Ein Edelrestaurant darf hier natürlich nicht fehlen: das „Champagne“; wir sind schon mit einem kleinen Kaffee zufrieden. Gut aufgeweckt, drehen wir nun unsere Runden durch die Innenstadt, die meisten Gebäude stammen aus der Jahrhundertwende (19. zum 20. Jh). Ein besonders hübscher Laden zieht unsere Blicke an, ein Teehaus. Hier finden wir den wunderbaren Mango-Tee (Teeblätter). Und ein bisschen weiter sind kleine und große Flaschen mit Seife oder Kosmetik sehr anziehend. Eine freundliche Verkäuferin lädt uns zum Händewaschen ein. Ja, diese Lotion ist schon wunderbar. Und dann gibt es auch Sandelholzlotion. Das muss ja doch gekauft werden. Fast interessanter ist jedoch das Gespräch mit der Verkäuferin, die uns auf Deutsch anspricht und uns erzählt, dass sie lange in der Nähe von Frankfurt gelebt hat. Auf das Wetter angesprochen, erklärt sie uns, dass es eigentlich immer im Juli regnet. Auf jeden Fall freut sie sich, ihr Deutsch zu praktizieren. So nun ist aber genug eingekauft. Es gibt nichts mehr, auch nicht in der wunderbaren Diamantengalerie: wieder ein architektonisches Schmuckstück vom Ende des 19.Jhs. Zugleich haben wir noch nie so viele hässliche Brillantringe, -armbänder und -ketten auf einen Fleck gesehen wie dort. Auch bei genauestem Suchen findet sich keine Fassung, die mir auch nur annähernd gefallen könnte. Unser weiterer Weg durch die Einkaufsstraßen führt uns in eine viel ärmere Gegend, wir haben den Eindruck, dass hier alles abgerissen und durch irgendwelche Geschäftszentren ersetzt werden soll. Insgesamt ist unser Interesse so langsam gesättigt. Wir haben verstanden, dass Glasgow letztlich eine Industriestadt ist: planquadratisch angelegt, Ende des 19. Jhs. erbaut und jetzt natürlich erweitert. Um groß einzukaufen, fährt man nach Glasgow, aber um nett zu leben, fährt man nach Edinburgh. Am Abend machen wir noch einen kleinen Rundgang um unser Studenthostel. Wir entdecken, dass der Aufstieg zum Arthur’s Seat, 251 m, hoch ist. Teilweise sieht es so ein bisschen aus wie auf dem Teufelsberg, aber es gibt am Teufelsberg kein Schloss mit einer Königin. Zwei Bier in einem Pub beschließen den Abend. Sonntag, 10. Juli 16 Heute ist sehr frühes Aufstehen angesagt, denn es geht in die Highlands zum Loch Ness. Ganz in der Nähe von unserer Unterkunft werden wir mit dem Reisebus abgeholt. Es ist interessant zu sehen, wo die anderen Gäste untergekommen sind – teilweise in ganz feudalen Travel-Lodges. Obwohl wir uns zunächst über sehr schönes Wetter freuen können, werden wir doch schnell vom Regen eingeholt. Trotz Regen ist die weiche Hügellandschaft fantastisch, vor allem das Grün ist überwältigend – leider braucht es dazu genau diesen „Fiesel-Regen“. Der Busfahrer informiert sehr viel über die Geschichte Schottlands, über Legenden, über die aktuelle Zeit. Schade, dass wir ihn mit seinem knackigen Akzent nicht immer verstehen können. Beim zweiten Halt nutzen wir die Zeit zum Mittagessen; hier bekommen wir endlich mal die typische englische Kost. Im Vergleich dazu ist unser "hand made" Essen natürlich „outstanding“. Trotz Regen machen wir aber auch die Fahrt auf den Loch Ness mit und erfahren dabei doch wichtige Dinge; z.B. dass genau an dieser Stelle die Bruchkante zwischen der amerikanischen und der europäischen Kontinentalmasse ist. Obwohl die Sonne immer wieder mal versucht durchzubrechen, bleibt es doch beim Regen. Erst beim letzten Halt hört es endlich auf. Der kleine Whiskey, den ich mir dort genehmige, schmeckt ausgezeichnet. Zu Hause angekommen essen wir noch unser „Hasenbrot“, und es gibt natürlich noch das Fußballendspiel Frankreich gegen Portugal. Es ist ein wirklich spannendes Spiel, es endet mit dem Sieg Portugals in der Verlängerung. Montag, 11. Juli 16 Heute sind wir noch ein bisschen müde von dem vergangenen Wochenende. Aber irgendwie macht jeder seinen Job: Reinhard in der Schule, Simone zu Hause. Dennoch habe ich genug Zeit, das kleine Edinburgh-Museum zu besichtigen. Hier wird vor allem ausgestellt, dass es in der High Street sehr hochwertiges Handwerk gab – wunderbare Silberwaren wechseln sich mit meistens geschmackvollen Töpferarbeiten ab. Besonders gefallen haben mir zwei Räume für Kinder, in einem Raum kann gebastelt werden, im nächsten Raum können die Kinder sich in mittelalterlicher Kleidung verkleiden. Bezeichnend sind dann auch wieder Räume, in denen das Leben und Wirken eines schottischen Generals aus dem 1. Weltkrieg dargestellt wird. Die Erinnerung an die Rolle Englands im ersten und zweiten Weltkrieg wird auf diese Weise ständig wachgehalten und dient gewissermaßen als Richtschnur für heutiges Handeln. Aber heute ist nicht nur Museum und Geschichte angesagt, sondern es wird auch eingekauft: die schönen Ohrringe, die ich schon auserkoren hatte, und ein hübscher Pullover für kühlere Zeiten. Ich komme auch noch rechtzeitig zum Schulschluss. Reinhard ist dann immer ganz voll mit Unterricht, es dauert eine Weile bis er wieder in unserer gemeinsamen Realität angekommen ist. In dieser Realität gehen wir in das kleine französische Café und essen dort unsere geliebten Rosinenschnecken. Am Abend machen wir noch einen netten kleinen Ausgang in das architektonisch interessante Viertel „Stockbrigde“ entlang des Flüsschen Leigh. Z.T. kann man an diesem Fluss entlang gehen, es erinnert ein bisschen an Brügge. Anschließend schauen wir uns das ehemalig für Arbeiter konzipierte Viertel an: zweistöckige Häuser mit Dachgeschoss und kleinem Gärtchen. Dazu gehört auch ein Schwimmbad, ganz vergleichbar mit dem in der Berliner Krummestr. Aber auch hier hat natürlich die Gentrifizierung zugeschlagen. In einem kleinen, aber feinen Weinlokal beenden wir unseren Ausgang. Der Pinot Noir, den ich trinke, bringt uns gefühlsmäßig zurück nach Bovec in Slowenien – das wunderbare Tartargericht mit besagtem Rotwein war immer unser Weihnachtsessen. Na ja, und Reinhard hat voll zugeschlagen mit einem Cabernet Sauvignon, ein kräftiger Rotwein. Entsprechend gut haben wir geschlafen. Dienstag, 12. Juli 16 Nach dem morgendlichen Einkauf mache ich mich auf den Weg zum National Museum of Modern Art. Die Fahrt führt mich in den Westen der Stadt. Nach ein bisschen Umherirren stelle ich auf Nachfrage fest, dass ich in der richtigen Straße bin. – Kaum Fußgänger, keine Touristen. – Rechter Hand geht es steil hinab zur Dean Village – wieder ein ganz eigenständiges Viertel (hierher müssen wir noch einmal zurückkehren). Nach ca. 10 min. erreiche ich den ersten Teil des Museums, in einem sehr schönen Park gelegen. Da hier nach Auskunft des Pförtners jedoch nicht viel zu sehen ist, gehe ich gleich weiter zum zweiten Museum. Die Ausstellung über den Surrealismus ist sehr übersichtlich, gut dokumentiert und für mich von Interesse, weil mir hier klar wird, wie der philosophische „Aufbruch“ in die Moderne von den Kunstbewegungen begleitet wurde oder umgekehrt, wie die Kunst die philosophische Entwicklung beeinflusst hat. Auch dieses Museum ist von einem wunderbaren Park umgeben. Alles strahlt eine unglaubliche Ruhe aus. Dann muss ich mich aber schnell auf den Rückweg machen, um rechtzeitig an der Schule zu sein. Nach dem Genuss einer kräftigen Tomatensuppe geht es zunächst hinauf zum Schloss, dann weiter zur angesagten Victoria-Street. In der Tat findet man hier interessante Läden, eine gut ausgestattete „crèmerie“ – einen kleinen Käse müssen wir doch kaufen –, elegante Bekleidungsläden für die Dame und den Herren, es ist jedoch alles viel zu klassisch für uns. Unser Weg führt uns nun zur Gereyfriars Kirk und zum dazugehörigen Friedhof, der sich vollkommen in die umliegenden Häuser einfügt. In dieser Kirche wurde der National Convent unterzeichnet, der festlegte, dass sich die schottische Kirche nie dem englischen König unterwerfen würde. Die Kirche ist im Stil der Renaissance gebaut; mit einer wunderbaren Orgel ausgestattet, bietet sie sich für Konzertabende an. Ein bisschen verwundert sind wir schon, dass bei allen ausführlichen Berichten über die Reformation der Name Luthers oder Calvins überhaupt nicht auftaucht. Hier spürt man sehr deutlich, wie sehr sich die britischen Menschen einzig und allein auf das Geschehen auf der Insel konzentrieren. Nach diesem ersten geistigen Höhenflug steigen wir zu weiteren Höhen auf und besuchen die Universität von Edinburgh. Vor dem Hauptgebäude wird zwar viel gebaut, aber ein Besuch des Inneren lohnt sich schon sehr. Hier wird man tatsächlich vom „Geist“ der vergangenen Jahrhunderte umweht, zugleich sind aber auch die „Errungenschaften“ (???) des 21. Jhds. präsent, als da sind: Internet-Anschlüsse, Wifi, Fotokopierbüros, Kaffeemaschinen, mobile phones etc. Nun gilt es noch, Reinhards Bücher zu finden. Mit einem besonderen Besucherausweis ausgestattet, machen wir uns in der Hauptbibliothek auf die Suche. Immerhin, der „Kampf um Weltmacht“ ist vor Ort vorhanden, ein weiterer Artikel in einer anderen Bibliothek. Wir fahren hinauf in die Lesesäle, in die Zeitschriftenabteilung. Leider gibt es weder Zeitungen noch Zeitschriften, dafür aber eine kleine Sesselecke zum Schlafen. Ich finde noch ein Buch von Luc Ferry: „L’homme Dieu“. Nach diesem kleinen Nickerchen finden wir unseren „Hausbus“ 35, der uns fast vor unserer Unterkunft absetzt. Auf einem Abendspaziergang entdecken wir noch, dass sich längsseitig der mittelalterlichen Canongate- und Highstreet ein ganz modernes Viertel mit recht eleganten Wohnhäusern befindet. Mittwoch, 13. Juli 16 Mein erster Gang führt mich zur Post, zum Geldwechseln, mein zweiter zum Ticketcenter für das Jazz- und Edinburgh-Festival. Das Ticketcenter sowie die Organisationszentrale sind in einer ehemaligen Kirche untergebracht. Ich habe viel