Vortrag bei Spree-Athen
Die Erfahrung lehrt uns, dass Hegemonialmächte zur Aufrechterhaltung ihrer Hegemonie stets den Versuch unternehmen, den hegemonisierten Mächten ihre spezifische Gesellschaftsform, ihr Wertgefüge, ihre Politik und ihre Strategien überzustülpen. Hegemonialmächte schwächen ihre Opfer, entziehen ihnen Ressourcen. Ob wir der Ausformung von Hegemonialmächten entfliehen können, ist ungewiss und bedarf einer umfassenden Analyse. Das Imperium versucht, die innere Autonomie und die äußere Handlungsfähigkeit der beherrschten Macht absolut zu unterbinden. Die Hegemonialmacht kann die beherrschte Macht nur in ihrem Streben nach Autonomie begrenzen, aber nicht entscheidend daran hindern. Imperium und Hegemonialmacht formen endliche Strukturen, deren Lebensdauer sie selbst nicht bestimmen können. Hegemonialmächte verlieren ihre Macht auf dreierlei Weise:
Zu 1. Überziehung des Hegemonialanspruchs Die Nato-Konferenz in Bukarest 2008Gegen den damaligen Vorschlag der USA, der Ukraine und Georgien die Anwartschaft für den Eintritt in die Nato zu öffnen, erwartete die Bush-Administration, dass keines der westeuropäischen Mitglieder der NATO es wagen würde, seine Stimme zu erheben. Der Hegemon unterstellte bei den Hegemonisierten ein unüberschreitbares abhängiges Bewusstsein. Die Bush-Administration ging davon aus, dass die von den USA beanspruchte Aura der universellen Repräsentation, d.h. die unangefochtene Führungsmacht des sogenannten „freien Westens“ zu sein, weiterhin voll akzeptiert würde und dass das von ihr ausgewählte aktuelle Arrangement als einzig möglicher Weg unhinterfragt bliebe. Die von Bush proklamierte Alternativlosigkeit seiner hegemonialen Praxis verkannte jedoch die inzwischen eingetretene Veränderung des hegemonialen Verhältnisses zu Lasten der USA. Zu 2. Durch Selbstschwächung, indem sie auf obsolet gewordenen Rechten beharren Beispiel: Beharren auf Sonderrechten der USA und UKDie Einschränkungen beziehen sich auf unkündbare Teile des alten Truppenstatuts der Besatzungszeit. Danach müssen den USA und Großbritannien weiterhin alle Eingriffsmöglichkeiten gewährt werden, die sie zur Gewährleistung der Sicherheit ihrer Truppen in Deutschland für notwendig halten. Auch während der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen im Jahre 1990 legten die USA und Großbritannien großen Wert darauf, dass sich durch die Wiedervereinigung Deutschlands die rechtlichen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland mit ihnen um keinen Deut ändern (zurückbehaltene Souveränitätsrechte). Folgende Veränderungen gibt es in den Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den USA sowie Großbritannien:
Zu 3. Fehler in der Ausgestaltung ihrer Hegemonie Beispiel: Nato-KonsultationsprozessIm Nato-Konsultationsprozess haben alle Mitglieder die Möglichkeit, sich gegenseitig über ihre Strategien und Taktiken zu informieren und zu gemeinsamen Beschlüssen zu gelangen. Das Wort Konsultation erweckt den Eindruck, dass im Ausschuss alle Nato-Mitglieder auf gleicher Ebene angesiedelt sind. Im Notfall können jedoch die USA auch unilateral und ohne Konsultierung der anderen entscheiden, was zu Zeiten der Bush-Administration auch öfters geschehen ist. Ein wohlmeinender Hegemon strebt ein kostenfreies ideales Unterordnungsverhältnis an. Wenn gemäß Hegel Deckungsgleichheit zwischen dem Maß an Fürsorge des Herrn gegenüber dem Knecht und dem Wunsch des Knechts nach Anerkennung, Schutz und Dankbarkeit durch den Herrn besteht, erscheint im Bewusstsein des Knechts seine real existierende Unterordnung gerade umgekehrt als absolute Freiheit. Für den Hegemon ist ein solches Verhältnis kostenfrei. Diese Deckungsgleichheit funktioniert seit dem Ende der Bush-Administration nicht mehr und führt damit zu einer Veränderung des bisher funktionierenden hegemonialen Verhältnisses. Die Folge: Verlust ihres Images als wohlmeinende hegemoniale Macht. Darin sind auch erste Anzeichen einer absteigenden Hegemonialmacht zu erkennen. Anzeichen einer absteigenden Hegemonialmacht Geopolitisch:
Ökonomisch:
Militärisch:
Das sich abzeichnende Konzert globaler Mächte
Hegemoniale Formationen und deren hegemoniale PraxisHegemoniale Formationen entstehen auf der Ebene der Diskursivität – bzw. der wissenschaftlichen Theoriebildung – als Erweiterung diskursiver Formationen. Was versteht man unter einer diskursiven Formation? Was unter der „Ebene der Diskursivität“, was unter der „Ebene des gesellschaftlichen Ensembles relativ stabiler Formen“? Die diskursive FormationEine diskursive Formation (Foucault) ist ein Ensemble differentieller Positionen, das sich durch eine „Regelmäßigkeit in der Verstreuung“ auszeichnet. Mit einfachen Worten: Der Wissenschaftler beschreibt mit einem allgemeinen Satz ein sinnlich wahrnehmbares Phänomen oder eine neue Erkenntnis, die im Selbstgespräch oder im Dialog mit anderen entstanden ist. Beispiel: Die Erde dreht sich um die Sonne! Er formuliert also eine Hypothese, aus der er streng rational vorgehend Unterpunkte bzw. voneinander abgeleitete Unteraussagen bis hin zu Basissätzen ableitet (eine diskursive Formation). Dieses Ensemble differentieller Positionen soll, so ist die Annahme, in der empirisch erfassbaren Realität vorzufinden sein. In ihr muss es also die unterstellte „Regelmäßigkeit in der Verstreuung“ geben. Auf welche Weise das artikulierende Subjekt in den Humanwissenschaften zu einer Aussage über das artikulierte Objekt gelangt, hängt anders als in den Naturwissenschaften von folgenden Überlegungen ab:
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AutorReinhard Hildebrandt ArchiveTextliste
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