Glück, denn für ein Konzert am Freitag bekomme ich noch Karten. Nach einem Café und einem gemütlichen Schaufensterbummel erreiche ich wieder rechtzeitig die Schule. Nach unserem leckeren Mittagessen und Ausruhen geht es noch einmal in das kleine Edinburgh-Museum. Anschließend besuchen wir das „Dean Village“, das sich an den Fluss Leigh anschmiegt. Auch hier wohnen natürlich wieder betuchtere Leute, die sich auch eine Mitgliedschaft im vornehmen Swimming Club – ein klassizistischer Bau mit orientalischem Einschlag – leisten können. Am Leigh-Flüsschen entlang führt uns der Weg durch eine beinahe verwunschene Landschaft wieder zum Stockbridge-Viertel. Der Weg nach Hause mit dem Bus ist ein bisschen langwierig, da ein 35iger ausgefallen ist. Donnerstag, 14. Juli 16 Der Vormittag beginnt mit einem Besuch im National Museum of Portrait, das in einem neugotischen Gebäude untergebracht ist – zwar nicht so ganz unser Geschmack, aber doch sehr edel. Leider sind einige Teile des Museums wegen der Vorbereitung einer Portrait-Ausstellung (von Rembrandt bis Ai WeiWei) nicht zugänglich. Aber auch so ist der Besuch sehr lohnenswert. Auf dem Weg in die oberen Galerie-Räume mache ich zunächst Halt in einer wunderbaren Bibliothek, ganz aus Holz, mit einer Balustrade, mit vielen alten Büchern und mit den Totenmasken berühmter Wissenschaftler (na ja die Frauen haben es noch nicht in diese Ausstellung geschafft). Im ersten Stock treffe ich auf eine Photoausstellung zeitgenössischer Photographen, die an einem schottischen Photowettbewerb teilgenommen haben. Es sind außergewöhnliche, z.T. sehr bewegende Photographien, die zudem auch noch in einer Weise gehängt wurden, in der sie miteinander korrespondieren. (Für mich gibt es später noch einmal einen zweiten Durchgang mit Reinhard.) Auf der nächsten Etage finde ich dann Portraits derjenigen Männer und Frauen, die die schottisch-englische Geschichte beeinflusst haben. Hier kann man noch einmal recht eindrucksvoll die Entwicklung Schottlands von einem unabhängigen Königreich hin zu einem letztlich von England beherrschten Gebiet nachvollziehen. Die durch die Reformation ausgelösten Aufstände von Seiten der einfachen Bevölkerung bringen letztlich „den Stein ins Rollen“: nämlich den Verlust der Unabhängigkeit Schottlands. Der Versuch, Schottland wieder dem Katholizismus zuzuführen, misslingt jedoch nach vielen verlustreichen Kämpfen. Die Parallelität zur kontinentaleuropäischen Geschichte ist zwar offensichtlich, der Betrachter aus Großbritannien bekommt jedoch nichts davon mit, es sei denn er ist von vornherein darüber informiert. Nach diesem Gang durch die Geschichte genehmige ich mir einen Gang durch eines der schottischen Luxuskaufhäuser. Wie im Kadewe warten die Verkäuferinnen sehnsüchtig auf Kundschaft und begrüßen alle Kunden sehr persönlich. Na ja, es gibt schon sehr edle Kleidungsstücke, allerdings sind die heruntergesetzten Kleidungsstücke nicht so überwältigend. So muss ich meine kleine „folie“ doch in dem Hemdenladen machen, den ich mir gestern schon angeschaut habe. Zum Mittagessen gehen wir in die Porträtgalerie – sehr lecker und gar nicht so teuer. Anschließend schauen wir uns noch einmal gemeinsam die Photoausstellung an. Nach Mittagsschlaf und Kaffee & Kuchen machen wir uns auf den Weg zum Storyteller-Zentrum. Für die Abendveranstaltung wollen wir auf jeden Fall rechtzeitig unsere Plätze einnehmen. Das gibt uns die Gelegenheit, in aller Ruhe den mit viel Liebe ausgestatteten Raum zu betrachten. Das helle Holz, das hohe Fenster mit Blick auf die Bäume gibt dem Raum eine warme, helle und offene Atmosphäre. Nachdem die Künstlerin ihre Bühne eingerichtet hat, geht sie durch die Reihen und fragt, ob die Anwesenden vielleicht selber eine Geschichte erzählen wollen. Wir sind dazu noch nicht mutig genug, aber die Künstlerin findet dennoch genügend Interessierte. Sie selber spielt Querflöte, Harfe, chinesische Flöte und begleitet sich so beim Erzählen ihrer Geschichten. Zugleich ist auch die Malerin der wunderbaren, japanisch inspirierten Tuschezeichnungen anwesend, von denen sich die Erzählerin ihrerseits inspirieren lässt. An diesem Abend entsteht nun ein ganz bunter Strauß von Geschichten, Liedern und Musik. Die für uns wichtigsten Geschichten waren:
Die abendlichen Fernsehinformationen haben uns dann leider tatsächlich wieder in die grausame Realität zurückgeholt: es wird von einem schrecklichen Attentat in Nizza zum Zeitpunkt des Feuerwerks zum 14. Juli berichtet mit – wie wir am nächsten Morgen erfahren – 84 Opfern. Freitag, 15. Juli 16 Letzter Schultag für Reinhard, letzter Einkaufs- und Besichtigungstag für mich. Das Wetter ist außergewöhnlich warm für Edinburgh. Ich mache mich auf den Weg, um zunächst nach einem Geschenk zu suchen, was sich jedoch nicht so einfach gestaltet. Dann schaue ich mir noch einmal das älteste und eigentlich schönste Kaufhaus an. Leider ist es doch durch die Modernisierungen verunstaltet worden, der eigentliche Charakter ist weitgehend verloren gegangen. Wie in Berlin wartet man in den oberen Etagen – Möbel und Porzellan – auf Kundschaft und stürzt sich erfreut auf jeden Besucher. Die Zeit ist nun doch so schnell vorangeschritten, dass ich nicht mehr zum National Scottish Museum komme, um dort die sicher wunderschöne große Halle zu sehen, die im Edinburgh-Führer angepriesen wird. Den Besuch der Kelten-Ausstellung wollte ich mir sowieso sparen; es wäre nur bei einem längeren Aufenthalt interessant gewesen. Leider ist das angenehme Wetter schon wieder vorbei, es hat inzwischen angefangen, heftig zu „sprühregnen“ – sicher gut für den Teint, aber wenig einladend für weitere Besuche und schon gar nicht für das Riesenradfahren, das wir uns eigentlich vorgenommen hatten. So gehen wir nur zum Mittagessen ins vegetarische Restaurant und dann nach Hause. Jeder muss sich ja von seinen Strapazen erholen. Reinhard ist ganz beglückt, denn er hat ein Diplom bekommen und die Lehrerin hat bestätigt, dass er sich sehr gut eingefügt hätte. Nach Mittagsschlaf und Kaffeetrinken machen wir uns auf den Weg zum Konzert des Jazzfestivals im Spiegelzelt am George Square im Universitätsgelände. Wir hätten noch früher losgehen sollen, denn es haben sich bereits zwei recht lange Schlangen vor dem Eingang zum Spiegelzelt gebildet. Dass es immer wieder mal regnet, regt die Besucher in der Reihe keineswegs auf, sie sind es offenbar gewöhnt. Trotz der Besucherschlangen bekommen wir noch einen recht guten Platz, von dem aus wir einen guten Blick auf die Bühne haben. Wir sind sehr überrascht, dass das Spiegelzelt dem der „Bar jeder Vernunft“ in Berlin zum Verwechseln ähnlich ist, man könnte meinen, sie haben es in Berlin abgebaut. Aber es gibt ja sogar noch ein zweites Spiegelzelt auf dem St.Andrews-Square. Von Beginn an reißt uns die Musikergruppe mit ihrem professionellen Spiel und Gesang mit – es ist vor allem Swing der 20iger und 30iger Jahre. Neben der Sängerin sind besonders der Sologitarrist und der Saxophonist (aus Polen stammend) hervorzuheben. Reinhard schaut sich ganz intensiv die Griffe des Gitarristen an; er wird sie sicher in Berlin nachspielen… Auf jeden Fall ist es ein wundervoller Abschiedsabend. Beschwingt essen wir noch eine Pizza (auch nicht schlecht im Vergleich zu Ali Baba in Berlin) und machen uns dann auf den Heimweg mit dem Bus zu unserer Unterkunft. Es regnet immer noch. Nun war es doch wieder so schön, wir hoffen, dass nicht noch etwas Schlimmes passiert ist … Der Blick ins Fernsehen bestätigt unsere eher unwahrscheinlichen Befürchtungen: Wir erleben den Putsch in der Türkei „live“. So wird auch dieser schöne Abend wieder von schrecklichen Ereignissen überlagert. Sonnabend, 16. Juli 16 So, dies ist nun der letzte halbe Tag in Edinburgh. Zunächst muss nach allen Regeln der Kunst gepackt werden, denn wir haben doch das eine und andere eingekauft. Gegen 10.30 Uhr sind wir damit fertig und können nun noch einmal zur Royal Mile fahren, um letzte Pfunde auszugeben. Dann geht es wieder mit dem 35iger Bus Richtung Flughafen, eine gute Gelegenheit, auf der Fahrt noch andere Bezirke Edinburghs zu besichtigen. In den weniger touristischen Gebieten sieht man auch mehr chinesische Restaurants – ich hatte sie sehr viel mehr über die ganze Stadt verteilt erwartet. Das Einchecken am Flughafen verläuft ganz reibungslos, aber kurz vor dem Abflug soll es doch noch einmal hektisch werden. Aufgrund eines Hörfehlers meinerseits glauben wir, dass sich der Abflugschalter geändert hat. Am Ende unseres langen Weges finden wir nach vielem Nachfragen schließlich heraus, dass es doch keine Änderung gegeben hat. Also geht es den ganzen Weg im Eiltempo zurück – Reinhard genervt. Wir kommen aber doch noch rechtzeitig an. Dann der nächste Schlag: „Please combine your luggage!“, heißt es, also muss der Computer in die neue rote Tasche und meine Handtasche in den Rucksack gestopft werden. Was für ein Unsinn, aber die Angestellte ist nun zufrieden. Etwas abgehetzt finden wir unsere Sitzplätze schon besetzt. Oh je, ist das Flugzeug überbucht, denke ich. Nein, die etwas schusselig dreinschauenden Damen haben die Plätze vertauscht. So, nun kann es endlich losgehen in Richtung Berlin. Von nun an passieren auch weiter keine Zwischenfälle, so dass wir die Stadt „safe and sound“ erreichen. So, das war doch insgesamt eine tolle Reise, von der wir noch lange zehren werden. Nachtrag Neben der Stadtbesichtigung und der Schule haben wir natürlich auch die politischen Ereignisse intensiv verfolgt. Die Auswirkungen des Brexit haben mit dem Rücktritt Camerons und aber auch Johnsons (er fühlte sich nicht für die Führung der Tories geeignet) derartige Turbulenzen ausgelöst, die das bisher eher besonnene England noch nie erlebt hat. Zumindest waren sogar die Journalisten völlig sprachlos. Noch verwirrter erschienen die Journalisten von BBC angesichts der Ernennung von Boris Johnson zum Außenminister. Man rätselt wohl noch immer über die Entscheidung der Premierministerin Theresa May, so viele Brexit-Befürworter in entscheidende Positionen gehoben zu haben, wo sie doch selber für den Verbleib in der EU war. Die weitere Entwicklung wird vielleicht mehr Aufschluss darüber geben. Für mich war es interessant zu beobachten, in welcher Weise die Fürsprecher des Brexit argumentieren. Sie sehen das alles ganz „locker und flockig“ und versuchen den Eindruck zu vermitteln, dass sich der ganze Prozess problemlos bewältigen ließe. Dass es natürlich nicht so ist, bewies die unmittelbar erste Reise von May nach Edinburgh, um mit der dortigen Ministerpräsidentin, die ja für den Verbleib Schottlands in der EU kämpft, zu verhandeln. Die Konflikte aus der Reformationszeit scheinen auf einmal ganz nah. Noch ein anderer Aspekt hat mir zu denken gegeben: Obwohl wir ganz überwiegend auf ausgesprochen freundliche Leute gestoßen sind, mit denen wir auch ganz nett kommunizieren konnten, sind mir die Banker aus der George-Street - junge, „intellektuelle“ Männer - sehr unangenehm aufgefallen. Sie kommen mit einer gespielten Lässigkeit daher, die jedoch unterschwellig eine gewisse Angestrengtheit zum Ausdruck bringt. Jeder möchte sich irgendwie als etwas Besonderes beweisen, es jedoch zugleich nicht so scheinen zu lassen. Das ist m.E. insgesamt nicht gut, denn eine klare Auseinandersetzung bei Problemen wird damit sicherlich verhindert. <img src="http://vg03.met.vgwort.de/na/14583f8fcf314a9d8177b216a9c2b4e1" width="1" height="1" alt="" /> Transformation und Retransformation einer Gesellschaft. Fast vier Wochen lang bereisten die Autoren in diesem Sommer die Ukraine (15.7. - 15.8. 2010). 1. Erste Impressionen und Vergleiche Was haben die Bewohner von Odessa, Jalta oder Kiew mit denen von Berlin gemeinsam? – Was als plumpe Rätselfrage abgetan werden könnte, drängt sich bei einem Besuch zumindest in diesen drei Städten sehr schnell auf: Begegnet man Berlinern auf der Straße, wird man beobachten, dass sie stets mit einem Auge das vor ihnen liegende Terrain nach Hinterlassenschaften von Hunden untersuchen. Bürger von Odessa, Jalta oder Kiew teilen – außerhalb der Flaniermeilen – mit den Berlinern zwar nicht die Suche nach Hundekot, aber ein Auge ist stets darauf konzentriert, sorgfältig auf Unebenheiten oder sogar tiefe Löcher im Bürgersteig zu achten. Insbesondere Frauen auf hochhackigen Schuhen haben darin eine wahre Meisterschaft entwickelt. Als Berliner, der die Vor- und Nachwendezeiten in Deutschland bewusst erlebt hat, fühlt man sich in Städten der Ukraine an die Zeit nach der Vereinigung beider Staaten zurückversetzt, als im Ostteil und dem Umland Berlins neu errichtete und renovierte Gebäude und Ruinen sowie abgewrackte Häuser ein buntes Durcheinander bildeten. Das Erneuerungsprogramm der Ukraine schreitet zügig voran. So ist z.B. das Operngebäude Odessas innen und außen ein Schmuckstück geworden. Wenige Straßenzüge weiter steht man dann jedoch vor Häusern, die noch voll und ganz in der Renovierungsphase sind oder möglicherweise ganz dem Verfall anheim gegeben werden. Es gibt selbstverständlich auch auffällige Unterschiede: Während man als Fußgänger in Odessa auch außerhalb von ampelbewährten Kreuzungen fast gefahrlos die Straße kreuzen kann, weil die Autofahrer gezwungen sind, angesichts der tiefen Furchen von Straßenbahnschienen langsam zu fahren, ist es für Fußgänger in Berlin ratsam, nur dann verkehrswidrig bei einer roten Ampel die Straße zu betreten, wenn man vorher sorgfältig auf heranbrausende Autos geachtet hat. Die Sparsamkeit Berlins in der Beleuchtung der Straßen hat keine Nachahmer in Kiew gefunden. Anders als das abweisend dunkle Berlin erstrahlt die Flanier- und Einkaufsmeile Kiews bis zum späten Abend im berauschenden Lichterglanz. Trifft man im Berliner Hauptbahnhof erst zum Zeitpunkt des Abfahrtssignals auf dem Bahnsteig ein, steht man vor den geschlossenen Türen des im zügigen Tempo anfahrenden Zuges, während die Lokomotiven in der Ukraine sehr gemächlich Fahrt aufnehmen und ein Sprung des spät eintreffenden Fahrgasts in die immer noch offenen Wagontüren seine Mitfahrt noch zulassen. Befragt man in Berlin Passanten nach ihrer Meinung zur Vereinigung Deutschlands, antworten die meisten mit „relativ zufrieden“, obgleich das Urteil der ehemaligen DDR-Bürger deutlich kritischer ausfällt. Fragt man hingegen Bewohner von Kiew, Odessa, Jalta (Krim) und Sewastopol danach, ob sie eine Wiedervereinigung mit Russland wünschen, reagieren Krimbewohner und insbesondere Bürger der Hafenstadt Sewastopol, aber auch viele Odessiten mit deutlicher Zustimmung, während Kiewer vehement ablehnen. Eine Studentin aus Dnepropretrowsk (eine Stadt im Innern der Ukraine) zeigte sich sogar sehr erstaunt über die Abneigung auch junger Einwohner Jaltas, zur Ukraine gezählt zu werden. Selbst wenn Chrustschow vor mehr als fünfzig Jahren die Bevölkerung der russischsprachigen Gebiete nicht um Zustimmung gebeten habe, künftig zur Ukraine zu gehören, sei es für sie unverständlich, dass sich die inzwischen nachgewachsenen Generationen nicht zur Ukraine bekennen. Wie sich zeigt, ist die Ukraine bis in die Gegenwart hinein noch sehr gespalten. 2. Analyse von Transformation und Retransformation Gesellschaftlicher Wandel findet zu jedem Augenblick statt. Selbst Strukturen, die völlig stabil erscheinen, unterliegen der stetigen Veränderung. Darum handelt es sich nicht, wenn die Ukraine als Transformationsgesellschaft bezeichnet wird. Unter Transformation wird die Umformung von einer Plan- in eine mehr oder weniger soziale Marktwirtschaft verstanden. Soll erklärt werden, wie sich dieser Prozess vollzieht, sind jedoch einige Kenntnisse über die Spezifika einer planwirtschaftlich strukturierten Gesellschaft nötig ebenso wie Wissen über die Funktionsweise marktwirtschaftlich orientierter Gesellschaften. Darüber hinaus ist auch noch für beide Modelle das Ideal mit der unzulänglichen Praxis abzugleichen und ebenfalls ist daran zu erinnern, dass die Planwirtschaft über feudalistische Strukturen und dem dazu gehörigen Bewusstsein gestülpt wurde und sie beides radikal zu zerstören suchte. Die Anfertigung einer Gesamtanalyse würde einen Reisebericht mehrfach überfrachten, aber einige Zusammenhänge sollten schon dargelegt werden. 2.1. Planwirtschaft und Widerspiegelungstheorie Galten für die vorrevolutionäre – insbesondere die feudalistische – Gesellschaft die Strukturen der Realität als gottgegeben und unveränderbar, war die Generation, die für die Planwirtschaft einstand, davon überzeugt, die Realität wissenschaftlich vollkommen erfassen und gestalten zu können. Wichtige Grundlagen für diese philosophisch haltlose Auffassung finden sich in der Widerspiegelungstheorie. Auf diesem Hintergrund beanspruchte die Planungsbürokratie für gefällte Entscheidungen unanfechtbare Gültigkeit, obwohl die für die Produktion einer einfachen Schraube verwandte gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit eine unbekannte Größe blieb. Verfallszeiten vergänglicher Strukturen wurden in jenen Planungsentscheidungen auf Punkt und Komma genau festgelegt. Wenn der Verfall dennoch schneller als vorherbestimmt eintrat, galt es, Schuldige zu suchen. Hauchten endliche Strukturen ihre Lebenszeit erst später als vorgesehen aus, nahmen die Einen das überraschende Ergebnis erfreut zur Kenntnis und beließen es dabei, während die Anderen darauf bestanden, den Plan strikt einzuhalten. Dass der Zugriff des Menschen auf die Realität eher mit einem Stochern in einem Heuhaufen zu vergleichen ist, der sein Innenleben nur widerwillig preisgibt, wurde auf Grundlage der herrschenden Widerspiegelungstheorie von der Planungsbürokratie konsequent ignoriert. Diese Verhaltens- und Verfahrensweise hatte gravierende Folgen, die bei langlebigen Gütern bis zum heutigen Tag zu besichtigen sind. Legte man beispielsweise die Verfallszeiten der gesamten Infrastruktur, der öffentlichen Verkehrsmittel, die von Gebäuden und Maschinen zu großzügig aus, wurden die notwendig werdenden Reparaturen zu spät datiert und die Reparaturteile nicht rechtzeitig angefertigt. In der Zwischenzeit verfielen vor allem die Teile mit kürzeren Laufzeiten und verkürzten auch die Lebensdauer derjenigen mit längeren Verfallszeiten. So entstanden z.B. heute noch zu besichtigende große Friedhöfe von ausgeschlachteten Lokomotiven, Straßenbahnen und Bussen, die bei rechtzeitiger Reparatur einsatzfähig geblieben wären. Da den meisten in der Planwirtschaft arbeitenden Menschen der sogenannte untrügliche „gesunde Menschenverstand“ nicht abhanden gekommen war, verzweifelten sicherlich viele angesichts der Planungsfehler, zogen sich aus ihrem vielleicht anfänglichen Engagement zurück und überließen dem Schicksal seinen Lauf. Der zunehmenden Passivität der Enttäuschten begegneten die Macher in der Polit- und Planungsbürokratie wahrscheinlich mit immer ungeduldiger werdendem Aktionismus, der die Schraube der Resignation ein weiteres Mal anzog. Diese Erklärung für den bis in die Gegenwart offensichtlich geltenden Umgang mit insbesondere langlebigen Gütern kann selbstverständlich nur ein erster Erklärungsversuch sein. Einbezogen werden müsste z.B. auch der Abzug an knappen Ressourcen für den überbordenden Militärhaushalt der Sowjetunion, der für dringend nötige Neu- und Erhaltungsinvestitionen im zivilen Sektor nichts übrig ließ. 2.2. Der Wechsel von der Plan- zur Marktwirtschaft Anders als in der Planwirtschaft verlagerte sich die Bestimmung des Werts einer Ware durch die in ihr vermutete gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit radikal auf die Wertschätzung, die ihr am Markt im Wechselverhältnis von Angebot und Nachfrage zugemessen wird. Dies hatte Folgen, die uns angesichts der deutschen Vereinigungsproblematik durchaus bekannt sind: Die ursprüngliche Produktionsstruktur wird durch das Eindringen „westlicher Waren“ buchstäblich aus den Angeln gehoben und beseitigt. In der Hoffnung, dass die Ukraine eines nicht fernen Tages Mitglied der EU wird, haben sich vor einigen Jahren die international agierenden Unternehmen in den Markt der Ukraine hinein gedrängt. Die Vielfalt des Markenangebots in den Kaufhäusern, Boutiquen, Discountläden, Technik- und Automärkten in Kiew ist nahezu überwältigend. Produkte des Landes dagegen sucht man meist vergeblich. Angesichts der Finanzmarktkrise, die auch die ukrainische Volkswirtschaft unbarmherzig trifft und eine Vielzahl von Investitionsruinen hinterlässt – z.B. unfertige Hotelbauten und Appartementgebäude, die unten schon bewohnt werden sollten, während oben noch aufgestockt wurde – fragt man sich allerdings, woher die Kunden kommen sollen, die all die Waren kaufen. Massive Rabattaktionen können vorübergehend helfen, aber bald werden wohl die ersten Läden ihre Türen schließen müssen. Touristen aus dem EU-Raum und den aufstrebenden Industrienationen lassen sich nicht allzu oft in der Ukraine blicken, und reiche Russen kommen nicht so zahlreich, dass sie die geschwundene Kaufkraft der einheimischen Bevölkerung wettmachen können. Die ländliche Bevölkerung der Ukraine bescheidet sich weiterhin mit der Ziege, den Hühnern und Gänsen im Garten hinter dem Haus und dem Schwein und den Kaninchen im Stall. Sie hofft – vielleicht vergeblich – auf eine irgendwie geartete Rückkehr der industriellen Struktur, in der sie in der Vergangenheit Arbeit gefunden hat. Blickt man aus dem Zug- oder Busfenster, starren den Reisenden die leeren Fensterhöhlen verlassenen Fabrikgebäude an und künden von einer wenig rosigen Zukunft. Eine gewisse Ausnahme stellt der öffentliche Personenverkehr dar. Selbst wenn das gesamte Eisenbahnnetz stark veraltet ist, gewinnt man doch den Eindruck, dass der Zug – trotz zunehmender Anzahl an Autos (hier insbesondere von Luxuskarossen) – für alle Bevölkerungsschichten ein wichtiges Transportmittel darstellt. Dies gilt auch für den innerstädtischen Verkehr. Straßenbahnen, Trolleybusse, ein dichtes Netz an „Privatbussen“, die Metro in Kiew ist für alle Menschen erschwinglich und bringt sie auch in die entfernter gelegenen Orte. Die Entscheidungen der sozialistischen Planwirtschaft, in das öffentliche Transportwesen zu investieren, wirkt bis heute fort und ermöglicht der Bevölkerung ein hohes Maß an Mobilität. Unbeantwortet bleibt dennoch für den Reisenden, dessen Eindrücke in der kurzen Zeit die Oberfläche kaum durchdringen können, ob die nunmehr kleinere ukrainische Volkswirtschaft tragfähig genug ist, die einstmals auf die Sowjetunion zugeschnittene Infrastruktur des Landes zu unterhalten. Was ist dem Untergang geweiht und was kann erhalten werden? In dieser Hinsicht war die sofortige Reise des 2010 gewählten Präsidenten Janukowitsch zur EU nach Brüssel schon von großer Bedeutung für Zukunft der Ukraine und ebenfalls der sich gleich danach anschließende Besuch in Moskau. 2.3. Das starke Bedürfnis nach Religion Es sind keineswegs nur alte Leute, die den Gebeten und Predigten der Geistlichen in den frisch renovierten Kirchen zuhören. Das Bedürfnis nach Religion scheint ungebrochen zu sein, obwohl in der untergegangenen Sowjetunion Religion als Opium für das Volk galt. Selbst die enge Bindung zwischen der Zarenherrschaft und der Orthodoxie blieb offenbar im Bewusstsein vieler Menschen lebendig. Wenn heutzutage Kirchenfürsten der drei sich gegenseitig misstrauenden christlichen Kirchen im Fernsehen zu Wort kommen, vermitteln sie den Eindruck von großer Autorität. Entsprechend hofiert werden sie von Politikern, die offenbar Wert darauf legen, zusammen mit ihnen abgelichtet zu werden. Für den Besucher aus dem säkularisierten Teil Europas überrascht, mit welcher religiös fundierter Selbstsicherheit und Überzeugungskraft sogar Mönche den Gläubigen begegnen und mit welcher Ehrerbietung sie umworben werden. Verständlicher wird dieses innige Wechselverhältnis auf dem Hintergrund der Geschichte der Ukraine. In Zeiten der Fremdherrschaft bewahrten die Kirchen das kulturelle Erbe. 2.4. Wertschätzung der Musik Nicht nur im orthodoxen Ritus gebührt dem Gesang ein hoher Stellenwert. Das hohe Qualitätsniveau von Orchestern zeigt sich z.B. auch bei Promenadenkonzerten im Stadtpark von Odessa, bei Jazzkonzerten gleich nebenan, ganz zu schweigen von Musikdarbietungen in der Oper. Sogar auf der Uferpromenade von Jalta kann man Ungewöhnliches hören. Musik scheint die Ukraine mit Europa auf ganz besondere Weise zu verbinden. 2.5. Ukrainische Männer und Frauen Wer als Mann die vielen unglaublich schönen jungen Frauen auf sich wirken lässt und fasziniert hinschaut, wie sie auf hochhackigen Schuhen und in aufreizender Kleidung auf den Flaniermeilen Odessas oder Kiews ihre Schönheit zelebrieren, fragt sich, was aus ihnen wird, wenn sie erst einmal mit einem der vielen einfach bis achtlos gekleideten Männer verheiratet sind, die selbst bei großer Hitze schon am frühen Morgen nicht auf ein Bier verzichten wollen. Natürlich ist dies eine grobe Verallgemeinerung: Es gibt selbstverständlich auch Männer, die dieser Beschreibung keinesfalls entsprechen. Betrachtet man Frauen, die nicht mehr ganz jung sind, fallen die von der vielen Arbeit gekennzeichneten Gesichter sowie die weitaus weniger attraktive körperliche Erscheinung auf. Hier drängt sich die Frage auf, wie es wohl um die ehelichen Beziehungen bestellt ist. Ohne die Dinge präziser untersucht zu haben, scheint es in den Ehen nicht immer besonders kommunikativ und herzlich zuzugehen. Die vielen Feierabendsendungen im Fernsehen, in denen Tragödien zwischen Mann und Frau aufgegriffen werden, spiegeln offenbar die vorherrschende Art der Beziehungen. Eine junge Frau, die um eine Erklärung gebeten wurde, warum Frauen durchschnittlich eine höhere Lebenserwartung als Männer haben, antwortete mit der sarkastischen Bemerkung, weil Frauen eben mehr arbeiten als Männer. 2.6. Ein Besuch im Liwadia-Palast, dem Ort der Dreierkonferenz von Jalta im Februar 1945 Auf der Jaltakonferenz versprachen sich die drei Siegermächte des Zweiten Weltkrieges gegenseitig, niemals mehr zuzulassen, dass von Deutschland ein Krieg ausgeht. Wer als Kleinkind noch die herrische Stimme Hitlers im Volksempfänger gehört hat, bei Bombenalarm – von der Mutter aus dem Schlaf gerissen – eilig in den Luftschutzbunker gebracht wurde und wer das Geräusch von einschlagenden Luftminen niemals mehr aus dem Gedächtnis verliert, weiß, was Krieg bedeutet. Er kann auch nachvollziehen, wie viel Leid der grundlose deutsche Angriff auf die Sowjetunion der dortigen Bevölkerung zugefügt hat. Betrachtet man die im Liwadia-Palast ausgestellten Fotos der drei Staatsmänner, hebt sich das machtbewusste Gesicht Stalins vom durch Krankheit gezeichneten Antlitz Roosevelts und dem des nachdenklich gewordenen Churchills erheblich ab. Ende Januar 1945 standen die Spitzen der sowjetischen Armee an der Oder und bereiteten sich nur achtzig Kilometer von Berlin entfernt auf die Eroberung der deutschen Hauptstadt vor, während die amerikanischen und britischen Truppen in den belgischen Ardennen von deutschen Truppen wochenlang am Vormarsch auf das Ruhrgebiet gehindert wurden. Für die beiden Staatsmänner aus den USA und Großbritannien muss die Atmosphäre im Liwadia-Palast sehr bedrückend gewesen sein. Obwohl der „verlorene“ Kalte Krieg und das Ende der Sowjetunion am Selbstbewusstsein auch der ukrainischen Bevölkerung nagt, ist der Bezug zum großen „Vaterländischen Krieg“ ungebrochen zu verspüren. Wie in der ehemaligen Sowjetunion begeben sich z.B. auch in der heutigen Ukraine Scharen von Brautpaaren zu den Gedenkstätten an jenen Krieg. Dieses Gedenken ist auch ein Teil des kollektiven Gedächtnisses der Ukraine. Angesichts dieses Phänomens kommt beim Reisenden schon die Frage hoch, wie die Welt für die Bevölkerung der ehemaligen Sowjetunion aussähe, wenn Hitler und die ihm willfährig dienenden Generäle die Sowjetunion nicht mit Krieg überzogen hätten. Als Deutscher jüngeren Geburtsdatums zeichnet man zwar für die verursachten Leiden nicht verantwortlich, aber Scham kommt schon auf. 3. Schlussbetrachtung Eine Reise in die Ukraine wirft viele Fragen über das Zusammenwirken von Elementen der vorsozialistischen Epoche, der Zeit der Planwirtschaft und der heutigen Einflüsse vor allem aus dem westeuropäischen Bereich auf. Sie ist zugleich aber auch eine Reise zurück in die leidvolle europäische Geschichte. Man kann nur hoffen, dass jetzige und künftige Machteliten nicht der gleichen Ignoranz und Arroganz wie ihre Vorgänger erliegen. Bildnachweis: Topographische Karte der Ukraine (LINK) 9.2010 <img src="http://vg03.met.vgwort.de/na/97bef906c5df4f3ca64c88b08021a622" width="1" height="1" alt="" /> Simone Lück-Hildebrandt 1. Muscat (16. / 17.11. und 2. – 4.12.2015) Für einen Europäer unerwartet, besteht Muscat nicht aus einem einheitlichen Stadtgebiet mit einem bzw. mehreren Zentren, sondern aus einer Vielzahl von Ortschaften, die – durch kleine Gebirgsketten getrennt – nur durch die zentrale Autobahn und ihre mehrgliedrigen Zubringer miteinander verbunden sind. Diese sogenannte „capital area“ dehnt sich auch noch immer weiter aus, zieht weitere Autobahnzubringer nach sich und macht das ganze Gebiet für den Nichteinheimischen sehr unübersichtlich. Abgesehen von den Autobahnzubringern scheint es keine anderen Straßenverbindungen zwischen den einzelnen Ortschaften zu geben. Das Autofahren wird so für den Zugereisten zu einem recht aufregenden Unternehmen, an dessen Ende man sich wundert, dann doch irgendwo angekommen zu sein. Das Tempo auf diesen Autobahnen ist recht hoch – zwischen 100 und 120 km/std. Bis auf die Gebäude der Altstadt von Muscat und Matrah sind viele Bauten erst in den letzten Jahren entstanden: Banken, große Unternehmen, Hotels, teilweise riesige Einkaufszentren. Jedes Gebäude steht für sich, hat seinen eigenen Bürgersteig (häufig aus Marmor), aber keinerlei Verbindung zum Nachbargebäude, die Zwischenräume sind häufig ungepflastert und staubig. Der Fußgänger muss sich seinen Weg bahnen, sich häufig zwischen den Autos, die meistens auf den Bürgersteigen parken, hindurch schlängeln. Nicht nur Muscat, sondern auch die anderen etwas größeren Städte sind auf das Auto zugeschnitten, man geht nicht zu Fuß. Die Altstadt von Muscat ist mit seinen Regierungsgebäuden und dem Arbeitspalast des Sultans eindrucksvoll und repräsentativ. Als Fußgänger findet man hier auch erfrischende Grünanlagen und Bürgersteige. Dennoch wirkt die Stadt gegen 11 Uhr vormittags ein bisschen ausgestorben – wir wissen nicht, ob es an der Hitze oder an dem bevorstehenden Feiertag liegt (45jähriger Nationalfeiertag). Der Besuch im Kultur- und Naturkundemuseum gibt uns einen Einblick in die vorherrschende Frauen- und Männerbekleidung in den unterschiedlichen Regionen. Im Gegensatz zu den fast durchgehend weißgekleideten Männern und den Kopftuch tragenden schwarzgekleideten Frauen auf der Straße des omanischen Alltags (Beduinenfrauen sind ganz verschleiert) fallen hier die unterschiedlichen Farben der traditionellen Kleidung auf. Weitere Ausstellungsstücke: insbesondere Waffen (Krummdolche, Schwerter), Schmuck, Gefäße. In Matrah (von uns am Ende unseres Aufenthalts erst besucht) findet man dagegen das orientalische Leben. Hier konzentriert sich alles auf den Souq, der sehr ausgedehnt ist. Insgesamt ist dieser Stadtteil sehr schön am Hafen gelegen, mit einer Uferpromenade und mit Straßencafés entlang des Souq. Insgesamt ist dieser Stadtteil sehr belebt. Hier trifft man insbesondere am Morgen außergewöhnlich viele Frauen im Gegensatz zu dem normalerweise von Männern beherrschten Straßenbild – viele hübsche und intelligent aussehende Frauen, die ihr Kopftuch elegant nach hinten verschoben haben und ihre Haare zeigen. 2. Erste Etappe Richtung Süden – die Küstenstadt Sur (18.11.) Die Reise beginnt mit dem Problem, die richtige Autobahnabfahrt Richtung Sur zu finden. Die Karte, die zwar Möglichkeiten aufweist, auch auf anderen Wegen zur richtigen Strecke nach Sur zu gelangen, stimmt offensichtlich mit der Realität nicht überein. Sehr schnell findet man sich auf einsamen Straßen wieder, die keinerlei Hinweisschilder aufweisen. Soll man nun geradeaus fahren, nach rechts oder links? Zum Glück finden wir einen fürsorglichen Taxifahrer, der uns den Weg zurück auf die recht kurvenreiche Strecke weist. So finden wir dann doch noch den Weg Richtung Sur. Eine Zwischenetappe auf diesem Weg ist der Besuch des Wadi Sham. Nach der Unterquerung der Autobahn gelangt man an einen kleinen Stausee. Kleine Boote setzen die Touristen zum anderen Ufer über, an dem der Weg in das Wadi beginnt. Zunächst ist alles problemlos, man läuft durch das Wadi-Bett. Dann jedoch wird es felsiger; der vielleicht einmal gut ausgebaute Weg ist durch einen Zyklon arg in Mitleidenschaft gezogen worden, so dass man über große Felsbrocken hinauf- und hinuntersteigen muss. Reinhard in Sandalen hat als „Felsenhüpfer“ zwar keine Schwierigkeiten, aber Simone mit den falschen Schuhen ist schon benachteiligt, wenn es über Felsen und kleine Bäche geht. Die Landschaft mit den steil ansteigenden Wänden ist aber schon sehr beeindruckend. In diesem Wadi gibt es die unterschiedlichsten Pflanzen und Bäume. Nicht ganz am oberen Ende angelangt, lassen wir die Beine im warmen Wasser eines Pools baumeln und ruhen uns aus. Auf dem Rückweg kommen wir dann in die richtige Mittagshitze und sind froh am Ausgangspunkt unseres Ausfluges ein leckeres Mango-Eis genießen zu können. Die Weiterfahrt nach Sur bereitet keine Probleme, das Hotel finden wir nach zwei oder drei Anläufen. Sur ist eine kleine, lebendige Stadt. Der Souq bildet das Zentrum, wo wir auch ein nettes Restaurant mit leckeren Speisen finden. Für einen Spaziergang reicht die Zeit leider nicht, denn es wird schon dunkel. Aus Erfahrung wissen wir jetzt, dass sich die Rückkehr zum Hotel schwierig gestalten kann. Vorbei an prächtigen Moscheen, sehr schön angestrahlt, vorbei an der großen Lagune mit beleuchteter Uferpromenade, finden wir unseren Weg irgendwie zum Hotel zurück. 3. Die Fahrt in das Wüstencamp der Wüste Wahabi (19.11.) Die Fahrt führt von der Küste weg durch das Randgebirge in das Innere des Omans. Noch bevor wir zu unserem Wüstenaufenthalt fahren, besuchen wir das Wadi Ben Kalid, das hoch in den Bergen gelegen ist. Entlang eines Palmenhains und einer Bewässerungsanlage führt unser Weg zu verschiedenen Pools. Am obersten Pool, sehr hübsch angelegt, liegt ein kleines Restaurant. Hier können Touristen auch ein Bad in dem Pool nehmen. Es herrscht eine heitere, entspannte Atmosphäre zwischen Touristen und Omanis (weitgehend nur Männer), die diesen Ort besuchen. Wir halten es eine ganze Weile unter dem schattigen Terrassendach aus, und machen unsere Beobachtungen; z.B. dass es offensichtlich bei den omanischen Besuchergruppen eine Hierarchie gibt, die festlegt, dass die jüngeren Männer die älteren zu bedienen haben. Gerne wären wir durch das Dorf, das inmitten vom Palmenhain versteckt liegt, zu unserem Auto zurückgegangen, aber der Weg ist uns versperrt. Möglicherweise möchte man das dörfliche Leben vor den Touristen schützen. Unser Besuch im Wüstencamp beginnt mit einer Prozedur, bei der aus den Reifen der Fahrzeuge etwas Luft abgelassen wird, damit man im Sand voran kommt. Rachid, Mitbesitzer des Wüstencamps, weist uns in diese wichtige Maßnahme ein. Als eines von fünf Fahrzeugen folgen wir unmittelbar Rachids Wagen, um ein erstes Gefühl für das Fahren in der Wüste zu bekommen. Es ist fast mit dem Fahren auf Schnee zu vergleichen, wobei immer eine schlingernde Bewegung zu verspüren ist. Wir besuchen zunächst das „Kamel-Camp“. Das sind Kamele, die am nächsten Tag Touristen zu einem Ausritt zur Verfügung stehen werden. Sie haben ein sehr dichtes und zugleich weiches Fell. Nicht alle Kamele wenden sich „freundlich dem Publikum“ zu. Man merkt, dass sie ihren eigenen Kopf haben, was wir auch auf der weiteren Fahrt immer wieder beobachten können; z.B. überqueren sie die Straße im gemächlichen Schritttempo, ohne sich vom Verkehr beeinträchtigen oder gar einschüchtern zu lassen. Gegen vier Uhr erreichen wir das Wüstencamp, in dem ca. 20 mit Palmenwedel bedeckte Hütten kreisförmig angeordnet sind. Die kleinen Hütten sind liebevoll mit zwei Betten, einer Truhe, einem Teppich ausgestattet, die Wände mit Teppichen ausgekleidet. Vor der Hütte stehen ein kleiner Tisch und zwei Stühle. Umgeben ist das Camp von hohen Sicheldünen, ein tolles Panorama! Um den Sonnenuntergang zu bewundern, fahren wir noch ein Stück weiter in die Wüste und nun überqueren wir auch zum ersten Mal Sicheldünen. Eine erste „Dünenüberwindung“ gelingt, bei der zweiten bleiben wir stecken. Unsere Fähigkeiten, auf Schnee zu fahren, helfen uns hier nicht weiter. Nicht vorsichtiges Gasgeben und langsames Anfahren ist geboten, sondern - im Gegenteil - kraftvolles Anfahren mit viel Schwung. Wir müssen uns helfen lassen, nur so schaffen wir es auf die nächste Sicheldüne. Der weitere Aufstieg geht zu Fuß. Auf der Anhöhe angekommen, bewundern wir den Sonnenuntergang, der sich in einer unglaublichen Stille vollzieht. Die Wüste duftet, irgendwie „nussartig“, der Sand ist fein und so weich wie Seide, wenn er durch die Finger rinnt. Mit Datteln und Café wird der Ausflug beendet. Die Fahrt zurück ins Camp gelingt trotz kleiner Aufregungen ohne Probleme. Das Essen im Camp ist reichhaltig und lecker. In der Nacht bleibt die befürchtete Kälte aus, im Gegenteil es ist angenehm kühl, aber so, dass man beim Toilettengang ohne zu frieren für eine Weile den Sternenhimmel bewundern kann. Immer wieder kommen mir Sequenzen aus den Romanen und Erzählungen von Albert Camus oder aus dem „Kleinen Prinzen“ von Saint-Exupéry in den Kopf. Beide Autoren haben die Situation in der Wüste wunderbar erfasst. Die Kühle am Morgen weicht ziemlich schnell der Hitze des Tages; der Sand flimmert bereits, als wir die Rückfahrt aus der Wüste antreten. 4. Reise nach Al Ashkara (20.11.) Die Fahrt an diesen kleinen Ort an der Küste dauert nicht lang und birgt auch keine Probleme. Wir landen in einem kleinen Strandhotel – kleine Pavillons mit direktem Blick auf den Strand und die Weite des Meeres. Da das Frühstück im Wüstencamp ein bisschen magerer ausgefallen war, genehmigen wir uns eine „Zwischenmahlzeit“ auf der Terrasse, wo uns Wind und Sonne umspielen. Das Baden im Meer ist sehr angenehm – warm, leichte Drift, nicht so salzig. Wir beobachten die omanischen Familien (die teilweise in kleinen Strohhütten am Strand ihren Urlaub oder die freien Tage verbringen). Die Kinder und auch einige Mädchen (vielleicht 12 bis 14 Jahre) tummeln sich im Wasser – allerdings vollständig bekleidet. Die Väter gehen nicht mit ins Wasser und beobachten besorgt das Treiben der Kinder. Sie rufen sie sofort zurück, wenn sie meinen, dass es für die Kinder zu gefährlich wird. Für uns ist erstaunlich, dass die Väter nicht ebenfalls schwimmen gehen. Die Abendstimmung könnten wir zwar von unserem kleinen Balkon aus genießen, aber wir werden vom Lärm vierrädriger Motorräder sehr gestört, die unermüdlich ihre Kurven auf dem Strand drehen. Bei einem weiteren kleinen Gang durch das Gelände traut sich eine kleine Gruppe von hübsch gekleideten Frauen, mich anzusprechen. Zwei Frauen sprechen recht gut englisch. Sie sind neugierig und wollen wissen, woher ich komme und wie wir ihr Land finden. Eine erzählt, dass sie schon einmal in Deutschland war, allerdings nur auf dem Flughafen. Eine andere ist überzeugt davon, dass sie einmal nach Deutschland kommen wird. Interessant ist, dass sie – nachdem sie sich mir mutig genährt haben – sehr zutraulich sind. Natürlich bin ich auch ein bisschen vorsichtig, um sie nicht in Verlegenheit zu bringen. Auf unseren kleinen Balkon zurückgekehrt, tauchen plötzlich zwei Männer auf, die das Gespräch mit mir und Reinhard suchen. Sind sie vielleicht von ihren Frauen geschickt worden oder haben gesehen, dass ich mit den Frauen gesprochen habe? In dem Gespräch dreht es sich um die unterschiedliche Lebensweise in Europa und im Oman. Die Omanis verstehen nicht, dass wir unseren Lebensrhythmus auf die Arbeit ausrichten. Für sie ist es wichtig, Zeit für sich selber zu haben, Zeit miteinander zu verbringen, alles andere erscheint ihnen ungesund. Ein Mann, der sich als „officer“ ausgibt, erklärt uns, dass er nicht das ganze Jahr arbeitet, sondern sich immer mal für einen Monat frei nimmt. Es fällt uns schwer, auf ihre Frage, warum wir eine für die Omanis ungesunde Lebensweise pflegen, eine einfache Antwort zu finden. Aber auch auf unsere Frage, warum die Männer – mit wenigen Ausnahmen – ganz in Weiß und die Frauen ganz in Schwarz gekleidet sind, können sie uns nicht wirklich beantworten. Ihren scheinbar lustigen Spruch – “When the man is black, he will be back” – können wir nicht entschlüsseln. 5. Die nächste Etappe – Duqm (21.11.) Wir fahren immer am Rande der Sichelwüste Wahiba entlang, an hohen Sanddünen vorbei; teilweise ist die Straße auch vom Sand zugeweht. Man muss sehr achtsam sein, denn das Auge sucht in dieser unendlichen Weite und dem gleißenden Licht nach Fixpunkten, dabei droht man, die Sandverwehungen auf der Straße und die Kamele „zu übersehen“. Erst nach und nach gewöhnt man sich an diese Besonderheit. Duqm ist ein kleiner Ort, der sich irgendwie in der Fläche ausbreitet. Wir haben „das Zentrum“ nicht besucht, sondern sind weiter in Richtung Süden zu unserem nächsten Hotel gefahren. Das Crowne Plaza liegt in einem Gebiet, das in der nächsten Zeit zu einem großen Industrie- und Hafenzentrum mit Flughafen ausgebaut werden soll. Zumindest die superbreiten Straßen und die verschiedenen Zugänge zu den noch zu bauenden Industriezentren sowie einige Wohnsiedlungen sind schon vorhanden. Das Hotel – sehr edel und vornehm, aber zugleich sehr einsam gelegen – deutet an, auf welche zahlungskräftigen Kunden und Touristen man hofft. Bisher gibt es noch nicht viele Touristen, die ausgesuchte Höflichkeit des Personals zeigt es uns an. Auf der Fahrt zum neu angelegten Hafen wird die Zielrichtung des Projekts noch deutlicher. Riesige Bauten – sie sehen aus wie zukünftige Technologieparks – säumen die Straßen. Man kann daraus schließen, dass man unmittelbar in die Industrie 4.0 einsteigen will. Unweit des Hotels fällt uns eine „Siedlung“ von Strabag auf, d.h. die großen Straßenbauunternehmen Europas haben sich hier schon etabliert. Wir leisten uns ein Bad im Swimming-Pool, sehr schön zwischen Hotel und Meer angelegt, und ein nettes Abendessen – natürlich zu teuer, aber lecker. 6. Das „verschlafene“ Ash-Shuwymijah (22.11.) Die Fahrt dorthin verläuft entlang der Küste zunächst ohne Probleme bis zum Polizeiposten, der uns in die falsche Richtung – in das Landesinnere – weist. So geschieht das leider bei fehlenden Hinweisschildern. Umweg: insgesamt 90 km. So wie beschrieben, befindet sich in Ash-Shuwymijah unsere Unterkunft hinter einer Tankstelle. Entsprechend der Ankündigung des Reiseunternehmens, dass der Verwalter der Appartements nicht weiß, auf wessen Namen das Appartement vermietet ist, stellen wir uns auf Verhandlungen ein. Allerdings haben wir nicht erwartet, dass man unser Voucher gar nicht anerkennt und stattdessen Bargeld verlangt. Der „Besitzer“ der Appartements erklärt uns, dass er schon seit Monaten nicht mehr mit dem Reiseveranstalter zusammenarbeitet und dass er irgendwie nach einer Lösung suchen wird, um uns zu helfen. Zum Glück erreichen wir unseren deutschen Reiseveranstalter per Telefon und können die Verfahrensweise klären (wir bezahlen bar und erhalten das Geld später zurück). Der Weg zu unserem „Ausflugsziel“ Wadi Schuwymijah ist wieder einmal recht schwierig zu finden. Eine Ausschilderung gibt es nicht, vielfaches Fragen verwirrt uns nur. Erst als wir dem Hinweis eines älteren Herrn folgen, erkennen wir, dass der Zugang zum Weg an einem Brunnen vorbeiführt; es ist eine Sand- und Steinpiste. Unser Auge ist auf solche „Wegmarken“ noch nicht eingestellt. Zwar ist die Piste zunächst gut befahrbar, wird dann aber zunehmend komplizierter. Um nicht in die Dämmerung und Dunkelheit zu kommen, brechen wir unser Vorhaben an einem kleinen Palmenhain ab. Auch die Suche nach einem Restaurant ist etwas schwierig. Aber schließlich finden wir ein kleines Dorfrestaurant, in dem uns ganz frischer Fisch, Reis und Dal angeboten wird. Die Mahlzeit ist mit viel Liebe zubereitet. Die Nacht im Hotel ist zu heiß, ein Frühstück fällt aus. Na ja, es muss ja auch Abwechslung zu den Luxushotels geben. 7. Die nächste Etappe – Salalah (23. – 26.11.) Diesmal macht es keine Schwierigkeiten, den Weg zu finden. Er führt durch eine wunderbare Landschaft – die Dhofar Mountain Chain. Es sind zerklüftete, wilde Felsformationen. Die Fahrt auf der gut ausgebauten Straße wird immer wieder durch große Kamelherden verlangsamt, die wahrscheinlich zu anderen Weideplätzen geführt werden. Auch in der Herde verlieren die Tiere nicht ihren Stolz. Kurz vor Mirbat halten wir an einer „Straßenschlächterei“ an, die zugleich ein Straßenrestaurant ist. Wir verhandeln mit einem Omani, der – wie sich später herausstellt – auch Kunde in der Straßenschlächterei ist. Über ihn bestellen wir eine Portion Kamelfleisch. Nach seiner Aussage dauert die Zubereitung 30 Minuten. In dieser Zeit haben wir Gelegenheit, die ganze Szenerie in Ruhe zu betrachten. Die großen Fleischstücke des gerade geschlachteten Tieres werden in Portionen aufgeteilt und in große Plastiktüten verpackt. Die Kunden kaufen nicht sofort, sondern sitzen erst zusammen, trinken Tee und unterhalten sich. Erst danach schaut man sich die Fleischportionen genau an, verhandelt mit dem Schlächter und erst nach einigem Hin- und Her wird gekauft. Danach gibt es noch eine kleine Plauderei – der Wagen wird schon angeworfen – und erst dann ganz allmählich verabschieden sich die Kunden und fahren davon. Obwohl man uns die lange Wartezeit mit einem Tee überbrückt hat, werden wir schließlich doch ein bisschen ungeduldig. Große Töpfe werden herbeigeschleppt und auf das Feuer gestellt, größere Fleischstücke werden direkt auf dem Feuer gebraten. Fast alle Einkäufer sind in der Zwischenzeit verschwunden, es scheint, dass auch alles – bis auf das Fleisch in den Töpfen – verkauft worden ist, denn die Ladentheke wird sauber gemacht. Schließlich wird ein Tisch für uns hergerichtet und wir bekommen endlich unser „Frühstück“. Das ist wirklich ein Genuss, ganz frisch hergerichtetes, in Knoblauch, Zwiebeln und Tomaten gedünstetes Kamelfleisch. In Mirbat machen wir Zwischenhalt, um uns die Stadt aus Lehmbauten anzuschauen. Schade, dass sie dem Verfall preisgegeben ist, die Lehmbauten werden nicht erhalten; zumindest die aus Holz geschnitzten Türen – so wie wir sie auch in Sansibar gesehen haben – können noch bewundert werden. Das Hotel Rotana – in Taqah, ca. 10 km vor Salalah gelegen – ist ein riesiger Hotelkomplex. Bei einem ersten Rundgang wird klar, dass dies eine Hochburg für Pauschaltouristen ist, insbesondere für Deutsche (60 % der Touristen). Der Strand ist sehr schön hergerichtet, das Baden im Meer ist bei mittlerem Wellengang sehr angenehm, man muss nicht auf Felsen oder Steine achten. Aber man verlässt „rechtzeitig“ den Strand, um ja pünktlich zum Abendessen zu erscheinen. Obwohl die Speisen sehr lecker sind, ist es doch eine Massenabfertigung – wie wir es auf unserer Reise bisher kaum erlebt haben. Der Besuch der großen Moschee in Salalah (für Touristen zugänglich) ist erst nach vielen Umwegen, Hin- und Herfahrten möglich. Wieder einmal entspricht das Kartenbild in keiner Weise den tatsächlichen Straßenverläufen und Wendemanöver auf der Autobahn sind erst nach einigen Kilometern möglich. Immerhin wird unsere Geduld belohnt. Die Moschee besteht aus einem wunderbar großen Raum, teppichbelegt, mit einer Kuppel in der Mitte. Trotz der vielen Touristen strahlt er eine große Ruhe und Gelassenheit aus. Die Materialien sind kostbar. Überladen wirkt die Architektur nicht. Zum Glück ist der anschließende Geldwechsel in der der Moschee gegenüberliegenden Geschäftsstraße weniger problematisch, so dass wir noch Khor Ruri – die versunkene Stadt - und den dazugehörenden Weihrauchhafen besuchen können. Eine Umrundung der Ausgrabungsstätte in der Mittagshitze zeigt uns, wie anstrengend es für die Arbeiter und Archäologen sein muss, diese Stätte wieder so herzurichten, dass man sich das frühere Leben und Treiben vorstellen kann. Der Besuch im dazugehörigen Museum gibt uns mehr Aufschluss über den Weihrauchhandel und die mit Khor Ruri verbundenen Häfen im Indischen Ozean. Interessant ist auch die Fahrt in das nahe gelegene Küstengebirge, bei der wir auf einer Hochebene landen, auf der vor allem Rinderzucht betrieben wird. Die Häuser und Höfe zeigen an, dass es den Menschen hier recht gut gehen muss. Erstaunlich ist für uns auch der Temperaturunterschied, denn auf der Hochebene weht ein kühles Lüftchen und die Sonne erscheint plötzlich gar nicht mehr so heiß. Auf der Rückkehr machen wir in einem gut bestückten Supermarkt Halt, um unsere kleinen Einkäufe zu tätigen. Vor uns an der Kasse steht ein Araber, der fast den ganzen Laden aufgekauft hat. Er spürt offensichtlich unsere beginnende Ungeduld. Er lässt uns zwar nicht vor ihm an der Kasse bezahlen, aber begleicht auch unseren Einkauf. Wir können gar nichts dagegen tun. Wie sich herausstellt, kommt er aus dem reichen Abu Dhabi. Wir können uns sein Verhalten nur schwer erklären – ist es pure Gastfreundschaft gegenüber Europäern, ist es der Wunsch zu zeigen, wie reich er ist ...? Wir finden es nicht heraus. Am letzten Tag in Salalah besuchen wir das archäologische Museum. Hier erfahren wir viel über die mehrere Jahrtausende alte Tradition Omans als See- und Handelsmacht; Jahrtausende, bevor in unseren Breitengraden Städte gegründet und Handel betrieben wurde. Die Handelsrouten führten nach Afrika, Indien und China; die ostafrikanische Küste - einschließlich der Insel Sansibar - gehörte einmal zum Oman. Tragende Säule dieses Handels war der Weihrauch. Im Norden von Salalah beginnt auch bis heute das Gebiet der Weihrauchbäume. Unser Versuch, den heutigen Hafen von Salalah zu besichtigen, scheitert; Zugang wird Unbefugten nicht gewährt. Zumindest sehen wir auch hier viel Bautätigkeit; wahrscheinlich wird der Hafen weiter ausgebaut. Zurückgekehrt zum Hotel erfrischen wir uns am Nachmittag mit einem Bad in den Wellen. 8. Die lange Fahrt nach Norden – Nizwa (26./27.11.) 900 km sind von Salalah nach Nizwa zu bezwingen. Ganz pünktlich um 6 Uhr verlassen wir das Hotel ohne Frühstück und finden ohne Probleme den Weg zur richtigen Straße, den wir allerdings vorher ausgekundschaftet haben. Zunächst geht es durch das Dhofar-Gebirge, das Weihrauchland. Unerwartet für uns ist die starke Taubildung, die auch eine ganze Weile die aufgehende Sonne vernebelt. In weiter Ferne sind Plantagen zu erkennen, wahrscheinlich Weihrauchbäume. Ab Thumrayt geht es dann immer fast schnurgerade durch eine gänzlich flache Wüste – mal Stein- mal Sandwüste, die ar-Rub al Khali, die sich bis nach Saudi-Arabien ausdehnt. Nur ab und an unterbrechen kleine Hügel oder Sanddünen die Eintönigkeit, noch nicht einmal Kamele säumen die Straße. Sehr schnell gerät man in die Situation, eine Fata-Morgana zu sehen: das Straßenschild oder der Hinweis auf die Tankstelle erweist sich z.B. als ein LKW, der in einiger Entfernung vor uns herfährt. Die Befürchtung, dass uns das Benzin ausgeht, bestätigt sich zum Glück nicht; es sind noch 13 Liter im Tank, als wir die Tankstelle endlich erreichen. Aber unser Plan, so früh wie möglich aufzubrechen, um Nizwa noch am Nachmittag zu erreichen, ist aufgegangen. Gegen 16 Uhr erreichen wir das Hotel Al Diyar, an zwei verkehrsreichen Hauptstraßen gelegen, aber immerhin mit Swimmingpool. Am nächsten Vormittag besuchen wir den Tiermarkt in Nizwa. Das Wagen- und Tiergetümmel vor dem Eingang des Souqs ist so bedenklich, dass wir hier die Parkplatzsuche schnell aufgeben und auf der anderen Seite der Straße parken. Insgesamt ist die Altstadt mit den Ladengassen und dem Fort aus Lehm sehr schön angelegt. Auf dem Tiermarkt werden die Ziegen, die Rinder und die Kamele im Kreise herumgeführt, so dass die möglichen Käufer Gelegenheit haben, die Tiere in Bewegung zu betrachten. Nach unserem Besuch auf dem Fort schlendern wir durch die Ladengassen, halten nach unbekannten Gemüsesorten Ausschau (finden auch Okra), kaufen Dattelsirup und eine hübsche blaue Schale. Ein bisschen außerhalb der Ladengassen laufen wir an Lehmhäusern vorbei, die auch noch z.T. bewohnt sind. Besonders prächtig sind die Gärten mit den Dattelpalmen. Am Nachmittag besichtigen wir Al-Faiqain und Manah, zwei Lehmbausiedlungen, die aber leider verlassen und weitgehend dem Verfall preisgegeben sind. Lediglich ein Lehmturm ist restauriert, aber nicht zu besichtigen. Das Abendessen im Hotel trifft genau unseren Geschmack und ist zudem auch noch recht günstig. 9. Die erste Etappe im Jebal-al-Akhdar (28./29.11.) Auf dieser Fahrt gelangen wir nun richtig ins Gebirge; nach einer steilen Auffahrt erreichen wir das Hotel Sahab, aus Naturstein gebaute Einzelpavillons mit einem fantastischen Blick auf die Berge und die tiefer gelegenen Täler. Dieses Panorama wird jedoch noch übertroffen von dem höher gelegenen Alila-Hotel; das Hauptgebäude und die einzelnen Villen, von außen mit Schieferstein belegt, passen sich exakt in die Landschaft ein. Der Blick hinab in die Schluchten ist noch grandioser. Die Einrichtung im Hauptgebäude ist zurückhaltend, aber zugleich sehr ausgewählt. Ausgewählt sind auch die Preise: wir haben uns zwei Fruchtsäfte für 20 Euro gegönnt. Am frühen Nachmittag besuchen wir das Bergdorf Al Ayn. Die Gebäude, eng miteinander verbunden, schmiegen sich an den Berghang an, ebenso die kleinen Gärtchen. Bei unserem Rundgang können wir sehr gut die Anlage der landwirtschaftlichen Terrassen sowie das Bewässerungssystem beobachten. Überall wird gearbeitet, ein älteres Ehepaar trägt den Ernteertrag zusammen. Die Arbeit an diesen Steilhängen muss sehr hart sein. Die Leute begrüßen uns freundlich und weisen uns den Weg. Die Fahrt in ein weiteres Dorf, in dem vor allem Granatäpfel angepflanzt werden, können wir nicht beenden, da die Piste zu schlecht (vor allem zu sandig) wird und der Weg dorthin doch noch sehr weit zu sein scheint. Kaum ist die Sonne verschwunden, wird es richtig kühl – im Zimmer und auch draußen. Zum Glück ist die Klimaanlage zugleich als Heizung zu benutzen, die wir dann auch die ganze Nacht laufen lassen. Das Abendessen im Hotel ist zwar lecker, aber leider überteuert. Zudem wird die abendliche Stimmung durch das ständige Geschrei kleiner Kinder gestört, die sich gegenüber ihren Eltern (zwei Familien aus Dubai) alles erlauben dürfen. Am nächsten Tag besuchen wir das Wadi Bani Habib. Viele Stufen führen in das Wadi hinab, es ist sehr grün und wunderbar still. Dagegen wird in einem weiteren benachbarten Wadi gebaut; wir können nicht feststellen, leider auch nicht erfragen, ob es der Bau einer Wasser- oder Abwasserleitung ins Tal ist. An diesen zerklüfteten Hängen kann die Arbeit nicht mit Maschinen durchgeführt werden; wir sehen, dass Arbeiter schwere Säcke nach unten schleppen. Zugleich wird uns klar, dass der Einsatz von Maschinen nur zur Zerstörung des recht ursprünglichen Wadis führen würde. Danach besuchen wir noch zwei weitere Orte – al Manakhir und Sallut. Vor allem in al Manakhir wird deutlich, dass diese alten Orte behutsam restauriert werden. Fraglich ist jedoch, ob sie überleben können, denn wir treffen vorwiegend ältere Bevölkerung an. In Sallut treffen wir – nach rasant steiler Abfahrt – auf Kinder, die aus der Schule kommen. Sie zeigen uns ihre Hefte; auf den Versuch eines kleinen Gesprächs reagieren sie aber doch mit Scheu. Auch die Lehrerin schaut kurz vorbei. Im Hotel zurückgekehrt nutzen wir das Warmwasserbecken in der schon recht kühlen Luft. Zum ersten Mal zeigen sich auch drohende dunkle Wolken am Himmel. Im Dorfrestaurant, das wir schon vorher ausgekundschaftet haben, bekommen wir Hühnchen, Dal des Tages, Reis und Fladenbrot, was uns richtig aufwärmt. Das Restaurant scheint beliebt zu sein; sowohl Gäste, die dort essen, wie auch solche, die das Essen nur abholen, geben sich die Klinke in die Hand. Im Hotel ist es uns am Abend zum ersten Mal auf dieser Reise zu kalt, so dass uns nichts weiter übrig bleibt als unter die Bettdecke zu kriechen. Auch am nächsten Morgen umfangen uns Kälte und Tau, die in das Zimmer „gekrochen“ sind. 10. „Geburtstagsfeier“ von Reinhard im Hotel „The View“ (30.11.) Da es in der Nacht geregnet hat, erleben wir zum ersten Mal, wenn Wadis mit Wasser angefüllt sind. Vor und hinter dem Wadi warten etwa jeweils fünf Wagen, da sie die Durchfahrt durch das Wasser nicht riskieren können. Mit unserem Riesenauto (Nissan Pathfinder) haben wir da zum Glück keine Probleme. Unser nächstes Ziel, das Fort Bahla (ebenfalls aus Lehm gebaut) hat ziemlich große Ausmaße und beherbergt in seinem Inneren viele kleine Gebäude mit verwinkelten Zimmern, Gängen und Treppen; im Schatten und dort, wo die Luft durchstreift, ist es angenehm kühl im Gegensatz zu den sonnenbeschienenen Außenanlagen. Vom Fort geht es weiter zum Schloss Jabrin. Auch hier durchstreifen wir die verwinkelten Säle, Zimmerchen, Treppen, Küchen etc. Die Ausstattung lässt uns ein bisschen das ehemalige Leben in der Bibliothek, den Festsälen, den Frauengemächern und in der Moschee erahnen. Am frühen Nachmittag machen wir uns auf den Weg zur nächsten Hoteletappe. Man kann die Hotelanlage schon von weit unten im Tal sehen, denn sie ist hoch oben an einer langen, gut einsehbaren Bergwand angelegt – sie sieht aus wie angeklebt. Auch hier wohnen wir wieder in einem kleinen, recht gut eingerichteten Pavillon. Der Blick ins Tal und auf die gegenüberliegenden Berge ist fantastisch, zumal da die Fenster über die gesamte Front des Hotelzimmers reichen, sogar vom Bad aus hat man die gleiche Aussicht. Trotz Wolken und kühlem Wetter nehmen wir ein Bad im Warmwasserbecken; es ist so angelegt, dass man den Eindruck hat, am Ende des Beckens direkt ins Tal zu fallen. Ein nettes Geburtstags-abendessen beschließt den Tag. 11. Zum höchsten Punkt unserer Reise (01.12.) Nach einem ausführlichen Frühstück verlassen wir „The View“ und besuchen zunächst das Bergdorf Misfah. Auch dieses Dorf ist dicht am Hang gebaut. Die Lehm- und Natursteinhäuser sind ineinander verschachtelt. Für die Touristen hat man einen kleinen Rundweg angelegt. Auch hier können wir wieder das Bewässerungssystem bewundern. Die Wasserläufe sind von Palmen umstanden. Alles strömt Frische aus. Z.T. ist dieses Bergdorf schon restauriert; anhand des Parkplatzes weiter unten ahnt man, dass künftig mit mehr Touristen gerechnet wird. Von Misfah aus machen wir uns auf den Weg zum Jebel Shams Resort unterhalb des 3000 m hohen Jebel Shams. Bereits auf der Asphalt-Strecke geht es sehr steil hinauf, die anschließende Piste ist mal mehr und mal weniger gut ausgebaut. Das letzte Stück zum Resort führt dann wieder über eine Asphalt-Straße. Die Felswände wie auch die tief eingeschnittenen Schluchten sind eindrucksvoll. Im Resort werden wahlweise Pavillons mit Feuerstelle für Großfamilien und kleine Pavillons aus Naturstein, aber auch Militärzelte bzw. Stellplätze für private Zelte angeboten. Wir sind zum Glück im Pavillon untergebracht, denn trotz Sonnenschein ist die Luft kühl; in der Nacht sind die Temperaturen einstellig. Auf unserer kleinen Nachmittagstour schauen wir tief in das zerklüftete Canyon, der Blick in die Tiefe erinnert an einen Vulkan. Noch einmal „rumpeln“ wir über die Piste auf der Suche nach einem weiteren Aussichtspunkt, finden aber keinen, der so spektakulär ist wie derjenige nahe am Resort. Am Abend wärmt uns das leckere Essen von innen; der effektive Heizlüfter im Zimmer tut ein Übriges. 12. Zurück nach Muscat (02.12.) Am Morgen im Resort stellen wir fest, dass noch nach uns viele Gäste gekommen sind. Einige Familien haben in Zelten übernachtet, offenbar lieben sie die Kälte oder sie haben gute Schlafsäcke. Aber alle warten auf das Frühstück im Restaurant, um sich aufzuwärmen. Wir machen uns recht früh auf den Weg, denn es soll über eine Strecke gehen, für die wir laut Reiseveranstalter den ganzen Tag brauchen werden. Zunächst geht es noch einmal über die Piste nach Al Hamra, von dort aus Richtung Al Hotta Cave bis zum Abzweig nach Al Alamayn. Bis zum Pass hinauf führt eine noch ausgebaute Straße. Von der Höhe hat man einen wunderbaren Blick in beide Täler. Franzosen aus der Haute Savoie berichten uns, dass die Abfahrt zwar manchmal sehr steil, aber durchführbar ist. Nach den ersten Kurven haben wir zunächst einmal keine Sicht, die Scheiben beschlagen vollständig. Es dauert ein bisschen, bis wir wieder die ausgewaschene Piste genau sehen können. Schwierig sind vor allem die Bodenwellen, die einem die Sicht auf den weiteren Straßenverlauf versperren. Zum Glück haben wir keine Fahrzeuge vor uns. Es kommen uns nur welche entgegen. An einer besonders schmalen Stelle kommen wir nur zentimeterweise vorwärts – es gibt keine Seitenbegrenzung und wir stehen ganz nahe am Abgrund. Dann wieder bieten sich unglaubliche Ausblicke in palmenbestandene Wadis. Staunen und hohe Konzentration wechseln sich ab. Zum Schluss geht es direkt durch das Wadi Bani Awf – vorbei an schönen Palmenhainen. Irgendwann stoßen wir wieder auf die asphaltierte Straße, die uns zu unserem ersten wirklichen Halt in Nakhl führt. In einem kleinen Coffeeshop trinken wir heiße Rosenwasser- und Kaffeemilch, das löscht den Durst und beruhigt die Nerven. In Nakhl soll es auch heiße Quellen geben, die wir natürlich besuchen wollen. Die Fahrt führt durch ein palmenbestandenes Wohnviertel mit prächtigen Villen. Unsere Vorfreude auf ein Bad in den heißen Quellen wird schnell durch den hohen Besucherandrang und das Verkehrschaos, das sich vor uns ausbreitet, getrübt. Einem Zusammenstoß mit einem Betonpfeiler können wir gerade noch entgehen. Also kehren wir schnell auf die Hauptstraße zurück und fahren Richtung Barka. An einer Tankstelle nutzen wir die Gelegenheit, das Auto waschen zu lassen. Überall hat sich der Sand abgelagert und eingenistet. Die Autowäscher leisten gründliche Arbeit – eine Waschanlage könnte das gar nicht schaffen –, das Auto blitzt wie zu Beginn unserer Reise. Der Ort Barka ist zwar nicht besonders hübsch, aber wir finden ein gutes Restaurant – Frühlingsrollen, gebratene Nudeln und ganz frische Obstsäfte sind gerade das Richtige nach dieser Fahrt. In Muscat finden wir den Weg ins Hotel ohne Probleme; dort scheint man uns schon zu erwarten. Den Nachmittagsschlaf haben wir uns wahrlich verdient – besonders Reinhard, der Pistenfahrer. Auf unserem Abendspaziergang schauen wir uns die großen Einkaufszentren in der Umgebung unseres Hotels an; viele Familien tätigen ihre Einkäufe oder machen Picknick auf den breiten Rasenflächen direkt neben der hell beleuchteten Autobahn. 13. Letzter Ausflug in Muscat (03.12.) Nach geruhsamem Frühstück besuchen wir den Souq in Matrah; Tücher, Kleider, Schmuck, Parfum, ätherische Öle, Holzarbeiten werden in den entsprechenden Ladengassen angeboten. Wir kaufen Tücher und eine kleine Duftlampe. Im Tuchladen haben wir ein interessantes Gespräch mit einem Inder, der schon seit über zwanzig Jahren im Oman wohnt. Er berichtet, dass er nach einer schwierigen Zeit der Anpassung endlich seinen Platz in der omanischen Gesellschaft gefunden hat. Er bestätigt uns, dass im Oman keine offene Diskussion über die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse existiert und dass die Omanis gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen die Spitze der hierarchisch strukturierten Gesellschafts-pyramide bilden. In Qurum, am Meer gelegen, finden wir zwar schnell einen Parkplatz, aber auf unserem Spaziergang auf der Strandpromenade streben wir vergeblich nach Schatten, so dass wir gezwungen sind, in einem der Strandrestaurants Zuflucht vor der Sonne zu suchen. Wir sind doch erstaunt, hier einer großen Gruppe von Frauen – unverschleiert und Wasserpfeife rauchend – zu begegnen. Schnell wird uns klar, dass es sich um Frauen aus der Oberschicht handelt. Sie können sich ein solches Leben und vor allem westliche Kleidung und westliches Verhalten leisten. Die Rückkehr zu unserem Hotel ist mal wieder schwierig, da wir die falsche Autobahnabfahrt gewählt haben. Auf irgendwelchen Schleichwegen finden wir dann doch zurück. Am Abend essen wir in einem libanesischen Restaurant – sehr schöner Rahmen, aber leider zu reichhaltig. 14. Die Abreise (04.12.) Beim Frühstück lassen wir uns viel Zeit, auch beim Kofferpacken – unser Flug geht ja erst um 16.00 ... wirklich? Reinhard drängelt schon ein bisschen, aber es ist noch genug Zeit. Schließlich suche ich doch schon mal die Flugtickets zusammen und stelle fest, dass wir schon um 14.00 Uhr fliegen!! Zunächst bewahren wir noch Ruhe, aber als wir wieder auf den Autobahnen herum sausen, um den richtigen Weg zum Flughafen zu finden, wird es doch dramatisch. Falsche bzw. fehlende Ausschilderung führt uns zunächst zum neuen Flughafen, der noch gar nicht eröffnet ist. Die Hinweise eines Wachpostens führen uns auch in die Irre. Bis wir endlich entdecken, wo die Flugzeuge starten. Ohne Hinweisschild erreichen wir endlich den Flughafen. Aber der Weg zur Abgabe des Autos ist unser nächstes Problem. Nach einigem Hin und Her kommen wir endlich zum Schalter der Autovermietung. Hier geht es zum Glück sehr flink, so dass wir endlich mit unseren Koffern den Abfertigungsschalter finden. Offenbar sind wir doch noch so rechtzeitig, so dass man uns bessere Plätze mit Beinfreiheit anbietet. Schließlich fliegen wir mit einer Stunde Verspätung ab. Die Sicht von oben ist noch lange Zeit recht gut, so dass der Unterschied zwischen dem Oman und Dubai deutlich zu erkennen ist: Bewässerungsanlagen, Plantagen, Wohnviertel in Dubai – Wüste im Oman. Wir können hier noch einmal erahnen, welches Ziel der Oman verfolgt. Frankfurt/M. erreichen wir natürlich zu spät, es gibt keinen direkten Zug mehr nach Berlin. Über den Umweg nach Dortmund erreichen wir den Nachtzug, der nach Prag bzw. Warschau fährt. Die Rückreise bleibt also spannend bis zum Schluss. Der Hauptbahnhof in Dortmund ist in dieser Nacht eine Oase der Fußballfans; Sitzgelegenheiten oder Warteräume sucht man vergeblich; zumindest finden wir einen netten Kiosk, wo wir heißen Kakao und Crêpes bekommen. Ankunft im winterwarmen Berlin um ca. vier Uhr morgens. 15. Mein zusammenfassender Rückblick in Stichpunkten Der Oman ist eine Gesellschaft zwischen technischem und architektonischem Aufbruch und Bewahrung der Traditionen. Selten begegnet man Frauen auf der Straße und im öffentlichen Leben (hauptsächlich im schwarzen Gewand und mit Kopftuch bekleidet), Männer in weißem Kaftan mit Turban oder dem orientalischen Fez beherrschen „das Bild“. Angesichts der vielen neugebauten Moscheen und den abendlichen religiösen Fernsehsendungen erscheint der Islam allgegenwärtig. Kinder genießen einen großen Freiraum. Wir können uns das nur so erklären, dass sie sich im Erwachsenenalter vollständig anpassen müssen. Wenigstens in der Kindheit sollen sie ein ungezügeltes Leben führen können. Die Mütter haben jedoch ständig damit zu tun, den Kindern und ihren Männern alles recht zu machen. Der Aufbau der Infrastruktur und die Entwicklung des Tourismus wird vor allem von zugewanderten Arbeitskräften – Indern, Pakistanis, Bangladeshis, Singalesen, Philippinen – geleistet. Die Omanis sind vorwiegend in der Verwaltung und im Bankensektor tätig. Man erlebt spannende Landschaften: wunderbare Strände, Fels- und Berglandschaften, die unendliche Weite der Wüsten. 12.2015 <img src="http://vg03.met.vgwort.de/na/7fa9044e9a90416e940239fd7444e676" width="1" height="1" alt="" /> |
AutorSimone Lück-Hildebrandt, Archive
März 2018
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